[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741.Widerlegung der Relig. Essent. der Religion kein andrer Zwek seyn, als dieBeförderung der Glükseligkeit der Menschen; Folglich streitet eine jede Religion, deren Lehr- säze in sich schliessen, daß aus derselben Gott ein gewisser Nuzen zukomme, welchen er sich als eine Absicht vorgestellt, mit den offenbaren Wahr- heiten, die von Gott bekannt sind. Da wird leicht zugestanden, daß Gott sich selbst genug- sam sey: Nemlich in dem Verstande daß er keine neue Vollkommenheit, die er noch nicht gehabt, von aussen bekommen, und seine Glük- seligkeit dadurch vermehrt werden, könne: Es ist aber etwas anders ob mit dieser Selbst- genugsamkeit Gottes nicht gar wohl beste- hen könne, daß derselbe in seinen Handlun- gen gegen die Geschöpfe seine eigene Vollkom- menheiten, die er schon besizt, offenbare, das ist, sind, aber wenn sie ihm dann Dinge vorsagen und be-
fehlen, die es nicht begreift, und meint sie streiten mit den Eigenschaften der Eltern, solten dieselben wegen dieser Schwachheit des Verstandes, die in dem Kind ist, darum in diesen Eigenschaften der Eltern, welche das Kind so über- haupt erkennt, schlechterdings nicht gegründet seyn? Es läßt sich auch nicht sagen; gesezt es seyn Wahrheiten, so gehen sie doch das Kind und beyderseitige Relation ge- gen einander nichts an. Denn dazu hat man eben so wenig Grund, als zu läugnen, daß dieselben mit de- nen vom Kind überhaupt erkannten Eigenschaften der El- tern übereinkommen. Es ist wohl wahr, es kan in Gott noch viel Wahrheit seyn, die zur Religion nicht dienet; aber darum folget nicht daß nicht viele Säze zur Religion gehören und in der Natur Gottes und der Menschen ge- gründet seyn können, deren innere Möglichkeit und Ver- knüpfung mit andern Wahrheiten man nicht einsiehet; weil die Natur Gottes und der Menschen und beyder Thei- le Beziehung gegen einander insoweit unbekannt ist. Widerlegung der Relig. Eſſent. der Religion kein andrer Zwek ſeyn, als dieBefoͤrderung der Gluͤkſeligkeit der Menſchen; Folglich ſtreitet eine jede Religion, deren Lehr- ſaͤze in ſich ſchlieſſen, daß aus derſelben Gott ein gewiſſer Nuzen zukomme, welchen er ſich als eine Abſicht vorgeſtellt, mit den offenbaren Wahr- heiten, die von Gott bekannt ſind. Da wird leicht zugeſtanden, daß Gott ſich ſelbſt genug- ſam ſey: Nemlich in dem Verſtande daß er keine neue Vollkommenheit, die er noch nicht gehabt, von auſſen bekommen, und ſeine Gluͤk- ſeligkeit dadurch vermehrt werden, koͤnne: Es iſt aber etwas anders ob mit dieſer Selbſt- genugſamkeit Gottes nicht gar wohl beſte- hen koͤnne, daß derſelbe in ſeinen Handlun- gen gegen die Geſchoͤpfe ſeine eigene Vollkom- menheiten, die er ſchon beſizt, offenbare, das iſt, ſind, aber wenn ſie ihm dann Dinge vorſagen und be-
fehlen, die es nicht begreift, und meint ſie ſtreiten mit den Eigenſchaften der Eltern, ſolten dieſelben wegen dieſer Schwachheit des Verſtandes, die in dem Kind iſt, darum in dieſen Eigenſchaften der Eltern, welche das Kind ſo uͤber- haupt erkennt, ſchlechterdings nicht gegruͤndet ſeyn? Es laͤßt ſich auch nicht ſagen; geſezt es ſeyn Wahrheiten, ſo gehen ſie doch das Kind und beyderſeitige Relation ge- gen einander nichts an. Denn dazu hat man eben ſo wenig Grund, als zu laͤugnen, daß dieſelben mit de- nen vom Kind uͤberhaupt erkannten Eigenſchaften der El- tern uͤbereinkommen. Es iſt wohl wahr, es kan in Gott noch viel Wahrheit ſeyn, die zur Religion nicht dienet; aber darum folget nicht daß nicht viele Saͤze zur Religion gehoͤren und in der Natur Gottes und der Menſchen ge- gruͤndet ſeyn koͤnnen, deren innere Moͤglichkeit und Ver- knuͤpfung mit andern Wahrheiten man nicht einſiehet; weil die Natur Gottes und der Menſchen und beyder Thei- le Beziehung gegen einander inſoweit unbekannt iſt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0159" n="143"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Widerlegung der <hi rendition="#aq">Relig. Eſſent.