[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742.Mauvillons Brief schen und poetischen Redensarten. (I) Man fin-det oft unter einem Dutzend Verse, die so schwul- stig sind, als des Pindarus, ein pöbelhaftes Sprüch- liches nnd lächerliches mit anhänge. Mit was vor einer Stirne darf man denn sagen, daß Marot nicht ein Haar besser schreibe, als Hans Sachse; daß so wenig wir sonst aus unsrem Hans Sachse machen, wir ihn doch nicht geringer schätzen dürffen, als den altväterischen Marot: Hr. Gottsched hat dieses in der Anmerckung zu dem Artickel Aretin vorgegeben. Er meint vielleicht, der widerliche Klang, oder die ungewöhnliche und altfränckische Redensart in Hans Sachsens Sprache machen seine Gedichte so ver- werfflich und verächtltch; aber das thut es nicht, sondern das arme und abgeschmackte Zeug, das Hans Sachse darinnen vorträgt, welches so beschaffen ist, daß es in die fliessendste gottschedische Schreibart übersezt Verdruß und Ekel gebähren muß. Da wir hingegen nur Marots Ge- dancken uns bekannt machen müssen, die anmuthigste Lust davon zu empfangen. Man betrachte z. Ex. nur einen von seinen satyrischen Sendbriefen an seine Tadler, so wird man sehen, wie fein und starck er an Witz gewesen; wir können daran abnehmen, wie er seine ungeschickten Richter würde aufgezogen haben, wenn er ihre ungereimten Urtheile von ihm gewußt hätte. Was endlich diejenige Art Schertzes anbelangt, da man etwas durch eine Vergrösserung kleiner Dinge lächerlich zu machen sucht, wie Homer und Boileau ge- than haben, so ist ja offenbar, daß man zu diesem Ende nicht eine veraltete marotische, sondern eine prächtige heroische Sprache führen muß, wenn man nicht mit Fleisse seine Absichten verderben, und nicht die Sache, sondern sich selbst, zum Gelächter machen will. (I) Damit man nicht sagen könne daß Hr. von Mau-
villon ohne Grund nur seiner blossen Lust ein Genügen zu thuu, die Schwachheiten der deutschen Poeten aufdecke; so Mauvillons Brief ſchen und poetiſchen Redensarten. (I) Man fin-det oft unter einem Dutzend Verſe, die ſo ſchwul- ſtig ſind, als des Pindarus, ein poͤbelhaftes Spruͤch- liches nnd laͤcherliches mit anhaͤnge. Mit was vor einer Stirne darf man denn ſagen, daß Marot nicht ein Haar beſſer ſchreibe, als Hans Sachſe; daß ſo wenig wir ſonſt aus unſrem Hans Sachſe machen, wir ihn doch nicht geringer ſchaͤtzen duͤrffen, als den altvaͤteriſchen Marot: Hr. Gottſched hat dieſes in der Anmerckung zu dem Artickel Aretin vorgegeben. Er meint vielleicht, der widerliche Klang, oder die ungewoͤhnliche und altfraͤnckiſche Redensart in Hans Sachſens Sprache machen ſeine Gedichte ſo ver- werfflich und veraͤchtltch; aber das thut es nicht, ſondern das arme und abgeſchmackte Zeug, das Hans Sachſe darinnen vortraͤgt, welches ſo beſchaffen iſt, daß es in die flieſſendſte gottſchediſche Schreibart uͤberſezt Verdruß und Ekel gebaͤhren muß. Da wir hingegen nur Marots Ge- dancken uns bekannt machen muͤſſen, die anmuthigſte Luſt davon zu empfangen. Man betrachte z. Ex. nur einen von ſeinen ſatyriſchen Sendbriefen an ſeine Tadler, ſo wird man ſehen, wie fein und ſtarck er an Witz geweſen; wir koͤnnen daran abnehmen, wie er ſeine ungeſchickten Richter wuͤrde aufgezogen haben, wenn er ihre ungereimten Urtheile von ihm gewußt haͤtte. Was endlich diejenige Art Schertzes anbelangt, da man etwas durch eine Vergroͤſſerung kleiner Dinge laͤcherlich zu machen ſucht, wie Homer und Boileau ge- than haben, ſo iſt ja offenbar, daß man zu dieſem Ende nicht eine veraltete marotiſche, ſondern eine praͤchtige heroiſche Sprache fuͤhren muß, wenn man nicht mit Fleiſſe ſeine Abſichten verderben, und nicht die Sache, ſondern ſich ſelbſt, zum Gelaͤchter machen will. (I) Damit man nicht ſagen koͤnne daß Hr. von Mau-
