[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741.eines Kunstrichters. peitschen, bis sie zulezt gar entschlafen. Ein fal-scher Tritt reizet sie nur wieder von vornen anzu- fangen, wie ein liederliches Pferd, wenn es ge- stolpert hat, stärker anfängt zu laufen. Was für Schaaren von diesen ohnbußfertigen Köpfen wer- den nicht alt und grau in ihrer Bemühung, mit Sylben zu klingeln. Sie wollen mit Gewalt Poeten seyn, und druken aus toller Reimsucht ihr Gehirne bis auf die Hefen aus; sie erpressen auch die lezte trübe Tropfen ihres Verstandes; und reimen mit allem dem Rasen, das die Un- vermögenheit erweket. Solche schandbare Dichter haben wir. Doch Freund. (n) Nihil pejus est iis qui paullum aliquid ultra pri-
mas literas progressi falsam sibi scientiae persuasionem in- duerunt. Nam & cedere praecipiendi peritis indignantur & velut jure quodam potestatis quo fere hoc hominum genus intumescit imperiosi atque interim saevientes stulti- tiam suam perdocent. Quintil. lib. 1. c. 1. eines Kunſtrichters. peitſchen, bis ſie zulezt gar entſchlafen. Ein fal-ſcher Tritt reizet ſie nur wieder von vornen anzu- fangen, wie ein liederliches Pferd, wenn es ge- ſtolpert hat, ſtaͤrker anfaͤngt zu laufen. Was fuͤr Schaaren von dieſen ohnbußfertigen Koͤpfen wer- den nicht alt und grau in ihrer Bemuͤhung, mit Sylben zu klingeln. Sie wollen mit Gewalt Poeten ſeyn, und druken aus toller Reimſucht ihr Gehirne bis auf die Hefen aus; ſie erpreſſen auch die lezte truͤbe Tropfen ihres Verſtandes; und reimen mit allem dem Raſen, das die Un- vermoͤgenheit erweket. Solche ſchandbare Dichter haben wir. Doch Freund. (n) Nihil pejus eſt iis qui paullum aliquid ultra pri-
mas literas progreſſi falſam ſibi ſcientiæ perſuaſionem in- duerunt. Nam & cedere præcipiendi peritis indignantur & velut jure quodam poteſtatis quo fere hoc hominum genus intumeſcit imperioſi atque interim ſævientes ſtulti- tiam ſuam perdocent. Quintil. lib. 1. c. 1. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0095" n="79"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">eines Kunſtrichters.</hi></fw><lb/> peitſchen, bis ſie zulezt gar entſchlafen. Ein fal-<lb/> ſcher Tritt reizet ſie nur wieder von vornen anzu-<lb/> fangen, wie ein liederliches Pferd, wenn es ge-<lb/> ſtolpert hat, ſtaͤrker anfaͤngt zu laufen. Was fuͤr<lb/> Schaaren von dieſen ohnbußfertigen Koͤpfen wer-<lb/> den nicht alt und grau in ihrer Bemuͤhung, mit<lb/> Sylben zu klingeln. Sie wollen mit Gewalt<lb/> Poeten ſeyn, und druken aus toller Reimſucht<lb/> ihr Gehirne bis auf die Hefen aus; ſie erpreſſen<lb/> auch die lezte truͤbe Tropfen ihres Verſtandes;<lb/> und reimen mit allem dem Raſen, das die Un-<lb/> vermoͤgenheit erweket.</p><lb/> <p>Solche ſchandbare Dichter haben wir. Doch<lb/> giebt es gewiß eben ſo thoͤrichte und verwerfliche<lb/> Reimrichter. Ein hirnloſer Kopf, mit Laſten<lb/> von Folianten beſchwehrt, <note place="foot" n="(n)"><hi rendition="#aq">Nihil pejus eſt iis qui paullum aliquid ultra pri-<lb/> mas literas progreſſi falſam ſibi ſcientiæ perſuaſionem in-<lb/> duerunt. Nam & cedere præcipiendi peritis indignantur<lb/> & velut jure quodam poteſtatis quo fere hoc hominum<lb/> genus intumeſcit imperioſi atque interim ſævientes ſtulti-<lb/> tiam ſuam perdocent. Quintil. lib. 1. c.</hi> 1.</note> voll von Bele-<lb/> ſenheit und leer an Wiſſen, erbauet ſein Ohr ſtets<lb/> mit ſeiner eigenen Zunge. Er ſcheinet immer ſich<lb/> ſelbſt zuzuhoͤren. Er lieſt alle Buͤcher uud taſtet<lb/> alle an, die er lieſt, von Drydens Fabeln, bis<lb/> auf Duͤrfeys Maͤhrgen herab. Nach ſeinem Aus-<lb/> ſpruche haben die meiſten Scribenten ihre Wer-<lb/> ke geſtohlen oder erkauft, und Garth hat ſein ei-<lb/> genes Diſpenſarium nicht ſelbſt geſchrieben. Nen-<lb/> net ihm eine neue Comoͤdie. Er iſt des Poeten<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Freund.</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [79/0095]
eines Kunſtrichters.
peitſchen, bis ſie zulezt gar entſchlafen. Ein fal-
ſcher Tritt reizet ſie nur wieder von vornen anzu-
fangen, wie ein liederliches Pferd, wenn es ge-
ſtolpert hat, ſtaͤrker anfaͤngt zu laufen. Was fuͤr
Schaaren von dieſen ohnbußfertigen Koͤpfen wer-
den nicht alt und grau in ihrer Bemuͤhung, mit
Sylben zu klingeln. Sie wollen mit Gewalt
Poeten ſeyn, und druken aus toller Reimſucht
ihr Gehirne bis auf die Hefen aus; ſie erpreſſen
auch die lezte truͤbe Tropfen ihres Verſtandes;
und reimen mit allem dem Raſen, das die Un-
vermoͤgenheit erweket.
Solche ſchandbare Dichter haben wir. Doch
giebt es gewiß eben ſo thoͤrichte und verwerfliche
Reimrichter. Ein hirnloſer Kopf, mit Laſten
von Folianten beſchwehrt, (n) voll von Bele-
ſenheit und leer an Wiſſen, erbauet ſein Ohr ſtets
mit ſeiner eigenen Zunge. Er ſcheinet immer ſich
ſelbſt zuzuhoͤren. Er lieſt alle Buͤcher uud taſtet
alle an, die er lieſt, von Drydens Fabeln, bis
auf Duͤrfeys Maͤhrgen herab. Nach ſeinem Aus-
ſpruche haben die meiſten Scribenten ihre Wer-
ke geſtohlen oder erkauft, und Garth hat ſein ei-
genes Diſpenſarium nicht ſelbſt geſchrieben. Nen-
net ihm eine neue Comoͤdie. Er iſt des Poeten
Freund.
(n) Nihil pejus eſt iis qui paullum aliquid ultra pri-
mas literas progreſſi falſam ſibi ſcientiæ perſuaſionem in-
duerunt. Nam & cedere præcipiendi peritis indignantur
& velut jure quodam poteſtatis quo fere hoc hominum
genus intumeſcit imperioſi atque interim ſævientes ſtulti-
tiam ſuam perdocent. Quintil. lib. 1. c. 1.
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