Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742.

Bild:
<< vorherige Seite
Von der Schreibart

Was vor einen Reichthum besitzt sie an sogenann-
ten Verbis facessentibus; was vor Vortheile
geben ihr so viele und so verschiedene Gerundia,
und daher entstehende Gerundialredensarten, da
unsre Sprache nicht ein einziges Gerundium hat,
wiewohl sie im vierzehnten Jahrhundert dergleichen
besessen hatte; anderer und anderer Vortheile zu
geschweigen, welche denjenigen nicht verborgen
bleiben können, die sich befleissen, aus der Engli-
schen Sprache mit Beybehaltung des Nachdru-
kes, der Kürze, der genaubestimmten Abmessung,
und der Mannigfaltigkeit im Ausdruke, zu übersezen.

Man kan hieraus wohl abnehmen, was vor
Schwierigkeiten es giebt, Miltons Schreibart
im Deutschen mit Nachdruck und Klarheit ohne
Mattigkeit zu geben; nicht nur die Gedanken nach
ihrem flüchtigen Umfange, sondern auch ihre
Form, wodurch ihre Grade bestimmet werden, aus-
zudrüken. Denn ohne diese Sorge muß man noth-
wendig in eine periphrastische Kaltsinnigkeit und
Flüchtigkeit verfallen, dergleichen man dem Poe-
ten Schuld gegeben, der Popens Versuch von
dem Menschen
in deutschen Versen übersezet hat;
man wird nur Uebersezungen machen, die gegen
die Originale gestellt das seyn werden, was um-
gekehrte Türkische Tapeten. Einige haben zwar
dieses Gleichniß auf alle Uebersezungen ohne Unter-
scheid, auch die möglichbesten erstreken wollen,
worinnen sie aber zu weit gegangen sind. Ein
Verstand, ein Geist, kan ohne Zweifel dem an-
dern seine Gedanken durch die Rede mit einer Ge-
nauigkeit zu verstehen geben, daß die Aehnlichkeit

dersel-
Von der Schreibart

Was vor einen Reichthum beſitzt ſie an ſogenann-
ten Verbis faceſſentibus; was vor Vortheile
geben ihr ſo viele und ſo verſchiedene Gerundia,
und daher entſtehende Gerundialredensarten, da
unſre Sprache nicht ein einziges Gerundium hat,
wiewohl ſie im vierzehnten Jahrhundert dergleichen
beſeſſen hatte; anderer und anderer Vortheile zu
geſchweigen, welche denjenigen nicht verborgen
bleiben koͤnnen, die ſich befleiſſen, aus der Engli-
ſchen Sprache mit Beybehaltung des Nachdru-
kes, der Kuͤrze, der genaubeſtimmten Abmeſſung,
und der Mannigfaltigkeit im Ausdruke, zu uͤberſezen.

Man kan hieraus wohl abnehmen, was vor
Schwierigkeiten es giebt, Miltons Schreibart
im Deutſchen mit Nachdruck und Klarheit ohne
Mattigkeit zu geben; nicht nur die Gedanken nach
ihrem fluͤchtigen Umfange, ſondern auch ihre
Form, wodurch ihre Grade beſtimmet werden, aus-
zudruͤken. Denn ohne dieſe Sorge muß man noth-
wendig in eine periphraſtiſche Kaltſinnigkeit und
Fluͤchtigkeit verfallen, dergleichen man dem Poe-
ten Schuld gegeben, der Popens Verſuch von
dem Menſchen
in deutſchen Verſen uͤberſezet hat;
man wird nur Ueberſezungen machen, die gegen
die Originale geſtellt das ſeyn werden, was um-
gekehrte Tuͤrkiſche Tapeten. Einige haben zwar
dieſes Gleichniß auf alle Ueberſezungen ohne Unter-
ſcheid, auch die moͤglichbeſten erſtreken wollen,
worinnen ſie aber zu weit gegangen ſind. Ein
Verſtand, ein Geiſt, kan ohne Zweifel dem an-
dern ſeine Gedanken durch die Rede mit einer Ge-
nauigkeit zu verſtehen geben, daß die Aehnlichkeit

