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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742.

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von den deutschen Poeten.

Allein ihr würdet mich einer Uebereilung be-
züchtigen, wenn ich nicht ein Exempel davon
anführete. Derowegen muß ich euch zeigen,
daß ich ohne Hitze schreibe, und euch meinen
Satz beweisen. Jch will euch aber nur ein ein-
ziges Muster vor Augen legen, denn ich habe
keine Lust mich hierüber weitläuftig einzulassen,

wel-
Acht gelassen worden. Und der Wetzstein der Flöten könn-
te nicht possierlicher seyn. Jch muß auch der schönen Stelle
des Boileau erwähnen:
Ma bile alors s'echauffe, & je brule d'ecrire:
Et s'il ne m'est permis de le dire au papier;
J'irai croiser la terre, & comme ce Barbier,
Faire dire aux roseaux par un nouvel organe,
Midas, le Roi Midas a des oreilles d'Ane.
Wie viel verliehret dieses nicht an Schönheit und Farbe in
der Satyre, welche in der gottschedischen Dichtkunst die
erste ist? Bl. 556.
Ja sollt es einst geschehn, daß unsre Dichterschaar
So lang an Ohren wär, als vormahls Midas war:
So würde man, wie dort, aus den beschilften Röhren
Den Ruf: Dies tolle Volck hat Eselsohren! hören.
Die Gottschedische Uebersetzung in der deutschen Jphigenie
machet, daß ein Held, welcher in der Geschichte nicht als
ein Zwitter bekannt geworden, ein Töchterlein empfängt:
Thesee avec Helene uni secrettement
Fit succeder l'hymen a son enlevement,
Une Fille en sortit. &c. - - - - -
Als vormahls Theseus einst mit Helenen entgieng,
Und aus geheimer Lieb' ein Töchterlein empfieng.
Es ist mehr als wahrscheinlich, daß nicht Theseus, son-
dern Helena aus geheimer Liebe ein Töchterlein empfangen
habe.
E
[Crit. Samml. V. St.]
von den deutſchen Poeten.

Allein ihr wuͤrdet mich einer Uebereilung be-
zuͤchtigen, wenn ich nicht ein Exempel davon
anfuͤhrete. Derowegen muß ich euch zeigen,
daß ich ohne Hitze ſchreibe, und euch meinen
Satz beweiſen. Jch will euch aber nur ein ein-
ziges Muſter vor Augen legen, denn ich habe
keine Luſt mich hieruͤber weitlaͤuftig einzulaſſen,

wel-
Acht gelaſſen worden. Und der Wetzſtein der Floͤten koͤnn-
te nicht poſſierlicher ſeyn. Jch muß auch der ſchoͤnen Stelle
des Boileau erwaͤhnen:
Ma bile alors s’échauffe, & je brule d’écrire:
Et s’il ne m’eſt permis de le dire au papier;
J’irai croiſer la terre, & comme ce Barbier,
Faire dire aux roſeaux par un nouvel organe,
Midas, le Roi Midas a des oreilles d’Ane.
Wie viel verliehret dieſes nicht an Schoͤnheit und Farbe in
der Satyre, welche in der gottſchediſchen Dichtkunſt die
erſte iſt? Bl. 556.
Ja ſollt es einſt geſchehn, daß unſre Dichterſchaar
So lang an Ohren waͤr, als vormahls Midas war:
So wuͤrde man, wie dort, aus den beſchilften Roͤhren
Den Ruf: Dies tolle Volck hat Eſelsohren! hoͤren.
Die Gottſchediſche Ueberſetzung in der deutſchen Jphigenie
machet, daß ein Held, welcher in der Geſchichte nicht als
ein Zwitter bekannt geworden, ein Toͤchterlein empfaͤngt:
Theſée avec Helene uni ſecrettement
Fit ſucceder l’hymen à ſon enlevement,
Une Fille en ſortit. &c. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
Als vormahls Theſeus einſt mit Helenen entgieng,
Und aus geheimer Lieb’ ein Toͤchterlein empfieng.
Es iſt mehr als wahrſcheinlich, daß nicht Theſeus, ſon-
dern Helena aus geheimer Liebe ein Toͤchterlein empfangen
habe.
E
[Crit. Sam̃l. V. St.]
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[65/0065] von den deutſchen Poeten. Allein ihr wuͤrdet mich einer Uebereilung be- zuͤchtigen, wenn ich nicht ein Exempel davon anfuͤhrete. Derowegen muß ich euch zeigen, daß ich ohne Hitze ſchreibe, und euch meinen Satz beweiſen. Jch will euch aber nur ein ein- ziges Muſter vor Augen legen, denn ich habe keine Luſt mich hieruͤber weitlaͤuftig einzulaſſen, wel- Acht gelaſſen worden. Und der Wetzſtein der Floͤten koͤnn- te nicht poſſierlicher ſeyn. Jch muß auch der ſchoͤnen Stelle des Boileau erwaͤhnen: Ma bile alors s’échauffe, & je brule d’écrire: Et s’il ne m’eſt permis de le dire au papier; J’irai croiſer la terre, & comme ce Barbier, Faire dire aux roſeaux par un nouvel organe, Midas, le Roi Midas a des oreilles d’Ane. Wie viel verliehret dieſes nicht an Schoͤnheit und Farbe in der Satyre, welche in der gottſchediſchen Dichtkunſt die erſte iſt? Bl. 556. Ja ſollt es einſt geſchehn, daß unſre Dichterſchaar So lang an Ohren waͤr, als vormahls Midas war: So wuͤrde man, wie dort, aus den beſchilften Roͤhren Den Ruf: Dies tolle Volck hat Eſelsohren! hoͤren. Die Gottſchediſche Ueberſetzung in der deutſchen Jphigenie machet, daß ein Held, welcher in der Geſchichte nicht als ein Zwitter bekannt geworden, ein Toͤchterlein empfaͤngt: Theſée avec Helene uni ſecrettement Fit ſucceder l’hymen à ſon enlevement, Une Fille en ſortit. &c. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ Als vormahls Theſeus einſt mit Helenen entgieng, Und aus geheimer Lieb’ ein Toͤchterlein empfieng. Es iſt mehr als wahrſcheinlich, daß nicht Theſeus, ſon- dern Helena aus geheimer Liebe ein Toͤchterlein empfangen habe. E [Crit. Sam̃l. V. St.]

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung05_1742/65>, abgerufen am 27.11.2024.