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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 2. Zürich, 1741.

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der Critick bey den Deutschen.
"Flemming die heroische, von Gryphius die be-
"wegliche und durchdringende, von Hoffmanns-
"waldau die liebliche, galante, und verliebte,
"von Lohenstein die scharfsinnige, spruchreiche
"und gelehrte, und also von einem jeden eine be-
"sondere Schreibart lernen, und durch deren
"künstliche Vermischung diejenige zuwegebringen,
"welche die Lateiner den Stilum Sublimem nen-
"nen."

Endlich schließt er, daß unter tausen-
den kaum einer so glückselig sey, daß er sich zur
Poesie rechtschaffen schickete; und so er es ja end-
lich sey, so gebreche es ihm doch entweder an Ge-
dult, oder Zeit, oder am Glücke in seiner Befö-
derung, und also am vornehmsten, welches zu ei-
nem Dichter erfodert wird, nemlich an einem frö-
lichen Gemüthe. Dannenhero thun nach seinem
Erachten diejenigen am besten, welche die Mittel-
strasse halten, sich bloß auf galante Gedichte le-
gen, und um die Geheimnisse der hohen Poesie
unbekümmert lassen. Ein Schluß, welcher der Mei-
nung der Alten schnurstracks zuwieder ist:

- - - - Mediocribus esse poetis
Non DI, non homines, non concessere columnae.

Diese Urtheile sind zur selben Zeit durchgehends
vor feine Critick angesehen worden, ungeachtet sie
allein auf den willkürlichen Geschmack des Kunst-
richters gebauet sind. Ja ungeachtet man von
der Kraft, so den Trauerspielen Lohensteins, und
Gryphius, und den Heldenbriefen Hoffmannswal-
daus zugeschrieben wird, in Durchlesung derselben
nichts empfindet, hat man diese Aussprüche doch

mit
G 2
der Critick bey den Deutſchen.
„Flemming die heroiſche, von Gryphius die be-
„wegliche und durchdringende, von Hoffmanns-
„waldau die liebliche, galante, und verliebte,
„von Lohenſtein die ſcharfſinnige, ſpruchreiche
„und gelehrte, und alſo von einem jeden eine be-
„ſondere Schreibart lernen, und durch deren
„kuͤnſtliche Vermiſchung diejenige zuwegebringen,
„welche die Lateiner den Stilum Sublimem nen-
„nen.„

Endlich ſchließt er, daß unter tauſen-
den kaum einer ſo gluͤckſelig ſey, daß er ſich zur
Poeſie rechtſchaffen ſchickete; und ſo er es ja end-
lich ſey, ſo gebreche es ihm doch entweder an Ge-
dult, oder Zeit, oder am Gluͤcke in ſeiner Befoͤ-
derung, und alſo am vornehmſten, welches zu ei-
nem Dichter erfodert wird, nemlich an einem froͤ-
lichen Gemuͤthe. Dannenhero thun nach ſeinem
Erachten diejenigen am beſten, welche die Mittel-
ſtraſſe halten, ſich bloß auf galante Gedichte le-
gen, und um die Geheimniſſe der hohen Poeſie
unbekuͤmmert laſſen. Ein Schluß, welcher der Mei-
nung der Alten ſchnurſtracks zuwieder iſt:

‒ ‒ ‒ ‒ Mediocribus eſſe poetis
Non DI, non homines, non conceſſere columnæ.

Dieſe Urtheile ſind zur ſelben Zeit durchgehends
vor feine Critick angeſehen worden, ungeachtet ſie
allein auf den willkuͤrlichen Geſchmack des Kunſt-
richters gebauet ſind. Ja ungeachtet man von
der Kraft, ſo den Trauerſpielen Lohenſteins, und
Gryphius, und den Heldenbriefen Hoffmannswal-
daus zugeſchrieben wird, in Durchleſung derſelben
nichts empfindet, hat man dieſe Ausſpruͤche doch

mit
G 2
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[99/0101] der Critick bey den Deutſchen. „Flemming die heroiſche, von Gryphius die be- „wegliche und durchdringende, von Hoffmanns- „waldau die liebliche, galante, und verliebte, „von Lohenſtein die ſcharfſinnige, ſpruchreiche „und gelehrte, und alſo von einem jeden eine be- „ſondere Schreibart lernen, und durch deren „kuͤnſtliche Vermiſchung diejenige zuwegebringen, „welche die Lateiner den Stilum Sublimem nen- „nen.„ Endlich ſchließt er, daß unter tauſen- den kaum einer ſo gluͤckſelig ſey, daß er ſich zur Poeſie rechtſchaffen ſchickete; und ſo er es ja end- lich ſey, ſo gebreche es ihm doch entweder an Ge- dult, oder Zeit, oder am Gluͤcke in ſeiner Befoͤ- derung, und alſo am vornehmſten, welches zu ei- nem Dichter erfodert wird, nemlich an einem froͤ- lichen Gemuͤthe. Dannenhero thun nach ſeinem Erachten diejenigen am beſten, welche die Mittel- ſtraſſe halten, ſich bloß auf galante Gedichte le- gen, und um die Geheimniſſe der hohen Poeſie unbekuͤmmert laſſen. Ein Schluß, welcher der Mei- nung der Alten ſchnurſtracks zuwieder iſt: ‒ ‒ ‒ ‒ Mediocribus eſſe poetis Non DI, non homines, non conceſſere columnæ. Dieſe Urtheile ſind zur ſelben Zeit durchgehends vor feine Critick angeſehen worden, ungeachtet ſie allein auf den willkuͤrlichen Geſchmack des Kunſt- richters gebauet ſind. Ja ungeachtet man von der Kraft, ſo den Trauerſpielen Lohenſteins, und Gryphius, und den Heldenbriefen Hoffmannswal- daus zugeſchrieben wird, in Durchleſung derſelben nichts empfindet, hat man dieſe Ausſpruͤche doch mit G 2

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 2. Zürich, 1741, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung02_1741/101>, abgerufen am 18.05.2024.