Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 2. Zürich, 1741.

Bild:
<< vorherige Seite

für die Tr-ll-rischen Fabeln.
tige Ursache, sich so lächerlich zu entrüsten,

und
liefern, womit sie ihm beykommen können, wenn man
öffentlich von einem bezeuget, daß er den Ruhm,
welchen er erlanget hat, nicht verdiene? Der Hr.
D. Tr-ll-r kan sein eigenes Heu Stroh nennen; aber
das ist darum einem andern nicht erlaubt, und Com-
plimente muß man nicht grad vor Ernst aufnehmen.
Nicht besser ist, was bald hernach folget: "Vicle
"seiner Gedichte hat er in seiner noch blühenden und
"feurigen Jugend verfertiget, daher die Worte oft
"besser sind, als die Gedancken."
Und an einem
andern Orte: "Er gläubt, die gelehrte Welt könne
"seiner poetischen Gedancken, die, aus Mangel der
"Zeit, nie sattsam ausgearbeitet werden können,
"mit leichter Mühe entrathen."
Was könnte wohl
der ärgste Feind schlimmers von einem Gedichte sagen,
als daß es nicht ausgearbeitet, und daß die schönen
und prächtigen Worte wohl das beste daran seyn?
Wenn Hr. Doctor selbst sich also erklären würde, so
würde es jedermann vor eine Ausdrückung seiner an-
gebohrnen Bescheidenheit aufnehmen: Aber da es von
einem andern gesagt wird, von dem man voraussetzet,
daß er ausser Stand sey, seinen Helden zu beschimpfen,
so dürften dergleichen lose Reden im Ernst aufgenom-
men werden.
Wichtige Ursache, sich so lächerlich zu entrüsten)
Man bemercke hier die pathetische Figur des Ausrufs,
welche dem störrischen Kunstrichter nothwendig eine Rö-
the ins Angesicht jagen, und ihn mit Scham bedecken
wird. Sollte es nicht lächerlich seyn, daß ein ernsthaf-
ter Criticus sich über unschuldige und dabey noch lehr-
reiche Mährchen einer Kinderwärterin, über junger Leu-
te Schertz und Kurtzweil, über Sylben und Reimen,
und andere solche Kleinigkeiten so heftig entrüstet, als
ob es um die Bestrafung eines Hochverraths zu thun
wäre?

fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln.
tige Urſache, ſich ſo laͤcherlich zu entruͤſten,