villon ohne Grund nur ſeiner bloſſen Luſt ein Genuͤgen zu thuu, die Schwachheiten der deutſchen Poeten aufdecke; ſo <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0052" n="52"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Mauvillons Brief</hi></fw><lb/> ſchen und poetiſchen Redensarten. <note xml:id="a021" next="#a021b" place="foot" n="(I)">Damit man nicht ſagen koͤnne daß Hr. von Mau-<lb/> villon ohne Grund nur ſeiner bloſſen Luſt ein Genuͤgen zu<lb/> thuu, die Schwachheiten der deutſchen Poeten aufdecke;<lb/> <fw place="bottom" type="catch">ſo</fw></note> Man fin-<lb/> det oft unter einem Dutzend Verſe, die ſo ſchwul-<lb/> ſtig ſind, als des Pindarus, ein poͤbelhaftes<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Spruͤch-</fw><lb/><note xml:id="a020d" prev="#a020c" place="foot">liches nnd laͤcherliches mit anhaͤnge. Mit was vor einer<lb/> Stirne darf man denn ſagen, <hi rendition="#fr">daß Marot nicht ein Haar<lb/> beſſer ſchreibe, als Hans Sachſe; daß ſo wenig wir ſonſt<lb/> aus unſrem Hans Sachſe machen, wir ihn doch nicht<lb/> geringer ſchaͤtzen duͤrffen, als den altvaͤteriſchen Marot:</hi><lb/> Hr. Gottſched hat dieſes in der Anmerckung zu dem Artickel<lb/><hi rendition="#fr">Aretin</hi> vorgegeben. Er meint vielleicht, der widerliche<lb/> Klang, oder die ungewoͤhnliche und altfraͤnckiſche Redensart<lb/> in Hans Sachſens Sprache machen ſeine Gedichte ſo ver-<lb/> werfflich und veraͤchtltch; aber das thut es nicht, ſondern<lb/> das arme und abgeſchmackte Zeug, das Hans Sachſe<lb/> darinnen vortraͤgt, welches ſo beſchaffen iſt, daß es in die<lb/> flieſſendſte gottſchediſche Schreibart uͤberſezt Verdruß und<lb/> Ekel gebaͤhren muß. Da wir hingegen nur Marots Ge-<lb/> dancken uns bekannt machen muͤſſen, die anmuthigſte Luſt<lb/> davon zu empfangen. Man betrachte z. Ex. nur einen von<lb/> ſeinen ſatyriſchen Sendbriefen an ſeine Tadler, ſo wird<lb/> man ſehen, wie fein und ſtarck er an Witz geweſen; wir<lb/> koͤnnen daran abnehmen, wie er ſeine ungeſchickten Richter<lb/> wuͤrde aufgezogen haben, wenn er ihre ungereimten Urtheile<lb/> von ihm gewußt haͤtte. Was endlich diejenige Art Schertzes<lb/> anbelangt, da man etwas durch eine Vergroͤſſerung kleiner<lb/> Dinge laͤcherlich zu machen ſucht, wie Homer und Boileau ge-<lb/> than haben, ſo iſt ja offenbar, daß man zu dieſem Ende nicht<lb/> eine veraltete marotiſche, ſondern eine praͤchtige heroiſche<lb/> Sprache fuͤhren muß, wenn man nicht mit Fleiſſe ſeine<lb/> Abſichten verderben, und nicht die Sache, ſondern ſich<lb/> ſelbſt, zum Gelaͤchter machen will.</note><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [52/0052]
Mauvillons Brief
ſchen und poetiſchen Redensarten. (I) Man fin-
det oft unter einem Dutzend Verſe, die ſo ſchwul-
ſtig ſind, als des Pindarus, ein poͤbelhaftes
Spruͤch-
(I) Damit man nicht ſagen koͤnne daß Hr. von Mau-
villon ohne Grund nur ſeiner bloſſen Luſt ein Genuͤgen zu
thuu, die Schwachheiten der deutſchen Poeten aufdecke;
ſo
liches nnd laͤcherliches mit anhaͤnge. Mit was vor einer
Stirne darf man denn ſagen, daß Marot nicht ein Haar
beſſer ſchreibe, als Hans Sachſe; daß ſo wenig wir ſonſt
aus unſrem Hans Sachſe machen, wir ihn doch nicht
geringer ſchaͤtzen duͤrffen, als den altvaͤteriſchen Marot:
Hr. Gottſched hat dieſes in der Anmerckung zu dem Artickel
Aretin vorgegeben. Er meint vielleicht, der widerliche
Klang, oder die ungewoͤhnliche und altfraͤnckiſche Redensart
in Hans Sachſens Sprache machen ſeine Gedichte ſo ver-
werfflich und veraͤchtltch; aber das thut es nicht, ſondern
das arme und abgeſchmackte Zeug, das Hans Sachſe
darinnen vortraͤgt, welches ſo beſchaffen iſt, daß es in die
flieſſendſte gottſchediſche Schreibart uͤberſezt Verdruß und
Ekel gebaͤhren muß. Da wir hingegen nur Marots Ge-
dancken uns bekannt machen muͤſſen, die anmuthigſte Luſt
davon zu empfangen. Man betrachte z. Ex. nur einen von
ſeinen ſatyriſchen Sendbriefen an ſeine Tadler, ſo wird
man ſehen, wie fein und ſtarck er an Witz geweſen; wir
koͤnnen daran abnehmen, wie er ſeine ungeſchickten Richter
wuͤrde aufgezogen haben, wenn er ihre ungereimten Urtheile
von ihm gewußt haͤtte. Was endlich diejenige Art Schertzes
anbelangt, da man etwas durch eine Vergroͤſſerung kleiner
Dinge laͤcherlich zu machen ſucht, wie Homer und Boileau ge-
than haben, ſo iſt ja offenbar, daß man zu dieſem Ende nicht
eine veraltete marotiſche, ſondern eine praͤchtige heroiſche
Sprache fuͤhren muß, wenn man nicht mit Fleiſſe ſeine
Abſichten verderben, und nicht die Sache, ſondern ſich
ſelbſt, zum Gelaͤchter machen will.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |