[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 6. Zürich, 1742.des deutschen Witzes. geneigt sind, auf anderer Leute Worte und guteTreue und Glauben, ohne genugsamen Beweis und eigene Prüffung etwas arges von ihrem Nächsten zu dencken, vor gantz unnöthig, den Ungrund dieser Beschuldigung weitläuftig zu entdecken; die Schriften der Zürichischen Kunst- richter sind in jedermanns Händen, und werden begierig gelesen: Wer nur die Fähigkeit und den Willen hat, selbst zu untersuchen, wie ferne sie Lob und Tadel nach Verdienen ausgetheilet ha- ben, und ob sie in dem Tadel allzu scharff und unbescheiden gewesen seyn, der bedarf keines fremden Berichts, um einen billigen Entscheid davon zu geben. Was aber solche Leser ange- het, die entweder zu unvermögend oder zu un- geduldig sind, mit ihren eigenen Augen zu sehen, und die deswegen ihr Urtheil andern gleichsam verpachtet haben, die verdienen nicht, daß man sich Mühe gebe, sie zu nöthigen, daß sie sich vor muthwilligem Betruge in Acht nehmen. Nur kan ich hier nicht unberührt lassen, daß diese critische Schriften der Schweitzer das Gepräge einer unparteyischen Gerechtigkeit mit sich zu führen scheinen, angesehen dieselben eben so viel Eifer blicken lassen, die Vollkommenheiten ei- nes Poeten zu erheben, als seine Fehler zu rü- gen; und die so oft eingeführten Exempel der zween berühmten deutschen Poeten Hr. Königs und Hr. Brockes zeigen genugsam, daß es ih- nen eben so viele Lust und Vergnügen gebe, das, was sie in eben derselben Schrift für gut erken- nen, zu loben, als das Fehlerhafte darinnen zu
des deutſchen Witzes. geneigt ſind, auf anderer Leute Worte und guteTreue und Glauben, ohne genugſamen Beweis und eigene Pruͤffung etwas arges von ihrem Naͤchſten zu dencken, vor gantz unnoͤthig, den Ungrund dieſer Beſchuldigung weitlaͤuftig zu entdecken; die Schriften der Zuͤrichiſchen Kunſt- richter ſind in jedermanns Haͤnden, und werden begierig geleſen: Wer nur die Faͤhigkeit und den Willen hat, ſelbſt zu unterſuchen, wie ferne ſie Lob und Tadel nach Verdienen ausgetheilet ha- ben, und ob ſie in dem Tadel allzu ſcharff und unbeſcheiden geweſen ſeyn, der bedarf keines fremden Berichts, um einen billigen Entſcheid davon zu geben. Was aber ſolche Leſer ange- het, die entweder zu unvermoͤgend oder zu un- geduldig ſind, mit ihren eigenen Augen zu ſehen, und die deswegen ihr Urtheil andern gleichſam verpachtet haben, die verdienen nicht, daß man ſich Muͤhe gebe, ſie zu noͤthigen, daß ſie ſich vor muthwilligem Betruge in Acht nehmen. Nur kan ich hier nicht unberuͤhrt laſſen, daß dieſe critiſche Schriften der Schweitzer das Gepraͤge einer unparteyiſchen Gerechtigkeit mit ſich zu fuͤhren ſcheinen, angeſehen dieſelben eben ſo viel Eifer blicken laſſen, die Vollkommenheiten ei- nes Poeten zu erheben, als ſeine Fehler zu ruͤ- gen; und die ſo oft eingefuͤhrten Exempel der zween beruͤhmten deutſchen Poeten Hr. Koͤnigs und Hr. Brockes zeigen genugſam, daß es ih- nen eben ſo viele Luſt und Vergnuͤgen gebe, das, was ſie in eben derſelben Schrift fuͤr gut erken- nen, zu loben, als das Fehlerhafte darinnen zu
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des deutſchen Witzes.
geneigt ſind, auf anderer Leute Worte und gute
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und eigene Pruͤffung etwas arges von ihrem
Naͤchſten zu dencken, vor gantz unnoͤthig, den
Ungrund dieſer Beſchuldigung weitlaͤuftig zu
entdecken; die Schriften der Zuͤrichiſchen Kunſt-
richter ſind in jedermanns Haͤnden, und werden
begierig geleſen: Wer nur die Faͤhigkeit und den
Willen hat, ſelbſt zu unterſuchen, wie ferne ſie
Lob und Tadel nach Verdienen ausgetheilet ha-
ben, und ob ſie in dem Tadel allzu ſcharff und
unbeſcheiden geweſen ſeyn, der bedarf keines
fremden Berichts, um einen billigen Entſcheid
davon zu geben. Was aber ſolche Leſer ange-
het, die entweder zu unvermoͤgend oder zu un-
geduldig ſind, mit ihren eigenen Augen zu ſehen,
und die deswegen ihr Urtheil andern gleichſam
verpachtet haben, die verdienen nicht, daß man
ſich Muͤhe gebe, ſie zu noͤthigen, daß ſie ſich vor
muthwilligem Betruge in Acht nehmen. Nur
kan ich hier nicht unberuͤhrt laſſen, daß dieſe
critiſche Schriften der Schweitzer das Gepraͤge
einer unparteyiſchen Gerechtigkeit mit ſich zu
fuͤhren ſcheinen, angeſehen dieſelben eben ſo viel
Eifer blicken laſſen, die Vollkommenheiten ei-
nes Poeten zu erheben, als ſeine Fehler zu ruͤ-
gen; und die ſo oft eingefuͤhrten Exempel der
zween beruͤhmten deutſchen Poeten Hr. Koͤnigs
und Hr. Brockes zeigen genugſam, daß es ih-
nen eben ſo viele Luſt und Vergnuͤgen gebe, das,
was ſie in eben derſelben Schrift fuͤr gut erken-
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