und
liefern, womit ſie ihm beykommen koͤnnen, wenn man
oͤffentlich von einem bezeuget, daß er den Ruhm,
welchen er erlanget hat, nicht verdiene? Der Hr.
D. Tr-ll-r kan ſein eigenes Heu Stroh nennen; aber
das iſt darum einem andern nicht erlaubt, und Com-
plimente muß man nicht grad vor Ernſt aufnehmen.
Nicht beſſer iſt, was bald hernach folget: „Vicle
„ſeiner Gedichte hat er in ſeiner noch bluͤhenden und
„feurigen Jugend verfertiget, daher die Worte oft
„beſſer ſind, als die Gedancken.„
Und an einem
andern Orte: „Er glaͤubt, die gelehrte Welt koͤnne
„ſeiner poetiſchen Gedancken, die, aus Mangel der
„Zeit, nie ſattſam ausgearbeitet werden koͤnnen,
„mit leichter Muͤhe entrathen.„
Was koͤnnte wohl
der aͤrgſte Feind ſchlimmers von einem Gedichte ſagen,
als daß es nicht ausgearbeitet, und daß die ſchoͤnen
und praͤchtigen Worte wohl das beſte daran ſeyn?
Wenn Hr. Doctor ſelbſt ſich alſo erklaͤren wuͤrde, ſo
wuͤrde es jedermann vor eine Ausdruͤckung ſeiner an-
gebohrnen Beſcheidenheit aufnehmen: Aber da es von
einem andern geſagt wird, von dem man vorausſetzet,
daß er auſſer Stand ſey, ſeinen Helden zu beſchimpfen,
ſo duͤrften dergleichen loſe Reden im Ernſt aufgenom-
men werden.
Wichtige Urſache, ſich ſo laͤcherlich zu entruͤſten)
Man bemercke hier die pathetiſche Figur des Ausrufs,
welche dem ſtoͤrriſchen Kunſtrichter nothwendig eine Roͤ-
the ins Angeſicht jagen, und ihn mit Scham bedecken
wird. Sollte es nicht laͤcherlich ſeyn, daß ein ernſthaf-
ter Criticus ſich uͤber unſchuldige und dabey noch lehr-
reiche Maͤhrchen einer Kinderwaͤrterin, uͤber junger Leu-
te Schertz und Kurtzweil, uͤber Sylben und Reimen,
und andere ſolche Kleinigkeiten ſo heftig entruͤſtet, als
ob es um die Beſtrafung eines Hochverraths zu thun
waͤre?
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0033" n="31"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">fu&#x0364;r die Tr-ll-ri&#x017F;chen Fabeln.</hi></fw><lb/><hi rendition="#fr">tige Ur&#x017F;ache,</hi> &#x017F;ich &#x017F;o la&#x0364;cherlich zu entru&#x0364;&#x017F;ten,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/><note xml:id="f10" prev="#f09" place="foot">liefern, womit &#x017F;ie ihm beykommen ko&#x0364;nnen, wenn man<lb/>
o&#x0364;ffentlich von einem bezeuget, daß er den Ruhm,<lb/>
welchen er erlanget hat, nicht verdiene? Der Hr.<lb/>
D. Tr-ll-r kan &#x017F;ein eigenes Heu Stroh nennen; aber<lb/>
das i&#x017F;t darum einem andern nicht erlaubt, und Com-<lb/>
plimente muß man nicht grad vor Ern&#x017F;t aufnehmen.<lb/>
Nicht be&#x017F;&#x017F;er i&#x017F;t, was bald hernach folget: <cit><quote>&#x201E;Vi<hi rendition="#aq">c</hi>le<lb/>
&#x201E;&#x017F;einer Gedichte hat er in &#x017F;einer noch blu&#x0364;henden und<lb/>
&#x201E;feurigen Jugend verfertiget, daher die Worte oft<lb/>
&#x201E;be&#x017F;&#x017F;er &#x017F;ind, <hi rendition="#fr">als die Gedancken.&#x201E;</hi></quote></cit> Und an einem<lb/>
andern Orte: <cit><quote>&#x201E;Er gla&#x0364;ubt, die gelehrte Welt ko&#x0364;nne<lb/>
&#x201E;&#x017F;einer poeti&#x017F;chen Gedancken, die, aus Mangel der<lb/>
&#x201E;Zeit, <hi rendition="#fr">nie &#x017F;att&#x017F;am ausgearbeitet werden ko&#x0364;nnen,</hi><lb/>
&#x201E;mit leichter Mu&#x0364;he entrathen.&#x201E;</quote></cit> Was ko&#x0364;nnte wohl<lb/>
der a&#x0364;rg&#x017F;te Feind &#x017F;chlimmers von einem Gedichte &#x017F;agen,<lb/>
als daß es nicht ausgearbeitet, und daß die &#x017F;cho&#x0364;nen<lb/>
und pra&#x0364;chtigen Worte wohl das be&#x017F;te daran &#x017F;eyn?<lb/>