</hi></hi></fw><lb/> der Religion kein andrer Zwek ſeyn, als die<lb/> Befoͤrderung der Gluͤkſeligkeit der Menſchen;<lb/> Folglich ſtreitet eine jede Religion, deren Lehr-<lb/> ſaͤze in ſich ſchlieſſen, daß aus derſelben Gott ein<lb/> gewiſſer Nuzen zukomme, welchen er ſich als eine<lb/> Abſicht vorgeſtellt, mit den offenbaren Wahr-<lb/> heiten, die von Gott bekannt ſind. Da wird<lb/> leicht zugeſtanden, daß Gott ſich ſelbſt genug-<lb/> ſam ſey: Nemlich in dem Verſtande daß er<lb/> keine neue Vollkommenheit, die er noch nicht<lb/> gehabt, von auſſen bekommen, und ſeine Gluͤk-<lb/> ſeligkeit dadurch vermehrt werden, koͤnne: Es<lb/> iſt aber etwas anders ob mit dieſer Selbſt-<lb/> genugſamkeit Gottes nicht gar wohl beſte-<lb/> hen koͤnne, daß derſelbe in ſeinen Handlun-<lb/> gen gegen die Geſchoͤpfe ſeine eigene Vollkom-<lb/> menheiten, die er ſchon beſizt, offenbare, das<lb/> <fw place="bottom" type="catch">iſt,</fw><lb/><note xml:id="seg2pn_14_2" prev="#seg2pn_14_1" place="foot" n="(*)">ſind, aber wenn ſie ihm dann Dinge vorſagen und be-<lb/> fehlen, die es nicht begreift, und meint ſie ſtreiten mit den<lb/> Eigenſchaften der Eltern, ſolten dieſelben wegen dieſer<lb/> Schwachheit des Verſtandes, die in dem Kind iſt, darum in<lb/> dieſen Eigenſchaften der Eltern, welche das Kind ſo uͤber-<lb/> haupt erkennt, ſchlechterdings nicht gegruͤndet ſeyn?<lb/> Es laͤßt ſich auch nicht ſagen; geſezt es ſeyn Wahrheiten,<lb/> ſo gehen ſie doch das Kind und beyderſeitige Relation ge-<lb/> gen einander nichts an. Denn dazu hat man eben ſo<lb/> wenig Grund, als zu laͤugnen, daß dieſelben mit de-<lb/> nen vom Kind uͤberhaupt erkannten Eigenſchaften der El-<lb/> tern uͤbereinkommen. Es iſt wohl wahr, es kan in Gott<lb/> noch viel Wahrheit ſeyn, die zur Religion nicht dienet;<lb/> aber darum folget nicht daß nicht viele Saͤze zur Religion<lb/> gehoͤren und in der Natur Gottes und der Menſchen ge-<lb/> gruͤndet ſeyn koͤnnen, deren innere Moͤglichkeit und Ver-<lb/> knuͤpfung mit andern Wahrheiten man nicht einſiehet;<lb/> weil die Natur Gottes und der Menſchen und beyder Thei-<lb/> le Beziehung gegen einander inſoweit unbekannt iſt.</note><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [143/0159]
Widerlegung der Relig. Eſſent.
der Religion kein andrer Zwek ſeyn, als die
Befoͤrderung der Gluͤkſeligkeit der Menſchen;
Folglich ſtreitet eine jede Religion, deren Lehr-
ſaͤze in ſich ſchlieſſen, daß aus derſelben Gott ein
gewiſſer Nuzen zukomme, welchen er ſich als eine
Abſicht vorgeſtellt, mit den offenbaren Wahr-
heiten, die von Gott bekannt ſind. Da wird
leicht zugeſtanden, daß Gott ſich ſelbſt genug-
ſam ſey: Nemlich in dem Verſtande daß er
keine neue Vollkommenheit, die er noch nicht
gehabt, von auſſen bekommen, und ſeine Gluͤk-
ſeligkeit dadurch vermehrt werden, koͤnne: Es
iſt aber etwas anders ob mit dieſer Selbſt-
genugſamkeit Gottes nicht gar wohl beſte-
hen koͤnne, daß derſelbe in ſeinen Handlun-
gen gegen die Geſchoͤpfe ſeine eigene Vollkom-
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(*) ſind, aber wenn ſie ihm dann Dinge vorſagen und be-
fehlen, die es nicht begreift, und meint ſie ſtreiten mit den
Eigenſchaften der Eltern, ſolten dieſelben wegen dieſer
Schwachheit des Verſtandes, die in dem Kind iſt, darum in
dieſen Eigenſchaften der Eltern, welche das Kind ſo uͤber-
haupt erkennt, ſchlechterdings nicht gegruͤndet ſeyn?
Es laͤßt ſich auch nicht ſagen; geſezt es ſeyn Wahrheiten,
ſo gehen ſie doch das Kind und beyderſeitige Relation ge-
gen einander nichts an. Denn dazu hat man eben ſo
wenig Grund, als zu laͤugnen, daß dieſelben mit de-
nen vom Kind uͤberhaupt erkannten Eigenſchaften der El-
tern uͤbereinkommen. Es iſt wohl wahr, es kan in Gott
noch viel Wahrheit ſeyn, die zur Religion nicht dienet;
aber darum folget nicht daß nicht viele Saͤze zur Religion
gehoͤren und in der Natur Gottes und der Menſchen ge-
gruͤndet ſeyn koͤnnen, deren innere Moͤglichkeit und Ver-
knuͤpfung mit andern Wahrheiten man nicht einſiehet;
weil die Natur Gottes und der Menſchen und beyder Thei-
le Beziehung gegen einander inſoweit unbekannt iſt.
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