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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742.

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von der deutschen Sprache.

Die meisten Deutschen, nemlich solche, die
es in den Wissenschaften nicht hoch gebracht ha-
ben, wollen behaupten, b daß ihre Sprache
so alt sey, als die lateinische. Andere, die mehr
Einsicht haben, gestehen, daß man allererst um
das Jahr 1350. angefangen, die deutsche Spra-
che mit einiger Richtigkeit zu reden; daß sie
zuvor nur ein wüster u. rauher Mischmasch gewe-
sen sey, unzählige Mundarten seyn durch einan-
der vermischt worden, vornehme Leute haben
sie nicht geredet, sie sey auch aus den öffentlichen
Urkunden verbannet gewesen. Noch andere glau-
ben, man habe schon im Jahr 1235. oder 1236.
angefangen, sie auf den Reichstagen, in den
Reichskammern, und der Reichscantzley zu ge-

brau-
b Critische Beyträge. XVIII. Stück. Art. V. Bl. 271.
Da aber unsere deutsche Sprache in ihrem Alter über an-
dere, so gar über die griechische und lateinische Sprache,
hinaufsteigt. etc. - - - - - - Es
sind die Denckmaale der ältesten und eisgrauen Zeiten der
deutschen Sprache sehr wenig, und diejenigen, welche die
verzehrende Zeit noch übrig gelassen hat, sind so beschaf-
fen, daß man ihre unstreitige Richtigkeit leicht in Zweifel
ziehen kan. Hernach so ist auch ihre Beschaffenheit, Ver-
fassung, und ihr Jnhalt so dunckel, rätzelhaft, und ver-
wirrt, daß man beynahe einen Weissagergeist nöthig hat,
wenn man etwas davon errathen will. - - - -
Von den Zeiten Carls des Grossen an ist an der Verbesse-
rung dieser Heldensprache tapfer gearbeitet worden. Und
obgleich in denen diesem Kayser nähern Zeiten die deutsche
Sprache noch rauh genug aussiehet, und noch wenig ge-
puzt erscheinet; so erkennt man doch aus denen von diesen
Zeiten her noch übrigen Denckmaalen und Schriften, daß
man zu ihrer Verbesserung Hand angeleget habe.
A 4
von der deutſchen Sprache.

Die meiſten Deutſchen, nemlich ſolche, die
es in den Wiſſenſchaften nicht hoch gebracht ha-
ben, wollen behaupten, b daß ihre Sprache
ſo alt ſey, als die lateiniſche. Andere, die mehr
Einſicht haben, geſtehen, daß man allererſt um
das Jahr 1350. angefangen, die deutſche Spra-
che mit einiger Richtigkeit zu reden; daß ſie
zuvor nur ein wuͤſter u. rauher Miſchmaſch gewe-
ſen ſey, unzaͤhlige Mundarten ſeyn durch einan-
der vermiſcht worden, vornehme Leute haben
ſie nicht geredet, ſie ſey auch aus den oͤffentlichen
Urkunden verbannet geweſen. Noch andere glau-
ben, man habe ſchon im Jahr 1235. oder 1236.
angefangen, ſie auf den Reichstagen, in den
Reichskammern, und der Reichscantzley zu ge-

brau-
b Critiſche Beytraͤge. XVIII. Stuͤck. Art. V. Bl. 271.
Da aber unſere deutſche Sprache in ihrem Alter uͤber an-
dere, ſo gar uͤber die griechiſche und lateiniſche Sprache,
hinaufſteigt. ꝛc. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ Es
ſind die Denckmaale der aͤlteſten und eisgrauen Zeiten der
deutſchen Sprache ſehr wenig, und diejenigen, welche die
verzehrende Zeit noch uͤbrig gelaſſen hat, ſind ſo beſchaf-
fen, daß man ihre unſtreitige Richtigkeit leicht in Zweifel
ziehen kan. Hernach ſo iſt auch ihre Beſchaffenheit, Ver-
faſſung, und ihr Jnhalt ſo dunckel, raͤtzelhaft, und ver-
wirrt, daß man beynahe einen Weiſſagergeiſt noͤthig hat,
wenn man etwas davon errathen will. ‒ ‒ ‒ ‒
Von den Zeiten Carls des Groſſen an iſt an der Verbeſſe-
rung dieſer Heldenſprache tapfer gearbeitet worden. Und
obgleich in denen dieſem Kayſer naͤhern Zeiten die deutſche
Sprache noch rauh genug ausſiehet, und noch wenig ge-
puzt erſcheinet; ſo erkennt man doch aus denen von dieſen
Zeiten her noch uͤbrigen Denckmaalen und Schriften, daß
man zu ihrer Verbeſſerung Hand angeleget habe.
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[7/0007] von der deutſchen Sprache. Die meiſten Deutſchen, nemlich ſolche, die es in den Wiſſenſchaften nicht hoch gebracht ha- ben, wollen behaupten, b daß ihre Sprache ſo alt ſey, als die lateiniſche. Andere, die mehr Einſicht haben, geſtehen, daß man allererſt um das Jahr 1350. angefangen, die deutſche Spra- che mit einiger Richtigkeit zu reden; daß ſie zuvor nur ein wuͤſter u. rauher Miſchmaſch gewe- ſen ſey, unzaͤhlige Mundarten ſeyn durch einan- der vermiſcht worden, vornehme Leute haben ſie nicht geredet, ſie ſey auch aus den oͤffentlichen Urkunden verbannet geweſen. Noch andere glau- ben, man habe ſchon im Jahr 1235. oder 1236. angefangen, ſie auf den Reichstagen, in den Reichskammern, und der Reichscantzley zu ge- brau- b Critiſche Beytraͤge. XVIII. Stuͤck. Art. V. Bl. 271. Da aber unſere deutſche Sprache in ihrem Alter uͤber an- dere, ſo gar uͤber die griechiſche und lateiniſche Sprache, hinaufſteigt. ꝛc. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ Es ſind die Denckmaale der aͤlteſten und eisgrauen Zeiten der deutſchen Sprache ſehr wenig, und diejenigen, welche die verzehrende Zeit noch uͤbrig gelaſſen hat, ſind ſo beſchaf- fen, daß man ihre unſtreitige Richtigkeit leicht in Zweifel ziehen kan. Hernach ſo iſt auch ihre Beſchaffenheit, Ver- faſſung, und ihr Jnhalt ſo dunckel, raͤtzelhaft, und ver- wirrt, daß man beynahe einen Weiſſagergeiſt noͤthig hat, wenn man etwas davon errathen will. ‒ ‒ ‒ ‒ Von den Zeiten Carls des Groſſen an iſt an der Verbeſſe- rung dieſer Heldenſprache tapfer gearbeitet worden. Und obgleich in denen dieſem Kayſer naͤhern Zeiten die deutſche Sprache noch rauh genug ausſiehet, und noch wenig ge- puzt erſcheinet; ſo erkennt man doch aus denen von dieſen Zeiten her noch uͤbrigen Denckmaalen und Schriften, daß man zu ihrer Verbeſſerung Hand angeleget habe. A 4

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung05_1742/7>, abgerufen am 28.04.2024.