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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742.

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Mauvillons Brief
Leichrede auf ein Bauerweib, das vor zween
Tagen gestorben war. Der Redner lobete ih-
re Treue gegen ihren Ehmann, ihre Häuslich-
keit und s. w. Ach, sagte er, wie geschickt
wußte sie nicht die Kühe zu melken! Jhre Hän-
de, die doch von vielem Arbeiten gantz hart
waren, verursachten diesen armen Thieren nicht
den geringsten Schmertzen. Sie war auch so
reinlich, daß man niemahls das kleinste Stäub-
gen in der Milch gefunden, welche man bey
ihr gekaufet hatte.
Jhr müsset mir doch geste-
hen, mein werthester Herr, daß die Poesie und
die Beredtsamkeit, so sie zu diesem Gebrauche
angewendet werden, nothwendig vieles von ih-
rer Würde verliehren müssen; und daß den Poe-
ten, sowohl als den Rednern, nothwendig etwas
von der Niederträchtigkeit ihrer Materien an-
kleben muß, da denn die groben und pöbelhaf-
ten Gedancken, welche sie damit an sich genom-
men haben, sich hernach auch in höhern Mate-
rien einschleichen werden.

Warum finden denn die Deutschen nicht so
viel Geschmack an den Wissenschaften, als an
der Kriegeskunst? Glauben sie, es sey genug,
daß eine Nation kriegerisch sey, wenn sie von
der andern geehret, und von der Nachwelt ge-
lobet werden solle? Oder bilden sie sich ein,
wie die alten Gothen, daß ein Volck, welches
den Künsten und Wissenschaften ergeben ist, kei-
ne guten Soldaten haben könne? Und daß
alle diejenige, welche sich in ihrer Kindheit vor
der Ruthe gefürchtet haben, in ihrem männli-

chen

Mauvillons Brief
Leichrede auf ein Bauerweib, das vor zween
Tagen geſtorben war. Der Redner lobete ih-
re Treue gegen ihren Ehmann, ihre Haͤuslich-
keit und ſ. w. Ach, ſagte er, wie geſchickt
wußte ſie nicht die Kuͤhe zu melken! Jhre Haͤn-
de, die doch von vielem Arbeiten gantz hart
waren, verurſachten dieſen armen Thieren nicht
den geringſten Schmertzen. Sie war auch ſo
reinlich, daß man niemahls das kleinſte Staͤub-
gen in der Milch gefunden, welche man bey
ihr gekaufet hatte.
Jhr muͤſſet mir doch geſte-
hen, mein wertheſter Herr, daß die Poeſie und
die Beredtſamkeit, ſo ſie zu dieſem Gebrauche
angewendet werden, nothwendig vieles von ih-
rer Wuͤrde verliehren muͤſſen; und daß den Poe-
ten, ſowohl als den Rednern, nothwendig etwas
von der Niedertraͤchtigkeit ihrer Materien an-
kleben muß, da denn die groben und poͤbelhaf-
ten Gedancken, welche ſie damit an ſich genom-
men haben, ſich hernach auch in hoͤhern Mate-
rien einſchleichen werden.

Warum finden denn die Deutſchen nicht ſo
viel Geſchmack an den Wiſſenſchaften, als an
der Kriegeskunſt? Glauben ſie, es ſey genug,
daß eine Nation kriegeriſch ſey, wenn ſie von
der andern geehret, und von der Nachwelt ge-
lobet werden ſolle? Oder bilden ſie ſich ein,
wie die alten Gothen, daß ein Volck, welches
den Kuͤnſten und Wiſſenſchaften ergeben iſt, kei-
ne guten Soldaten haben koͤnne? Und daß
alle diejenige, welche ſich in ihrer Kindheit vor
der Ruthe gefuͤrchtet haben, in ihrem maͤnnli-

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[74/0074] Mauvillons Brief Leichrede auf ein Bauerweib, das vor zween Tagen geſtorben war. Der Redner lobete ih- re Treue gegen ihren Ehmann, ihre Haͤuslich- keit und ſ. w. Ach, ſagte er, wie geſchickt wußte ſie nicht die Kuͤhe zu melken! Jhre Haͤn- de, die doch von vielem Arbeiten gantz hart waren, verurſachten dieſen armen Thieren nicht den geringſten Schmertzen. Sie war auch ſo reinlich, daß man niemahls das kleinſte Staͤub- gen in der Milch gefunden, welche man bey ihr gekaufet hatte. Jhr muͤſſet mir doch geſte- hen, mein wertheſter Herr, daß die Poeſie und die Beredtſamkeit, ſo ſie zu dieſem Gebrauche angewendet werden, nothwendig vieles von ih- rer Wuͤrde verliehren muͤſſen; und daß den Poe- ten, ſowohl als den Rednern, nothwendig etwas von der Niedertraͤchtigkeit ihrer Materien an- kleben muß, da denn die groben und poͤbelhaf- ten Gedancken, welche ſie damit an ſich genom- men haben, ſich hernach auch in hoͤhern Mate- rien einſchleichen werden. Warum finden denn die Deutſchen nicht ſo viel Geſchmack an den Wiſſenſchaften, als an der Kriegeskunſt? Glauben ſie, es ſey genug, daß eine Nation kriegeriſch ſey, wenn ſie von der andern geehret, und von der Nachwelt ge- lobet werden ſolle? Oder bilden ſie ſich ein, wie die alten Gothen, daß ein Volck, welches den Kuͤnſten und Wiſſenſchaften ergeben iſt, kei- ne guten Soldaten haben koͤnne? Und daß alle diejenige, welche ſich in ihrer Kindheit vor der Ruthe gefuͤrchtet haben, in ihrem maͤnnli- chen

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung05_1742/74>, abgerufen am 23.11.2024.