[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 2. Zürich, 1741.Nachrichten von dem Ursprunge ihnen darum gantz schlimme Neigungen und Ab-sichten zu; daß sie nur aus bösem Hertzen tadel- ten; daß sie nur aus Liebe zum Widersprechen lo- beten, was ein andrer getadelt, tadelten, was ein andrer gelobet hätte; man eignete ihnen darum die seltsame Kunst zu, daß sie alles critisiren könn- ten; daß sie das ernstlichste lächerlich, das schön- ste häßlich, wie hingegen das possierliche ernst- hast, das verwerffliche angenehm vorstellen könn- ten. Doch getrauete sich niemand, oder niemand wollte die Mühe nehmen, die sophistischen Griffe dieser verderblichen Kunst in ihren Schriften zu entdecken, und die Wahrheit, deren beständiger Character sich durch die angeworffenen Kleke nicht tilgen läßt, in ihrem reinen Lichte herzustellen. Jn der Zeit, daß man die Fortsetzung der ver- Anlei-
Nachrichten von dem Urſprunge ihnen darum gantz ſchlimme Neigungen und Ab-ſichten zu; daß ſie nur aus boͤſem Hertzen tadel- ten; daß ſie nur aus Liebe zum Widerſprechen lo- beten, was ein andrer getadelt, tadelten, was ein andrer gelobet haͤtte; man eignete ihnen darum die ſeltſame Kunſt zu, daß ſie alles critiſiren koͤnn- ten; daß ſie das ernſtlichſte laͤcherlich, das ſchoͤn- ſte haͤßlich, wie hingegen das poſſierliche ernſt- haſt, das verwerffliche angenehm vorſtellen koͤnn- ten. Doch getrauete ſich niemand, oder niemand wollte die Muͤhe nehmen, die ſophiſtiſchen Griffe dieſer verderblichen Kunſt in ihren Schriften zu entdecken, und die Wahrheit, deren beſtaͤndiger Character ſich durch die angeworffenen Kleke nicht tilgen laͤßt, in ihrem reinen Lichte herzuſtellen. Jn der Zeit, daß man die Fortſetzung der ver- Anlei-
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Nachrichten von dem Urſprunge
ihnen darum gantz ſchlimme Neigungen und Ab-
ſichten zu; daß ſie nur aus boͤſem Hertzen tadel-
ten; daß ſie nur aus Liebe zum Widerſprechen lo-
beten, was ein andrer getadelt, tadelten, was
ein andrer gelobet haͤtte; man eignete ihnen darum
die ſeltſame Kunſt zu, daß ſie alles critiſiren koͤnn-
ten; daß ſie das ernſtlichſte laͤcherlich, das ſchoͤn-
ſte haͤßlich, wie hingegen das poſſierliche ernſt-
haſt, das verwerffliche angenehm vorſtellen koͤnn-
ten. Doch getrauete ſich niemand, oder niemand
wollte die Muͤhe nehmen, die ſophiſtiſchen Griffe
dieſer verderblichen Kunſt in ihren Schriften zu
entdecken, und die Wahrheit, deren beſtaͤndiger
Character ſich durch die angeworffenen Kleke nicht
tilgen laͤßt, in ihrem reinen Lichte herzuſtellen.
Jn der Zeit, daß man die Fortſetzung der ver-
nuͤnftigen Gedancken und Urtheile von der Beredt-
ſamkeit erwartete, da ihrem Plane gemaͤß die
wichtige Frage, was in den Schriften geiſtreich
oder ſcharfſinnig ſey, eroͤrtert, und gezeiget wer-
den ſollte, was der Witz fuͤr Einfluß auf die Be-
redtſamkeit haͤtte, gab Herr Prof. Gottſched zu
Leipzig den Verſuch einer critiſchen Dichtkunſt fuͤr
die Deutſchen heraus, worinnen er ſich vorgenom-
men, etwas tiefer zu gehen, als die bloſſe Mecha-
nick des Verſes, und der Versarten zu unterſu-
chen. Jn der Vorrede, wo er uns ſeine poeti-
ſche und critiſche Lebens-Geſchichte erzehlt, ſagt
er, daß der Hr. Prof. Pietſch ſchon vor dem Jahr
1724. einmahl gedacht, daß er nicht ungeneigt
waͤre, eine Anweiſung zur Poeſie zu ſchreiben,
nicht zwar auf den Schlag, als die gewohnlichen
Anlei-
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