[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741.ein Heldengedichte. Weil jeder Narr den man in deinem Singspiel liest,Dein wahres Ebenbild und stets ein Stelpo ist. Laß auch den Helden selbst vom Spiel' uns Lust erweken, Und unterscheid' ihn bloß im Nahmen mit dem Jeken; Damit man beyde gleich vor deine Söhn' erkenn' Den kleinen Stelpo den, und den den grossen nenn., Sieh' aber zu, wenn du nach Reim- und Versen fühlest, Wie du Euripidens verbotne Waare stielest (b): Vertraue der Natur, schreib was dir erst fällt ein, Und brich dir nicht den Kopf ein Dudentopf zu seyn. Laß deinen Kiel sich nie an fremdem Wiz vergaffen; Was hat Euripides mit dir und mir zu schaffen; Daß er mit Deutlichkeit dich etwann übereil'? Du bist mein Blut, an dem hat dieser gar kein Theil. Wenn hat Euripides Verstand und Vers getrennet, Und seiner Sprach', uns gleich, die Rekbanck zuerkennet? Wenn hat er dem Adon verstöret seine Ruh', Mit: Zögre zögre nicht, ach komm, wo bleibest du? Wenn sagt er: Daß sein Mund nicht kan vor Marmor (sprechen, Daß seine Zunge nicht kan Stahl und Eisen brechen; Weil schrieben, worinnen die Niedrigkeit in den Erfindungen, den Gedanken, und der Schreibart, eben so merklich ist, als in Lohensteins Trauerspielen, oder Postels Opern, die Verstei- gung. Wer denn räth, denselben nachzuahmen, damit man die hohen Fehler vermeide, die diesen beyden vorgeworffen worden, der befiehlt, daß man sich auf die Erde niederlege, dem Fall vorzubiegen. (b) Postel bracht in seinen Singspielen viel aus dem Eu- ripides an. Dieses ist an sich selbst kein Verbrechen, aber es wird leicht zu einem Verbrechen, wenn es ohne Urtheil, Wahl, Absicht, und Ordnung geschieht. Denn so bald ein Stücke aus seinem Orte, wo es der Absicht und den Um- ständen gemäß in Grad und Maasse wohlbestimmt war, her- ausgenommen, und in einem andern Orte wieder eingeschal- tet wird, hat es nicht mehr die vorige Gestalt, und Kraft, und thut nicht mehr den vorigen Eindruck. J [Crit. Samml.]
ein Heldengedichte. Weil jeder Narr den man in deinem Singſpiel lieſt,Dein wahres Ebenbild und ſtets ein Stelpo iſt. Laß auch den Helden ſelbſt vom Spiel’ uns Luſt erweken, Und unterſcheid’ ihn bloß im Nahmen mit dem Jeken; Damit man beyde gleich vor deine Soͤhn’ erkenn’ Den kleinen Stelpo den, und den den groſſen nenn., Sieh’ aber zu, wenn du nach Reim- und Verſen fuͤhleſt, Wie du Euripidens verbotne Waare ſtieleſt (b): Vertraue der Natur, ſchreib was dir erſt faͤllt ein, Und brich dir nicht den Kopf ein Dudentopf zu ſeyn. Laß deinen Kiel ſich nie an fremdem Wiz vergaffen; Was hat Euripides mit dir und mir zu ſchaffen; Daß er mit Deutlichkeit dich etwann uͤbereil’? Du biſt mein Blut, an dem hat dieſer gar kein Theil. Wenn hat Euripides Verſtand und Vers getrennet, Und ſeiner Sprach’, uns gleich, die Rekbanck zuerkennet? Wenn hat er dem Adon verſtoͤret ſeine Ruh’, Mit: Zoͤgre zoͤgre nicht, ach komm, wo bleibeſt du? Wenn