[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742.Mauvillons Brief mengesezten Wörtern. Was die Deutschenvermag, die ausländischen Wörter zu verwerf- fen, ist nichts anders, als daß die deutsche En- dung etwas so sonderbares hat, daß sie mit den Endungen der fremden Wörter nicht zurechte kommen kan. Jm Französischen findet man die fremden Endungen zu seinem Gebrauche sehr be- quem, man macht nur eine kleine Aenderung daran; kurtz man giebt ihnen ein französisches Aussehen, daß es schwer fällt, ihren Ursprung zu erkennen. Da nun die französische Sprache viele sanfte und leichte Endungen hat, so kan sie sich die Wörter anderer Sprachen eigen ma- chen, und sie so geschickt naturalisieren, daß man dächte, sie hätten ihr von Alters her zugehöret. Mit dem Deutschen hat es eine andere Bewandt- niß. Die Endungen darinnen sind in sehr klei- ner Anzahl, und sind daneben so wild, daß man unmöglich fremde Wörter darauf pfropfen kan. Alle deutschen Zeitwörter, nicht ein einziges aus- genommen, enden auf en, die meisten Haupt- wörter auf aft, und die Beywörter auf lich. Jn Ansehung der ersten helffen sie sich ziemlich gut, Sprache, sie sey so arm als sie wolle, alles geben. Al-
lein obschon alles endlich durch Umschweife und Beschrei- bungen bedeutet werden kan, so verliert sich doch bey sol- cher Weitschweifigkeit alle Lust, aller Nachdruck in dem der redet, und in dem der hört; dieweil das Gemüthe zu lange aufgehalten wird, und es herauskömmt, als wenn man einen, der viele schöne Paläste besehen will, bey ei- nem jeden Zimmer lange aufhalten, und durch alle Win- kel herumschleppen wollte." Mauvillons Brief mengeſezten Woͤrtern. Was die Deutſchenvermag, die auslaͤndiſchen Woͤrter zu verwerf- fen, iſt nichts anders, als daß die deutſche En- dung etwas ſo ſonderbares hat, daß ſie mit den Endungen der fremden Woͤrter nicht zurechte kommen kan. Jm Franzoͤſiſchen findet man die fremden Endungen zu ſeinem Gebrauche ſehr be- quem, man macht nur eine kleine Aenderung daran; kurtz man giebt ihnen ein franzoͤſiſches Ausſehen, daß es ſchwer faͤllt, ihren Urſprung zu erkennen. Da nun die franzoͤſiſche Sprache viele ſanfte und leichte Endungen hat, ſo kan ſie ſich die Woͤrter anderer Sprachen eigen ma- chen, und ſie ſo geſchickt naturaliſieren, daß man daͤchte, ſie haͤtten ihr von Alters her zugehoͤret. Mit dem Deutſchen hat es eine andere Bewandt- niß. Die Endungen darinnen ſind in ſehr klei- ner Anzahl, und ſind daneben ſo wild, daß man unmoͤglich fremde Woͤrter darauf pfropfen kan. Alle deutſchen Zeitwoͤrter, nicht ein einziges aus- genommen, enden auf en, die meiſten Haupt- woͤrter auf aft, und die Beywoͤrter auf lich. Jn Anſehung der erſten helffen ſie ſich ziemlich gut, Sprache, ſie ſey ſo arm als ſie wolle, alles geben. Al-
lein obſchon alles endlich durch Umſchweife und Beſchrei- bungen bedeutet werden kan, ſo verliert ſich doch bey ſol- cher Weitſchweifigkeit alle Luſt, aller Nachdruck in dem der redet, und in dem der hoͤrt; dieweil das Gemuͤthe zu lange aufgehalten wird, und es herauskoͤmmt, als wenn man einen, der viele ſchoͤne Palaͤſte beſehen will, bey ei- nem jeden Zimmer lange aufhalten, und durch alle Win- kel herumſchleppen wollte.„ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0020" n="20"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Mauvillons Brief</hi></fw><lb/> mengeſezten Woͤrtern. Was die Deutſchen<lb/> vermag, die auslaͤndiſchen Woͤrter zu verwerf-<lb/> fen, iſt nichts anders, als daß die deutſche En-<lb/> dung etwas ſo ſonderbares hat, daß ſie mit den<lb/> Endungen der fremden Woͤrter nicht zurechte<lb/> kommen kan. Jm Franzoͤſiſchen findet man die<lb/> fremden Endungen zu ſeinem Gebrauche ſehr be-<lb/> quem, man macht nur eine kleine Aenderung<lb/> daran; kurtz man giebt ihnen ein franzoͤſiſches<lb/> Ausſehen, daß es ſchwer faͤllt, ihren Urſprung<lb/> zu erkennen. Da nun die franzoͤſiſche Sprache<lb/> viele ſanfte und leichte Endungen hat, ſo kan<lb/> ſie ſich die Woͤrter anderer Sprachen eigen ma-<lb/> chen, und ſie ſo geſchickt naturaliſieren, daß man<lb/> daͤchte, ſie haͤtten ihr von Alters her zugehoͤret.<lb/> Mit dem Deutſchen hat es eine andere Bewandt-<lb/> niß. Die Endungen darinnen ſind in ſehr klei-<lb/> ner Anzahl, und ſind daneben ſo wild, daß man<lb/> unmoͤglich fremde Woͤrter darauf pfropfen kan.<lb/> Alle deutſchen Zeitwoͤrter, nicht ein einziges aus-<lb/> genommen, enden auf en, die meiſten Haupt-<lb/> woͤrter auf <hi rendition="#fr">aft,</hi> und die Beywoͤrter auf <hi rendition="#fr">lich.</hi><lb/> Jn Anſehung der erſten helffen ſie ſich ziemlich<lb/> <fw place="bottom" type="catch">gut,</fw><lb/><note xml:id="a009b" prev="#a009" place="foot">Sprache, ſie ſey ſo arm als ſie wolle, alles geben. Al-<lb/> lein obſchon alles endlich durch Umſchweife und Beſchrei-<lb/> bungen bedeutet werden kan, ſo verliert ſich doch bey ſol-<lb/> cher Weitſchweifigkeit alle Luſt, aller Nachdruck in dem<lb/> der redet, und in dem der hoͤrt; dieweil das Gemuͤthe zu<lb/> lange aufgehalten wird, und es herauskoͤmmt, als wenn<lb/> man einen, der viele ſchoͤne Palaͤſte beſehen will, bey ei-<lb/> nem jeden Zimmer lange aufhalten, und durch alle Win-<lb/> kel herumſchleppen wollte.„</note><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [20/0020]
Mauvillons Brief
mengeſezten Woͤrtern. Was die Deutſchen
vermag, die auslaͤndiſchen Woͤrter zu verwerf-
fen, iſt nichts anders, als daß die deutſche En-
dung etwas ſo ſonderbares hat, daß ſie mit den
Endungen der fremden Woͤrter nicht zurechte
kommen kan. Jm Franzoͤſiſchen findet man die
fremden Endungen zu ſeinem Gebrauche ſehr be-
quem, man macht nur eine kleine Aenderung
daran; kurtz man giebt ihnen ein franzoͤſiſches
Ausſehen, daß es ſchwer faͤllt, ihren Urſprung
zu erkennen. Da nun die franzoͤſiſche Sprache
viele ſanfte und leichte Endungen hat, ſo kan
ſie ſich die Woͤrter anderer Sprachen eigen ma-
chen, und ſie ſo geſchickt naturaliſieren, daß man
daͤchte, ſie haͤtten ihr von Alters her zugehoͤret.
Mit dem Deutſchen hat es eine andere Bewandt-
niß. Die Endungen darinnen ſind in ſehr klei-
ner Anzahl, und ſind daneben ſo wild, daß man
unmoͤglich fremde Woͤrter darauf pfropfen kan.
Alle deutſchen Zeitwoͤrter, nicht ein einziges aus-
genommen, enden auf en, die meiſten Haupt-
woͤrter auf aft, und die Beywoͤrter auf lich.
Jn Anſehung der erſten helffen ſie ſich ziemlich
gut,
Sprache, ſie ſey ſo arm als ſie wolle, alles geben. Al-
lein obſchon alles endlich durch Umſchweife und Beſchrei-
bungen bedeutet werden kan, ſo verliert ſich doch bey ſol-
cher Weitſchweifigkeit alle Luſt, aller Nachdruck in dem
der redet, und in dem der hoͤrt; dieweil das Gemuͤthe zu
lange aufgehalten wird, und es herauskoͤmmt, als wenn
man einen, der viele ſchoͤne Palaͤſte beſehen will, bey ei-
nem jeden Zimmer lange aufhalten, und durch alle Win-
kel herumſchleppen wollte.„
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