derſel-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0132" n="130"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Von der Schreibart</hi> </fw><lb/>
        <p>Was vor einen Reichthum be&#x017F;itzt &#x017F;ie an &#x017F;ogenann-<lb/>
ten <hi rendition="#aq">Verbis face&#x017F;&#x017F;entibus;</hi> was vor Vortheile<lb/>
geben ihr &#x017F;o viele und &#x017F;o ver&#x017F;chiedene <hi rendition="#aq">Gerundia,</hi><lb/>
und daher ent&#x017F;tehende <hi rendition="#aq">Gerundial</hi>redensarten, da<lb/>
un&#x017F;re Sprache nicht ein einziges <hi rendition="#aq">Gerundium</hi> hat,<lb/>
wiewohl &#x017F;ie im vierzehnten Jahrhundert dergleichen<lb/>
be&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en hatte; anderer und anderer Vortheile zu<lb/>
ge&#x017F;chweigen, welche denjenigen nicht verborgen<lb/>
bleiben ko&#x0364;nnen, die &#x017F;ich beflei&#x017F;&#x017F;en, aus der Engli-<lb/>
&#x017F;chen Sprache mit Beybehaltung des Nachdru-<lb/>
kes, der Ku&#x0364;rze, der genaube&#x017F;timmten Abme&#x017F;&#x017F;ung,<lb/>
und der Mannigfaltigkeit im Ausdruke, zu u&#x0364;ber&#x017F;ezen.</p><lb/>
        <p>Man kan hieraus wohl abnehmen, was vor<lb/>
Schwierigkeiten es giebt, Miltons Schreibart<lb/>
im Deut&#x017F;chen mit Nachdruck und Klarheit ohne<lb/>
Mattigkeit zu geben; nicht nur die Gedanken nach<lb/>
ihrem flu&#x0364;chtigen Umfange, &#x017F;ondern auch ihre<lb/>
Form, wodurch ihre Grade be&#x017F;timmet werden, aus-<lb/>
zudru&#x0364;ken. Denn ohne die&#x017F;e Sorge muß man noth-<lb/>
wendig in eine periphra&#x017F;ti&#x017F;che Kalt&#x017F;innigkeit und<lb/>
Flu&#x0364;chtigkeit verfallen, dergleichen man dem Poe-<lb/>
ten Schuld gegeben, der Popens <hi rendition="#fr">Ver&#x017F;uch von<lb/>
dem Men&#x017F;chen</hi> in deut&#x017F;chen Ver&#x017F;en u&#x0364;ber&#x017F;ezet hat;<lb/>
man wird nur Ueber&#x017F;ezungen machen, die gegen<lb/>
die Originale ge&#x017F;tellt das &#x017F;eyn werden, was um-<lb/>
gekehrte Tu&#x0364;rki&#x017F;che Tapeten. Einige haben zwar<lb/>
die&#x017F;es Gleichniß auf alle Ueber&#x017F;ezungen ohne Unter-<lb/>
&#x017F;cheid, auch die mo&#x0364;glichbe&#x017F;ten er&#x017F;treken wollen,<lb/>
worinnen &#x017F;ie aber zu weit gegangen &#x017F;ind. Ein<lb/>
Ver&#x017F;tand, ein Gei&#x017F;t, kan ohne Zweifel dem an-<lb/>
dern &#x017F;eine Gedanken durch die Rede mit einer Ge-<lb/>
nauigkeit zu ver&#x017F;tehen geben, daß die Aehnlichkeit<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">der&#x017F;el-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[130/0132] Von der Schreibart Was vor einen Reichthum beſitzt ſie an ſogenann- ten Verbis faceſſentibus; was vor Vortheile geben ihr ſo viele und ſo verſchiedene Gerundia, und daher entſtehende Gerundialredensarten, da unſre Sprache nicht ein einziges Gerundium hat, wiewohl ſie im vierzehnten Jahrhundert dergleichen beſeſſen hatte; anderer und anderer Vortheile zu geſchweigen, welche denjenigen nicht verborgen bleiben koͤnnen, die ſich befleiſſen, aus der Engli- ſchen Sprache mit Beybehaltung des Nachdru- kes, der Kuͤrze, der genaubeſtimmten Abmeſſung, und der Mannigfaltigkeit im Ausdruke, zu uͤberſezen. Man kan hieraus wohl abnehmen, was vor Schwierigkeiten es giebt, Miltons Schreibart im Deutſchen mit Nachdruck und Klarheit ohne Mattigkeit zu geben; nicht nur die Gedanken nach ihrem fluͤchtigen Umfange, ſondern auch ihre Form, wodurch ihre Grade beſtimmet werden, aus- zudruͤken. Denn ohne dieſe Sorge muß man noth- wendig in eine periphraſtiſche Kaltſinnigkeit und Fluͤchtigkeit verfallen, dergleichen man dem Poe- ten Schuld gegeben, der Popens Verſuch von dem Menſchen in deutſchen Verſen uͤberſezet hat; man wird nur Ueberſezungen machen, die gegen die Originale geſtellt das ſeyn werden, was um- gekehrte Tuͤrkiſche Tapeten. Einige haben zwar dieſes Gleichniß auf alle Ueberſezungen ohne Unter- ſcheid, auch die moͤglichbeſten erſtreken wollen, worinnen ſie aber zu weit gegangen ſind. Ein Verſtand, ein Geiſt, kan ohne Zweifel dem an- dern ſeine Gedanken durch die Rede mit einer Ge- nauigkeit zu verſtehen geben, daß die Aehnlichkeit derſel-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung03_1742
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung03_1742/132
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung03_1742/132>, abgerufen am 21.11.2024.