[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 2. Zürich, 1741.Stücke der Schutzvorrede ken, Worte, und Reime, um Fabeln undMähr- pflan- dancken sind endlich noch wohl einer Beurtheilung werth; und der Eifer eines guten Kunstrichters gegen solche mögte endlich noch wohl zu rechtfertigen seyn. Alleine da mir die Hamburgischen Berichte von ge- lehrten Sachen No. LXXIV. ungefehr in die Hände fielen, allwo die neue Auflage der Tr-ll-rischen Fabeln sehr fleissig angepriesen, dem Schweitzerischen Kunst- richter seine tollkühne Vermessenheit derbe verwiesen, und die Vertheidigung dieses unverbesserlichen deutschen Dichters mit seinen eigenen Kern-Worten beschlossen wird, fand ich zu allem Glücke eben diese Ausdrückung; es heißt gegen dem Ende: um Sylben, Gedancken, Wörter und Reime müssen Bescheidenheit, Gelin- digkeit und Menschenliebe gäntzlich hintan gesezt werden? Diese Stellen sind einander so ähnlich, daß keine ohne die andere kan verändert werden, und es schwer zu errathen ist, welche von der andern abgese- hen worden: Auch kan Hr. Z* am besten wissen, was Hrn. D. Tr-ll-rs Gedancken über critische Materien seyn. Jch verwerfe daher meine erste Muthmassung selbst, und erkläre den Sinn des Verfassers so, daß er nicht mehrers sagen wolle, als, man müsse den irrenden Scribenten, wenn sie auch gleich in den Gedancken noch so übel verstossen, mit Sanftmuth und Höflichkeit zurecht helfen. Um Fabeln und Mährchen) Mährchen sind wun-
derbare und abentheurliche Erzehlungen, die nicht die geringste Wahrscheinlichkeit haben; hiemit wunderbare Lügen, dergleichen unverständige Ammen den kleinen Kindern zu erzehlen, und ihnen damit die Zeit zu kür- zen pflegen. Diese Mährchen haben eben eine so lehr- reiche Absicht, als die guten Fabeln; doch kan dieses ihren Gebrauch nicht rechtfertigen: Man muß die Wahrheit und das Nützliche nicht durch Lügen fort- Stuͤcke der Schutzvorrede ken, Worte, und Reime, um Fabeln undMaͤhr- pflan- dancken ſind endlich noch wohl einer Beurtheilung werth; und der Eifer eines guten Kunſtrichters gegen ſolche moͤgte endlich noch wohl zu rechtfertigen ſeyn. Alleine da mir die Hamburgiſchen Berichte von ge- lehrten Sachen No. LXXIV. ungefehr in die Haͤnde fielen, allwo die neue Auflage der Tr-ll-riſchen Fabeln ſehr fleiſſig angeprieſen, dem Schweitzeriſchen Kunſt- richter ſeine tollkuͤhne Vermeſſenheit derbe verwieſen, und die Vertheidigung dieſes unverbeſſerlichen deutſchen Dichters mit ſeinen eigenen Kern-Worten beſchloſſen wird, fand ich zu allem Gluͤcke eben dieſe Ausdruͤckung; es heißt gegen dem Ende: um Sylben, Gedancken, Woͤrter und Reime muͤſſen Beſcheidenheit, Gelin- digkeit und Menſchenliebe gaͤntzlich hintan geſezt werden? Dieſe Stellen ſind einander ſo aͤhnlich, daß keine ohne die andere kan veraͤndert werden, und es ſchwer zu errathen iſt, welche von der andern abgeſe- hen worden: Auch kan Hr. Z* am beſten wiſſen, was Hrn. D. Tr-ll-rs Gedancken uͤber critiſche Materien ſeyn. Jch verwerfe daher meine erſte Muthmaſſung ſelbſt, und erklaͤre den Sinn des Verfaſſers ſo, daß er nicht mehrers ſagen wolle, als, man muͤſſe den irrenden Scribenten, wenn ſie auch gleich in den Gedancken noch ſo uͤbel verſtoſſen, mit Sanftmuth und Hoͤflichkeit zurecht helfen. Um Fabeln und Maͤhrchen) Maͤhrchen ſind wun-
derbare und abentheurliche Erzehlungen, die nicht die geringſte Wahrſcheinlichkeit haben; hiemit wunderbare Luͤgen, dergleichen unverſtaͤndige Ammen den kleinen Kindern zu erzehlen, und ihnen damit die Zeit zu kuͤr- zen pflegen. Dieſe Maͤhrchen haben eben eine ſo lehr- reiche Abſicht, als die guten Fabeln; doch kan dieſes ihren Gebrauch nicht rechtfertigen: Man muß die Wahrheit und das Nuͤtzliche nicht durch Luͤgen fort- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0030" n="28"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Stuͤcke der Schutzvorrede</hi></fw><lb/><hi rendition="#fr">ken, Worte,</hi> und <hi rendition="#fr">Reime,</hi> um <hi rendition="#fr">Fabeln</hi> und<lb/> <fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">Maͤhr-</hi></fw><lb/><note xml:id="f06" prev="#f05" place="foot">dancken ſind endlich noch wohl einer Beurtheilung<lb/> werth; und der Eifer eines guten Kunſtrichters gegen<lb/> ſolche moͤgte endlich noch wohl zu rechtfertigen ſeyn.