[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742.Mauvillons Brief dem Geschmacke legen. (D) Eure meisten Ge-lehrten beschäftigen sich Anagrammata, oder, was noch kindischer ist, Chronogrammata zu ver- fertigen. Eure arbeitsamen deutschen Köpfe wer- und zeigen könnten; aber man bedauret dabey, daß die- jenigen, welche die Ehre des deutschen Witzes zu behaup- ten bisdahin übernommen haben, gröstentheils dieselbe zu Schanden gemachet, und zu dergleichen unbeliebigen Ur- theilen Anlaß gegeben haben. Man gestehet ihnen einen grossen Vorzug an Gelehrtheit zu, aber aus denen bishe- rigen Proben kan man nicht schliessen, daß der Geschmack für das Witzige und Geistreiche noch zur Zeit allgemein sey. Jch kan dieses mit dem Beyfalle eines deutschen Schrift- verfassers bekräftigen: Jn dem IX. Stücke der Critischen Beyträge auf der 165sten Seite, wo der Antilongin re- censiert wird, heißt es: "Der gute Geschmack ist bey (D) Man hat noch erst im Jahre 1735. zu Breßlau und
Leipzig eine verbesserte Sammlung von J. Chr. Günthers deutschen und lateinischen Gedichten herausgegeben, und ist dabey sorgfältig gewesen, alle die Acrosticha, die in die- ses Poeten ersten Jahren noch gantz geläuftig waren, als Proben des deutschen Witzes von dem Untergange zu retten, wie Bl. 17. 82. 91. 100. 179. 231. etc. zu sehen ist. Es ist wohl wahr, daß dieser Dichter selbst bey reifern Jah- ren Mauvillons Brief dem Geſchmacke legen. (D) Eure meiſten Ge-lehrten beſchaͤftigen ſich Anagrammata, oder, was noch kindiſcher iſt, Chronogrammata zu ver- fertigen. Eure arbeitſamen deutſchen Koͤpfe wer- und zeigen koͤnnten; aber man bedauret dabey, daß die- jenigen, welche die Ehre des deutſchen Witzes zu behaup- ten bisdahin uͤbernommen haben, groͤſtentheils dieſelbe zu Schanden gemachet, und zu dergleichen unbeliebigen Ur- theilen Anlaß gegeben haben. Man geſtehet ihnen einen groſſen Vorzug an Gelehrtheit zu, aber aus denen bishe- rigen Proben kan man nicht ſchlieſſen, daß der Geſchmack fuͤr das Witzige und Geiſtreiche noch zur Zeit allgemein ſey. Jch kan dieſes mit dem Beyfalle eines deutſchen Schrift- verfaſſers bekraͤftigen: Jn dem IX. Stuͤcke der Critiſchen Beytraͤge auf der 165ſten Seite, wo der Antilongin re- cenſiert wird, heißt es: „Der gute Geſchmack iſt bey (D) Man hat noch erſt im Jahre 1735. zu Breßlau und
Leipzig eine verbeſſerte Sammlung von J. Chr. Guͤnthers deutſchen und lateiniſchen Gedichten herausgegeben, und iſt dabey ſorgfaͤltig geweſen, alle die Acroſticha, die in die- ſes Poeten erſten Jahren noch gantz gelaͤuftig waren, als Proben des deutſchen Witzes von dem Untergange zu retten, wie Bl. 17. 82. 91. 100. 179. 231. ꝛc. zu ſehen iſt. Es iſt wohl wahr, daß dieſer Dichter ſelbſt bey reifern Jah- ren <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0036" n="36"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Mauvillons Brief</hi></fw><lb/> dem Geſchmacke legen. <note xml:id="a017" next="#a017b" place="foot" n="(D)">Man hat noch erſt im Jahre 1735. zu Breßlau und<lb/> Leipzig eine verbeſſerte Sammlung von <hi rendition="#fr">J. Chr. Guͤnthers</hi><lb/> deutſchen und lateiniſchen Gedichten herausgegeben, und<lb/> iſt dabey ſorgfaͤltig geweſen, alle die Acroſticha, die in die-<lb/> ſes Poeten erſten Jahren noch gantz gelaͤuftig waren, als<lb/> Proben des deutſchen Witzes von dem Untergange zu retten,<lb/> wie Bl. 17. 82. 91. 100. 179. 231. ꝛc. zu ſehen iſt. Es<lb/> iſt wohl wahr, daß dieſer Dichter ſelbſt bey reifern Jah-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">ren</fw></note> Eure meiſten Ge-<lb/> lehrten beſchaͤftigen ſich Anagrammata, oder,<lb/> was noch kindiſcher iſt, Chronogrammata zu ver-<lb/> fertigen. Eure arbeitſamen deutſchen Koͤpfe<lb/> <fw place="bottom" type="catch">wer-</fw><lb/><note xml:id="a016c" prev="#a016b" place="foot">und zeigen koͤnnten; aber man bedauret dabey, daß die-<lb/> jenigen, welche die <hi rendition="#fr">Ehre</hi> des deutſchen Witzes zu behaup-<lb/> ten bisdahin uͤbernommen haben, groͤſtentheils dieſelbe zu<lb/> Schanden gemachet, und zu dergleichen unbeliebigen Ur-<lb/> theilen Anlaß gegeben haben. Man geſtehet ihnen einen<lb/> groſſen Vorzug an Gelehrtheit zu, aber aus denen bishe-<lb/> rigen Proben kan man nicht ſchlieſſen, daß der Geſchmack<lb/> fuͤr das Witzige und Geiſtreiche noch zur Zeit allgemein ſey.<lb/> Jch kan dieſes mit dem Beyfalle eines deutſchen Schrift-<lb/> verfaſſers bekraͤftigen: Jn dem <hi rendition="#aq">IX.</hi> Stuͤcke der <hi rendition="#fr">Critiſchen<lb/> Beytraͤge</hi> auf der 165ſten Seite, wo der Antilongin re-<lb/> cenſiert wird, heißt es: <cit><quote>„Der gute Geſchmack iſt bey<lb/> „uns Deutſchen noch nicht ſo allgemein, daß man ſich fer-<lb/> „ner keine Muͤhe geben duͤrfte, ihn mehr und mehr em-<lb/> „por zu bringen. Wir wollen nur unſre Poeſie anſehen.<lb/> „Was fuͤr wunderlich Zeug koͤmmt nicht darinnen noch<lb/> „taͤglich zum Vorſchein? Und wer ſiehet nicht, daß die-<lb/> „ſes die Ueberbleibſel des altfraͤnckiſchen Geſchmacks ſind?<lb/> „Woher ruͤhret aber ſolches? Von nichts anders, als<lb/> „weil unter den Schriften unſrer Dichter, die wir Anfaͤn-<lb/> „gern als Muſter anpreiſen, noch <hi rendition="#fr">viel</hi> rauſchendes Flit-<lb/> „tergold anzutreffen iſt.„</quote></cit></note><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [36/0036]
Mauvillons Brief
dem Geſchmacke legen. (D) Eure meiſten Ge-
lehrten beſchaͤftigen ſich Anagrammata, oder,
was noch kindiſcher iſt, Chronogrammata zu ver-
fertigen. Eure arbeitſamen deutſchen Koͤpfe
wer-
(D) Man hat noch erſt im Jahre 1735. zu Breßlau und
Leipzig eine verbeſſerte Sammlung von J. Chr. Guͤnthers
deutſchen und lateiniſchen Gedichten herausgegeben, und
iſt dabey ſorgfaͤltig geweſen, alle die Acroſticha, die in die-
ſes Poeten erſten Jahren noch gantz gelaͤuftig waren, als
Proben des deutſchen Witzes von dem Untergange zu retten,
wie Bl. 17. 82. 91. 100. 179. 231. ꝛc. zu ſehen iſt. Es
iſt wohl wahr, daß dieſer Dichter ſelbſt bey reifern Jah-
ren
und zeigen koͤnnten; aber man bedauret dabey, daß die-
jenigen, welche die Ehre des deutſchen Witzes zu behaup-
ten bisdahin uͤbernommen haben, groͤſtentheils dieſelbe zu
Schanden gemachet, und zu dergleichen unbeliebigen Ur-
theilen Anlaß gegeben haben. Man geſtehet ihnen einen
groſſen Vorzug an Gelehrtheit zu, aber aus denen bishe-
rigen Proben kan man nicht ſchlieſſen, daß der Geſchmack
fuͤr das Witzige und Geiſtreiche noch zur Zeit allgemein ſey.
Jch kan dieſes mit dem Beyfalle eines deutſchen Schrift-
verfaſſers bekraͤftigen: Jn dem IX. Stuͤcke der Critiſchen
Beytraͤge auf der 165ſten Seite, wo der Antilongin re-
cenſiert wird, heißt es: „Der gute Geſchmack iſt bey
„uns Deutſchen noch nicht ſo allgemein, daß man ſich fer-
„ner keine Muͤhe geben duͤrfte, ihn mehr und mehr em-
„por zu bringen. Wir wollen nur unſre Poeſie anſehen.
„Was fuͤr wunderlich Zeug koͤmmt nicht darinnen noch
„taͤglich zum Vorſchein? Und wer ſiehet nicht, daß die-
„ſes die Ueberbleibſel des altfraͤnckiſchen Geſchmacks ſind?
„Woher ruͤhret aber ſolches? Von nichts anders, als
„weil unter den Schriften unſrer Dichter, die wir Anfaͤn-
„gern als Muſter anpreiſen, noch viel rauſchendes Flit-
„tergold anzutreffen iſt.„
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