[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741.eines Kunstrichters. men sie auch die grossen Scribenten des Alter-thums nicht besser nach, als Affen unsre Groß- väter, da sie mit ihren Wämstern bekleidet wer- den. Jn den Wörtern und in der Mode hat ei- nerley Regel statt. Zu neu oder zu alt, ist bey- des gleich phantastisch. Sey nicht der erste, ein neues Wort zu wagen, noch der lezte, ein altes bey Seite zu legen. Aber die meisten beurtheilen ein Gedichte nach ge- (k) (na molli Quis populi sermo est? Quis enim? Nisi carmi- Nunc demum numero fluere, ut per laeve severos Effugit junctura ungues: Scit tendere versum Non secus ac si oculo juncturam dirigat uno. Persius Sat. I. (l) Fugiemus crebras vocalium concursiones quae vastam atque hiantem Orationem reddunt. Cic. ad He- renn. lib. 4. Vide etiam Quintil. lib. 9. c. 4. E 2
eines Kunſtrichters. men ſie auch die groſſen Scribenten des Alter-thums nicht beſſer nach, als Affen unſre Groß- vaͤter, da ſie mit ihren Waͤmſtern bekleidet wer- den. Jn den Woͤrtern und in der Mode hat ei- nerley Regel ſtatt. Zu neu oder zu alt, iſt bey- des gleich phantaſtiſch. Sey nicht der erſte, ein neues Wort zu wagen, noch der lezte, ein altes bey Seite zu legen. Aber die meiſten beurtheilen ein Gedichte nach ge- (k) (na molli Quis populi ſermo eſt? Quis enim? Niſi carmi- Nunc demum numero fluere, ut per læve ſeveros Effugit junctura ungues: Scit tendere verſum Non ſecus ac ſi oculo juncturam dirigat uno. Perſius Sat. I. (l) Fugiemus crebras vocalium concurſiones quæ vaſtam atque hiantem Orationem reddunt. Cic. ad He- renn. lib. 4. Vide etiam Quintil. lib. 9. c. 4. E 2
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0083" n="67"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">eines Kunſtrichters.</hi></fw><lb/> men ſie auch die groſſen Scribenten des Alter-<lb/> thums nicht beſſer nach, als Affen unſre Groß-<lb/> vaͤter, da ſie mit ihren Waͤmſtern bekleidet wer-<lb/> den. Jn den Woͤrtern und in der Mode hat ei-<lb/> nerley Regel ſtatt. Zu neu oder zu alt, iſt bey-<lb/> des gleich phantaſtiſch. Sey nicht der erſte, ein<lb/> neues Wort zu wagen, noch der lezte, ein altes<lb/> bey Seite zu legen.</p><lb/> <p>Aber die meiſten beurtheilen ein Gedichte nach<lb/> dem Wohllaute. Gelind oder hart iſt ihnen gut<lb/> oder ſchlimm. Laß tauſend Annehmlichkeiten ſich<lb/> in der lebhafteſten Muſe vereinigen; die Thon-<lb/> ſuͤchtigen Thoren werden nichts als ihre Stimme<lb/> bewundern. Sie beſuchen den Parnaß nur um<lb/> das Ohr zu kuͤzeln und nicht den Verſtand zu beſ-<lb/> ſern, ſo wie mancher die Kirche nicht um der Pre-<lb/> digt, ſondern der Muſik willen beſuchet. Dieſe<lb/> ſehen auf nichts als gleiche Sylben; <note place="foot" n="(k)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#et">(na molli</hi><lb/> Quis populi ſermo eſt? Quis enim? Niſi carmi-<lb/> Nunc demum numero fluere, ut per læve ſeveros<lb/> Effugit junctura ungues: Scit tendere verſum<lb/> Non ſecus ac ſi oculo juncturam dirigat uno.<lb/><hi rendition="#et">Perſius Sat. I.</hi></hi></note> Unbekuͤm-<lb/> mert, ob ein oͤfterer Zuſammenlauf der Lautbuch-<lb/> ſtaben das Ohr beleidige, ob die Flikwoͤrter das<lb/> beſte thun muͤſſen, und oft zehen niedrige Woͤrtgen<lb/> in einem abgeſchmakten Verſe kriechen. Einerley<lb/> Schellenklang gehet immer bey ihnen herum, mit<lb/> <fw place="bottom" type="sig">E 2</fw><fw place="bottom" type="catch">ge-</fw><lb/><note place="foot" n="(l)"><hi rendition="#aq">Fugiemus crebras vocalium concurſiones quæ<lb/> vaſtam atque hiantem Orationem reddunt. Cic. ad He-<lb/> renn. lib. 4. Vide etiam Quintil. lib. 9. c.</hi> 4.</note><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [67/0083]
eines Kunſtrichters.
men ſie auch die groſſen Scribenten des Alter-
thums nicht beſſer nach, als Affen unſre Groß-
vaͤter, da ſie mit ihren Waͤmſtern bekleidet wer-
den. Jn den Woͤrtern und in der Mode hat ei-
nerley Regel ſtatt. Zu neu oder zu alt, iſt bey-
des gleich phantaſtiſch. Sey nicht der erſte, ein
neues Wort zu wagen, noch der lezte, ein altes
bey Seite zu legen.
Aber die meiſten beurtheilen ein Gedichte nach
dem Wohllaute. Gelind oder hart iſt ihnen gut
oder ſchlimm. Laß tauſend Annehmlichkeiten ſich
in der lebhafteſten Muſe vereinigen; die Thon-
ſuͤchtigen Thoren werden nichts als ihre Stimme
bewundern. Sie beſuchen den Parnaß nur um
das Ohr zu kuͤzeln und nicht den Verſtand zu beſ-
ſern, ſo wie mancher die Kirche nicht um der Pre-
digt, ſondern der Muſik willen beſuchet. Dieſe
ſehen auf nichts als gleiche Sylben; (k) Unbekuͤm-
mert, ob ein oͤfterer Zuſammenlauf der Lautbuch-
ſtaben das Ohr beleidige, ob die Flikwoͤrter das
beſte thun muͤſſen, und oft zehen niedrige Woͤrtgen
in einem abgeſchmakten Verſe kriechen. Einerley
Schellenklang gehet immer bey ihnen herum, mit
ge-
(l)
(k) (na molli
Quis populi ſermo eſt? Quis enim? Niſi carmi-
Nunc demum numero fluere, ut per læve ſeveros
Effugit junctura ungues: Scit tendere verſum
Non ſecus ac ſi oculo juncturam dirigat uno.
Perſius Sat. I.
(l) Fugiemus crebras vocalium concurſiones quæ
vaſtam atque hiantem Orationem reddunt. Cic. ad He-
renn. lib. 4. Vide etiam Quintil. lib. 9. c. 4.
E 2
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |