Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 6. Zürich, 1742.

Bild:
<< vorherige Seite

zur III. Gottsch. Dichtk.
und Kunstrichter in Zürich hat sich die Mühe ge-
nommen, diejenige Bahn O, die ich nunmehr
vor dreyzehn Jahren, als ein junger Schrift-

stel-
geführet hätte, so würden sich die Schweitzer gewiß
nicht zum andernmahle daran gemachet haben,
und er
also sich der Ehre in diesem Vorsatze einen Nachfolger zu
haben, beraubet sehen müssen.
O Diejenige Bahn, die ich nunmehr vor dreyzehn
Jahren, als ein junger Schrifftsteller, gebrochen)
Diese
verblümte Redensart ist undeutlich: Sie beziehet sich mehr
auf den Vorsatz, als die Ausführung des Gottschedischen
Versuches. Wer dieselbe deutlich verstehen will, der
muß die Vorrede zu der ersten Auflage von 1730. inne ha-
ben, (die Hr. Prof. Gottsched in der letzten Herausgabe
mit Fleisse weggelassen, damit er desto dreister ohne zu
erröthen großsprechen könnte.) Jn dieser Vorrede trac-
tiert er die Poesie noch als eine brodtlose Kunst und als
ein blosses Nebenwerck; und er bekennet daselbst gar zu
offenhertzig, daß Hr. D. Pietsch ihm die ersten Begriffe
von einer rechten Dichtkunst beygebracht; und daß die
Zürichische Mahler ihn auf den critischen Geschmack ge-
führet haben. Von seinem Wercke selbst sagt er: "Jtzo
"liefere ich meinem Vaterlande den Versuch; den ich ge-
"wiß
nicht aus meinem Gehirne angesponnen; sondern
"aus allen oberwehnten Scribenten, und überdas, aus
"den vortheilhaften mündlichen Unterredungen Hrn. Co-
"sten,
des Hr. Geh. Secretar Königs, und Hr. Prof.
"Krausens, gesammelt und in einige Ordnung gebracht."
Will man genauer wissen, was obige Prahlerey, daß er
die Bahn gebrochen, eigentlich sagen wolle, so erklärt
er sich eben daselbst hierüber gantz deutlich: "Jch hatte
"mir nur vorgesetzt dasjenige, was in so unzehlich vielen
"Büchern zerstreut ist, in einem einzigen Wercke zusam-
"men zu fassen." Ein seltener Ruhm, daß er in dieser
brodtlosen Kunst die Bahn gebrochen!
G 3

zur III. Gottſch. Dichtk.
und Kunſtrichter in Zuͤrich hat ſich die Muͤhe ge-
nommen, diejenige Bahn O, die ich nunmehr
vor dreyzehn Jahren, als ein junger Schrift-

ſtel-
gefuͤhret haͤtte, ſo wuͤrden ſich die Schweitzer gewiß
nicht zum andernmahle daran gemachet haben,
und er
alſo ſich der Ehre in dieſem Vorſatze einen Nachfolger zu
haben, beraubet ſehen muͤſſen.
O Diejenige Bahn, die ich nunmehr vor dreyzehn
Jahren, als ein junger Schrifftſteller, gebrochen)
Dieſe
verbluͤmte Redensart iſt undeutlich: Sie beziehet ſich mehr
auf den Vorſatz, als die Ausfuͤhrung des Gottſchediſchen
Verſuches. Wer dieſelbe deutlich verſtehen will, der
muß die Vorrede zu der erſten Auflage von 1730. inne ha-
ben, (die Hr. Prof. Gottſched in der letzten Herausgabe
mit Fleiſſe weggelaſſen, damit er deſto dreiſter ohne zu
erroͤthen großſprechen koͤnnte.) Jn dieſer Vorrede trac-
tiert er die Poeſie noch als eine brodtloſe Kunſt und als
ein bloſſes Nebenwerck; und er bekennet daſelbſt gar zu
offenhertzig, daß Hr. D. Pietſch ihm die erſten Begriffe
von einer rechten Dichtkunſt beygebracht; und daß die
Zuͤrichiſche Mahler ihn auf den critiſchen Geſchmack ge-
fuͤhret haben. Von ſeinem Wercke ſelbſt ſagt er: „Jtzo
„liefere ich meinem Vaterlande den Verſuch; den ich ge-
„wiß
nicht aus meinem Gehirne angeſponnen; ſondern
„aus allen oberwehnten Scribenten, und uͤberdas, aus
„den vortheilhaften muͤndlichen Unterredungen Hrn. Co-
„ſten,
des Hr. Geh. Secretar Koͤnigs, und Hr. Prof.
Krauſens, geſammelt und in einige Ordnung gebracht.„
Will man genauer wiſſen, was obige Prahlerey, daß er
die Bahn gebrochen, eigentlich ſagen wolle, ſo erklaͤrt
er ſich eben daſelbſt hieruͤber gantz deutlich: „Jch hatte
„mir nur vorgeſetzt dasjenige, was in ſo unzehlich vielen
„Buͤchern zerſtreut iſt, in einem einzigen Wercke zuſam-
„men zu faſſen.„ Ein ſeltener Ruhm, daß er in dieſer
brodtloſen Kunſt die Bahn gebrochen!
G 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0101" n="101"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">zur <hi rendition="#aq">III.</hi> Gott&#x017F;ch. Dichtk.</hi></fw><lb/>
und Kun&#x017F;trichter in Zu&#x0364;rich hat &#x017F;ich die Mu&#x0364;he ge-<lb/>
nommen, diejenige Bahn <note place="foot" n="O"><hi rendition="#fr">Diejenige Bahn, die ich nunmehr vor dreyzehn<lb/>
Jahren, als ein junger Schrifft&#x017F;teller, gebrochen)</hi> Die&#x017F;e<lb/>
verblu&#x0364;mte Redensart i&#x017F;t undeutlich: Sie beziehet &#x017F;ich mehr<lb/>
auf den Vor&#x017F;atz, als die Ausfu&#x0364;hrung des Gott&#x017F;chedi&#x017F;chen<lb/><hi rendition="#fr">Ver&#x017F;uches.</hi> Wer die&#x017F;elbe deutlich ver&#x017F;tehen will, der<lb/>
muß die Vorrede zu der er&#x017F;ten Auflage von 1730. inne ha-<lb/>
ben, (die Hr. Prof. Gott&#x017F;ched in der letzten Herausgabe<lb/>
mit Flei&#x017F;&#x017F;e weggela&#x017F;&#x017F;en, damit er de&#x017F;to drei&#x017F;ter ohne zu<lb/>
erro&#x0364;then groß&#x017F;prechen ko&#x0364;nnte.) Jn die&#x017F;er Vorrede trac-<lb/>
tiert er die Poe&#x017F;ie noch als <hi rendition="#fr">eine brodtlo&#x017F;e Kun&#x017F;t</hi> und als<lb/>
ein blo&#x017F;&#x017F;es <hi rendition="#fr">Nebenwerck;</hi> und er bekennet da&#x017F;elb&#x017F;t gar zu<lb/>
offenhertzig, daß Hr. D. <hi rendition="#fr">Piet&#x017F;ch</hi> ihm die er&#x017F;ten Begriffe<lb/>
von einer rechten Dichtkun&#x017F;t beygebracht; und daß die<lb/><hi rendition="#fr">Zu&#x0364;richi&#x017F;che Mahler</hi> ihn auf den criti&#x017F;chen Ge&#x017F;chmack ge-<lb/>
fu&#x0364;hret haben. Von &#x017F;einem Wercke &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;agt er: &#x201E;Jtzo<lb/>
&#x201E;liefere ich meinem Vaterlande den Ver&#x017F;uch; den ich <hi rendition="#fr">ge-<lb/>
&#x201E;wiß</hi> nicht aus meinem Gehirne ange&#x017F;ponnen; &#x017F;ondern<lb/>
&#x201E;aus allen oberwehnten Scribenten, und u&#x0364;berdas, aus<lb/>
&#x201E;den vortheilhaften mu&#x0364;ndlichen Unterredungen Hrn. <hi rendition="#fr">Co-<lb/>
&#x201E;&#x017F;ten,</hi> des Hr. Geh. Secretar <hi rendition="#fr">Ko&#x0364;nigs,</hi> und Hr. Prof.<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#fr">Krau&#x017F;ens,</hi> ge&#x017F;ammelt und in einige Ordnung gebracht.&#x201E;<lb/>
Will man genauer wi&#x017F;&#x017F;en, was obige Prahlerey, daß er<lb/>
die <hi rendition="#fr">Bahn gebrochen,</hi> eigentlich &#x017F;agen wolle, &#x017F;o erkla&#x0364;rt<lb/>
er &#x017F;ich eben da&#x017F;elb&#x017F;t hieru&#x0364;ber gantz deutlich: &#x201E;Jch hatte<lb/>
&#x201E;mir nur vorge&#x017F;etzt dasjenige, was in &#x017F;o unzehlich vielen<lb/>
&#x201E;Bu&#x0364;chern zer&#x017F;treut i&#x017F;t, in einem einzigen Wercke zu&#x017F;am-<lb/>
&#x201E;men zu fa&#x017F;&#x017F;en.&#x201E; Ein &#x017F;eltener Ruhm, daß er in die&#x017F;er<lb/>
brodtlo&#x017F;en Kun&#x017F;t die Bahn gebrochen!</note>, die ich nunmehr<lb/>
vor dreyzehn Jahren, als ein junger Schrift-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">G 3</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;tel-</fw><lb/><note xml:id="f34" prev="#f33" place="foot" n="N"><hi rendition="#fr">gefu&#x0364;hret ha&#x0364;tte, &#x017F;o wu&#x0364;rden &#x017F;ich</hi> die Schweitzer <hi rendition="#fr">gewiß<lb/>
nicht zum andernmahle daran gemachet haben,</hi> und er<lb/>
al&#x017F;o &#x017F;ich der Ehre in die&#x017F;em Vor&#x017F;atze einen Nachfolger zu<lb/>
haben, beraubet &#x017F;ehen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en.</note><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[101/0101] zur III. Gottſch. Dichtk. und Kunſtrichter in Zuͤrich hat ſich die Muͤhe ge- nommen, diejenige Bahn O, die ich nunmehr vor dreyzehn Jahren, als ein junger Schrift- ſtel- N O Diejenige Bahn, die ich nunmehr vor dreyzehn Jahren, als ein junger Schrifftſteller, gebrochen) Dieſe verbluͤmte Redensart iſt undeutlich: Sie beziehet ſich mehr auf den Vorſatz, als die Ausfuͤhrung des Gottſchediſchen Verſuches. Wer dieſelbe deutlich verſtehen will, der muß die Vorrede zu der erſten Auflage von 1730. inne ha- ben, (die Hr. Prof. Gottſched in der letzten Herausgabe mit Fleiſſe weggelaſſen, damit er deſto dreiſter ohne zu erroͤthen großſprechen koͤnnte.) Jn dieſer Vorrede trac- tiert er die Poeſie noch als eine brodtloſe Kunſt und als ein bloſſes Nebenwerck; und er bekennet daſelbſt gar zu offenhertzig, daß Hr. D. Pietſch ihm die erſten Begriffe von einer rechten Dichtkunſt beygebracht; und daß die Zuͤrichiſche Mahler ihn auf den critiſchen Geſchmack ge- fuͤhret haben. Von ſeinem Wercke ſelbſt ſagt er: „Jtzo „liefere ich meinem Vaterlande den Verſuch; den ich ge- „wiß nicht aus meinem Gehirne angeſponnen; ſondern „aus allen oberwehnten Scribenten, und uͤberdas, aus „den vortheilhaften muͤndlichen Unterredungen Hrn. Co- „ſten, des Hr. Geh. Secretar Koͤnigs, und Hr. Prof. „Krauſens, geſammelt und in einige Ordnung gebracht.„ Will man genauer wiſſen, was obige Prahlerey, daß er die Bahn gebrochen, eigentlich ſagen wolle, ſo erklaͤrt er ſich eben daſelbſt hieruͤber gantz deutlich: „Jch hatte „mir nur vorgeſetzt dasjenige, was in ſo unzehlich vielen „Buͤchern zerſtreut iſt, in einem einzigen Wercke zuſam- „men zu faſſen.„ Ein ſeltener Ruhm, daß er in dieſer brodtloſen Kunſt die Bahn gebrochen! N gefuͤhret haͤtte, ſo wuͤrden ſich die Schweitzer gewiß nicht zum andernmahle daran gemachet haben, und er alſo ſich der Ehre in dieſem Vorſatze einen Nachfolger zu haben, beraubet ſehen muͤſſen. G 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung06_1742
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung06_1742/101
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 6. Zürich, 1742, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung06_1742/101>, abgerufen am 27.11.2024.