<lb/> Alleine da mir <hi rendition="#fr">die Hamburgiſchen Berichte von ge-<lb/> lehrten Sachen</hi> <hi rendition="#aq">No. LXXIV.</hi> ungefehr in die Haͤnde<lb/> fielen, allwo die neue Auflage der Tr-ll-riſchen Fabeln<lb/> ſehr fleiſſig angeprieſen, dem Schweitzeriſchen Kunſt-<lb/> richter ſeine tollkuͤhne Vermeſſenheit derbe verwieſen,<lb/> und die Vertheidigung dieſes unverbeſſerlichen deutſchen<lb/> Dichters mit ſeinen eigenen Kern-Worten beſchloſſen<lb/> wird, fand ich zu allem Gluͤcke eben dieſe Ausdruͤckung;<lb/> es heißt gegen dem Ende: <hi rendition="#fr">um Sylben, Gedancken,<lb/> Woͤrter und Reime muͤſſen Beſcheidenheit, Gelin-<lb/> digkeit und Menſchenliebe gaͤntzlich hintan geſezt<lb/> werden?</hi> Dieſe Stellen ſind einander ſo aͤhnlich, daß<lb/> keine ohne die andere kan veraͤndert werden, und es<lb/> ſchwer zu errathen iſt, welche von der andern abgeſe-<lb/> hen worden: Auch kan Hr. Z* am beſten wiſſen, was<lb/> Hrn. D. Tr-ll-rs Gedancken uͤber critiſche Materien<lb/> ſeyn. Jch verwerfe daher meine erſte Muthmaſſung<lb/> ſelbſt, und erklaͤre den Sinn des Verfaſſers ſo, daß er<lb/> nicht mehrers ſagen wolle, als, man muͤſſe den irrenden<lb/> Scribenten, wenn ſie auch gleich in den <hi rendition="#fr">Gedancken</hi><lb/> noch ſo uͤbel verſtoſſen, mit Sanftmuth und Hoͤflichkeit<lb/> zurecht helfen.</note><lb/><note xml:id="f07" place="foot" next="#f08"><hi rendition="#fr">Um Fabeln und Maͤhrchen</hi>) Maͤhrchen ſind wun-<lb/> derbare und abentheurliche Erzehlungen, die nicht die<lb/> geringſte Wahrſcheinlichkeit haben; hiemit wunderbare<lb/> Luͤgen, dergleichen unverſtaͤndige Ammen den kleinen<lb/> Kindern zu erzehlen, und ihnen damit die Zeit zu kuͤr-<lb/> zen pflegen. Dieſe Maͤhrchen haben eben eine ſo lehr-<lb/> reiche Abſicht, als die guten Fabeln; doch kan dieſes<lb/> ihren Gebrauch nicht rechtfertigen: Man muß die<lb/> Wahrheit und das Nuͤtzliche nicht durch Luͤgen fort-</note><lb/> <fw place="bottom" type="catch">pflan-</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [28/0030]
Stuͤcke der Schutzvorrede
ken, Worte, und Reime, um Fabeln und
Maͤhr-
pflan-
dancken ſind endlich noch wohl einer Beurtheilung
werth; und der Eifer eines guten Kunſtrichters gegen
ſolche moͤgte endlich noch wohl zu rechtfertigen ſeyn.
Alleine da mir die Hamburgiſchen Berichte von ge-
lehrten Sachen No. LXXIV. ungefehr in die Haͤnde
fielen, allwo die neue Auflage der Tr-ll-riſchen Fabeln
ſehr fleiſſig angeprieſen, dem Schweitzeriſchen Kunſt-
richter ſeine tollkuͤhne Vermeſſenheit derbe verwieſen,
und die Vertheidigung dieſes unverbeſſerlichen deutſchen
Dichters mit ſeinen eigenen Kern-Worten beſchloſſen
wird, fand ich zu allem Gluͤcke eben dieſe Ausdruͤckung;
es heißt gegen dem Ende: um Sylben, Gedancken,
Woͤrter und Reime muͤſſen Beſcheidenheit, Gelin-
digkeit und Menſchenliebe gaͤntzlich hintan geſezt
werden? Dieſe Stellen ſind einander ſo aͤhnlich, daß
keine ohne die andere kan veraͤndert werden, und es
ſchwer zu errathen iſt, welche von der andern abgeſe-
hen worden: Auch kan Hr. Z* am beſten wiſſen, was
Hrn. D. Tr-ll-rs Gedancken uͤber critiſche Materien
ſeyn. Jch verwerfe daher meine erſte Muthmaſſung
ſelbſt, und erklaͤre den Sinn des Verfaſſers ſo, daß er
nicht mehrers ſagen wolle, als, man muͤſſe den irrenden
Scribenten, wenn ſie auch gleich in den Gedancken
noch ſo uͤbel verſtoſſen, mit Sanftmuth und Hoͤflichkeit
zurecht helfen.
Um Fabeln und Maͤhrchen) Maͤhrchen ſind wun-
derbare und abentheurliche Erzehlungen, die nicht die
geringſte Wahrſcheinlichkeit haben; hiemit wunderbare
Luͤgen, dergleichen unverſtaͤndige Ammen den kleinen
Kindern zu erzehlen, und ihnen damit die Zeit zu kuͤr-
zen pflegen. Dieſe Maͤhrchen haben eben eine ſo lehr-
reiche Abſicht, als die guten Fabeln; doch kan dieſes
ihren Gebrauch nicht rechtfertigen: Man muß die
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