ſagt er: Daß ſein Mund nicht kan vor Marmor (ſprechen, Daß ſeine Zunge nicht kan Stahl und Eiſen brechen; Weil ſchrieben, worinnen die Niedrigkeit in den Erfindungen, den Gedanken, und der Schreibart, eben ſo merklich iſt, als in Lohenſteins Trauerſpielen, oder Poſtels Opern, die Verſtei- gung. Wer denn raͤth, denſelben nachzuahmen, damit man die hohen Fehler vermeide, die dieſen beyden vorgeworffen worden, der befiehlt, daß man ſich auf die Erde niederlege, dem Fall vorzubiegen. (b) Poſtel bracht in ſeinen Singſpielen viel aus dem Eu- ripides an. Dieſes iſt an ſich ſelbſt kein Verbrechen, aber es wird leicht zu einem Verbrechen, wenn es ohne Urtheil, Wahl, Abſicht, und Ordnung geſchieht. Denn ſo bald ein Stuͤcke aus ſeinem Orte, wo es der Abſicht und den Um- ſtaͤnden gemaͤß in Grad und Maaſſe wohlbeſtimmt war, her- ausgenommen, und in einem andern Orte wieder eingeſchal- tet wird, hat es nicht mehr die vorige Geſtalt, und Kraft, und thut nicht mehr den vorigen Eindruck. J [Crit. Samml.]
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Laß auch den Helden ſelbſt vom Spiel’ uns Luſt erweken,
Und unterſcheid’ ihn bloß im Nahmen mit dem Jeken;
Damit man beyde gleich vor deine Soͤhn’ erkenn’
Den kleinen Stelpo den, und den den groſſen nenn.,
Sieh’ aber zu, wenn du nach Reim- und Verſen fuͤhleſt,
Wie du Euripidens verbotne Waare ſtieleſt (b):
Vertraue der Natur, ſchreib was dir erſt faͤllt ein,
Und brich dir nicht den Kopf ein Dudentopf zu ſeyn.
Laß deinen Kiel ſich nie an fremdem Wiz vergaffen;
Was hat Euripides mit dir und mir zu ſchaffen;
Daß er mit Deutlichkeit dich etwann uͤbereil’?
Du biſt mein Blut, an dem hat dieſer gar kein Theil.
Wenn hat Euripides Verſtand und Vers getrennet,
Und ſeiner Sprach’, uns gleich, die Rekbanck zuerkennet?
Wenn hat er dem Adon verſtoͤret ſeine Ruh’,
Mit: Zoͤgre zoͤgre nicht, ach komm, wo bleibeſt du?
Wenn ſagt er: Daß ſein Mund nicht kan vor Marmor
(ſprechen,
Daß ſeine Zunge nicht kan Stahl und Eiſen brechen;
Weil
(a)
(b) Poſtel bracht in ſeinen Singſpielen viel aus dem Eu-
ripides an. Dieſes iſt an ſich ſelbſt kein Verbrechen, aber
es wird leicht zu einem Verbrechen, wenn es ohne Urtheil,
Wahl, Abſicht, und Ordnung geſchieht. Denn ſo bald ein
Stuͤcke aus ſeinem Orte, wo es der Abſicht und den Um-
ſtaͤnden gemaͤß in Grad und Maaſſe wohlbeſtimmt war, her-
ausgenommen, und in einem andern Orte wieder eingeſchal-
tet wird, hat es nicht mehr die vorige Geſtalt, und Kraft,
und thut nicht mehr den vorigen Eindruck.
(a) ſchrieben, worinnen die Niedrigkeit in den Erfindungen, den
Gedanken, und der Schreibart, eben ſo merklich iſt, als in
Lohenſteins Trauerſpielen, oder Poſtels Opern, die Verſtei-
gung. Wer denn raͤth, denſelben nachzuahmen, damit man
die hohen Fehler vermeide, die dieſen beyden vorgeworffen
worden, der befiehlt, daß man ſich auf die Erde niederlege,
dem Fall vorzubiegen.
J
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