Wenn Hr. Doctor &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ich al&#x017F;o erkla&#x0364;ren wu&#x0364;rde, &#x017F;o<lb/>
wu&#x0364;rde es jedermann vor eine Ausdru&#x0364;ckung &#x017F;einer an-<lb/>
gebohrnen Be&#x017F;cheidenheit aufnehmen: Aber da es von<lb/>
einem andern ge&#x017F;agt wird, von dem man voraus&#x017F;etzet,<lb/>
daß er au&#x017F;&#x017F;er Stand &#x017F;ey, &#x017F;einen Helden zu be&#x017F;chimpfen,<lb/>
&#x017F;o du&#x0364;rften dergleichen lo&#x017F;e Reden im Ern&#x017F;t aufgenom-<lb/>
men werden.</note><lb/><note place="foot"><hi rendition="#fr">Wichtige Ur&#x017F;ache, &#x017F;ich &#x017F;o la&#x0364;cherlich zu entru&#x0364;&#x017F;ten</hi>)<lb/>
Man bemercke hier die patheti&#x017F;che Figur des Ausrufs,<lb/>
welche dem &#x017F;to&#x0364;rri&#x017F;chen Kun&#x017F;trichter nothwendig eine Ro&#x0364;-<lb/>
the ins Ange&#x017F;icht jagen, und ihn mit Scham bedecken<lb/>
wird. Sollte es nicht la&#x0364;cherlich &#x017F;eyn, daß ein ern&#x017F;thaf-<lb/>
ter Criticus &#x017F;ich u&#x0364;ber un&#x017F;chuldige und dabey noch lehr-<lb/>
reiche Ma&#x0364;hrchen einer Kinderwa&#x0364;rterin, u&#x0364;ber junger Leu-<lb/>
te Schertz und Kurtzweil, u&#x0364;ber Sylben und Reimen,<lb/>
und andere &#x017F;olche Kleinigkeiten &#x017F;o heftig entru&#x0364;&#x017F;tet, als<lb/>
ob es um die Be&#x017F;trafung eines Hochverraths zu thun<lb/>
wa&#x0364;re?</note><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[31/0033] fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln. tige Urſache, ſich ſo laͤcherlich zu entruͤſten, und liefern, womit ſie ihm beykommen koͤnnen, wenn man oͤffentlich von einem bezeuget, daß er den Ruhm, welchen er erlanget hat, nicht verdiene? Der Hr. D. Tr-ll-r kan ſein eigenes Heu Stroh nennen; aber das iſt darum einem andern nicht erlaubt, und Com- plimente muß man nicht grad vor Ernſt aufnehmen. Nicht beſſer iſt, was bald hernach folget: „Vicle „ſeiner Gedichte hat er in ſeiner noch bluͤhenden und „feurigen Jugend verfertiget, daher die Worte oft „beſſer ſind, als die Gedancken.„ Und an einem andern Orte: „Er glaͤubt, die gelehrte Welt koͤnne „ſeiner poetiſchen Gedancken, die, aus Mangel der „Zeit, nie ſattſam ausgearbeitet werden koͤnnen, „mit leichter Muͤhe entrathen.„ Was koͤnnte wohl der aͤrgſte Feind ſchlimmers von einem Gedichte ſagen, als daß es nicht ausgearbeitet, und daß die ſchoͤnen und praͤchtigen Worte wohl das beſte daran ſeyn? Wenn Hr. Doctor ſelbſt ſich alſo erklaͤren wuͤrde, ſo wuͤrde es jedermann vor eine Ausdruͤckung ſeiner an- gebohrnen Beſcheidenheit aufnehmen: Aber da es von einem andern geſagt wird, von dem man vorausſetzet, daß er auſſer Stand ſey, ſeinen Helden zu beſchimpfen, ſo duͤrften dergleichen loſe Reden im Ernſt aufgenom- men werden. Wichtige Urſache, ſich ſo laͤcherlich zu entruͤſten) Man bemercke hier die pathetiſche Figur des Ausrufs, welche dem ſtoͤrriſchen Kunſtrichter nothwendig eine Roͤ- the ins Angeſicht jagen, und ihn mit Scham bedecken wird. Sollte es nicht laͤcherlich ſeyn, daß ein ernſthaf- ter Criticus ſich uͤber unſchuldige und dabey noch lehr- reiche Maͤhrchen einer Kinderwaͤrterin, uͤber junger Leu- te Schertz und Kurtzweil, uͤber Sylben und Reimen, und andere ſolche Kleinigkeiten ſo heftig entruͤſtet, als ob es um die Beſtrafung eines Hochverraths zu thun waͤre?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung02_1741
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung02_1741/33
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 2. Zürich, 1741, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung02_1741/33>, abgerufen am 21.11.2024.