[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741.Versuch von den Eigenschaften Gaukelfarben rings herum aus, daß wir dieNatur nicht mehr erkennen. Alles glänzet gleich- lich; alles ist ohne Unterschied lebhaft. Aber ein ächter Ausdruck ist wie die unwandelbare Son- ne, die alles was sie bescheint, erhellet und zieret, die jeden Gegenwurf vergüldet, aber keinen ver- ändert. Der Ausdruck ist die Kleidung der Ge- danken. Je besser sie ihnen anpaßt, je anstän- diger kömmt sie uns vor. Da hingegen ein nied- riger Gedanke in prächtigen Wörtern ausge- druckt einem groben Bauern gleichet, der in Kö- niglichem Purpur einher tritt. Dann ein ver- schiedener Jnhalt erfordert eine verschiedene Schreib- art, so wie nicht einerley Kleidung für das Land, die Stadt und den Hof, geschickt ist. Einige suchen Ruf und Nahmen durch alte Wörter. (h) Sie sind alt im Ausdruck, aber völlige Neulinge im Verstande. Dergleichen mühseeliges Nichts in einer so wunderseltsamen Schreibart bethöret die Ungelehrten und macht die Gelehrten lachen. Sie sind so unglücklich als Fungoso in der Comö- die (i) und meinen trefflich zu prangen, wenn sie in einer alten Kleidung erscheinen, die ein galan ter Hofmann ehdessen getragen hat. So ah- men (h) Abolita & abrogata retinere insolentiae cujusdam est & frivolae in parvis jactantiae. Quintil. lib. 1. c. 6. Opus est ut verba a vetustate repetita neque crebra sint neque manifesta; quia nihil est odiosius affectatione nec utique ab ultimis repetita temporibus. Oratio, cujus summa virtus est perspicuitas, quam sit vitiosa, si egeat interprete? Ergo ut novorum optima erunt maxime ve- tera, ita veterum maxime nova. (i) Ben Johnson's Every Man in his Humour.
Verſuch von den Eigenſchaften Gaukelfarben rings herum aus, daß wir dieNatur nicht mehr erkennen. Alles glaͤnzet gleich- lich; alles iſt ohne Unterſchied lebhaft. Aber ein aͤchter Ausdruck iſt wie die unwandelbare Son- ne, die alles was ſie beſcheint, erhellet und zieret, die jeden Gegenwurf verguͤldet, aber keinen ver- aͤndert. Der Ausdruck iſt die Kleidung der Ge- danken. Je beſſer ſie ihnen anpaßt, je anſtaͤn- diger koͤmmt ſie uns vor. Da hingegen ein nied- riger Gedanke in praͤchtigen Woͤrtern ausge- druckt einem groben Bauern gleichet, der in Koͤ- niglichem Purpur einher tritt. Dann ein ver- ſchiedener Jnhalt erfordert eine verſchiedene Schreib- art, ſo wie nicht einerley Kleidung fuͤr das Land, die Stadt und den Hof, geſchickt iſt. Einige ſuchen Ruf und Nahmen durch alte Woͤrter. (h) Sie ſind alt im Ausdruck, aber voͤllige Neulinge im Verſtande. Dergleichen muͤhſeeliges Nichts in einer ſo wunderſeltſamen Schreibart bethoͤret die Ungelehrten und macht die Gelehrten lachen. Sie ſind ſo ungluͤcklich als Fungoſo in der Comoͤ- die (i) und meinen trefflich zu prangen, wenn ſie in einer alten Kleidung erſcheinen, die ein galan ter Hofmann ehdeſſen getragen hat. So ah- men (h) Abolita & abrogata retinere inſolentiæ cujusdam est & frivolæ in parvis jactantiæ. Quintil. lib. 1. c. 6. Opus est ut verba à vetustate repetita neque crebra ſint neque manifeſta; quia nihil eſt odioſius affectatione nec utique ab ultimis repetita temporibus. Oratio, cujus ſumma virtus eſt perſpicuitas, quam ſit vitioſa, ſi egeat interprete? Ergo ut novorum optima erunt maximè ve- tera, ita veterum maxime nova. (i) Ben Johnson’s Every Man in his Humour.
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Verſuch von den Eigenſchaften
Gaukelfarben rings herum aus, daß wir die
Natur nicht mehr erkennen. Alles glaͤnzet gleich-
lich; alles iſt ohne Unterſchied lebhaft. Aber ein
aͤchter Ausdruck iſt wie die unwandelbare Son-
ne, die alles was ſie beſcheint, erhellet und zieret,
die jeden Gegenwurf verguͤldet, aber keinen ver-
aͤndert. Der Ausdruck iſt die Kleidung der Ge-
danken. Je beſſer ſie ihnen anpaßt, je anſtaͤn-
diger koͤmmt ſie uns vor. Da hingegen ein nied-
riger Gedanke in praͤchtigen Woͤrtern ausge-
druckt einem groben Bauern gleichet, der in Koͤ-
niglichem Purpur einher tritt. Dann ein ver-
ſchiedener Jnhalt erfordert eine verſchiedene Schreib-
art, ſo wie nicht einerley Kleidung fuͤr das Land,
die Stadt und den Hof, geſchickt iſt. Einige
ſuchen Ruf und Nahmen durch alte Woͤrter. (h)
Sie ſind alt im Ausdruck, aber voͤllige Neulinge
im Verſtande. Dergleichen muͤhſeeliges Nichts
in einer ſo wunderſeltſamen Schreibart bethoͤret
die Ungelehrten und macht die Gelehrten lachen.
Sie ſind ſo ungluͤcklich als Fungoſo in der Comoͤ-
die (i) und meinen trefflich zu prangen, wenn ſie
in einer alten Kleidung erſcheinen, die ein galan
ter Hofmann ehdeſſen getragen hat. So ah-
men
(h) Abolita & abrogata retinere inſolentiæ cujusdam
est & frivolæ in parvis jactantiæ. Quintil. lib. 1. c. 6.
Opus est ut verba à vetustate repetita neque crebra ſint
neque manifeſta; quia nihil eſt odioſius affectatione nec
utique ab ultimis repetita temporibus. Oratio, cujus
ſumma virtus eſt perſpicuitas, quam ſit vitioſa, ſi egeat
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