[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 6. Zürich, 1742.Echo fodert, daß man nicht auf Recht und Verdienst,sondern auf das Vergnügen dessen, den man nützlich gewinnen will, sehe. Die Critick hingegen muß ihre Absicht von dem äusserlichen Range, Ansehen und Credit, und andern dergleichen Vorzügen gäntzlich abkehren, sie muß nur auf das innerliche Vermögen des Geistes, Verstan- des und Witzes sehen, und ihre Beurtheilun- gen auf die Wahrheit gründen. Geist, Ver- stand und Witz aber sind nicht an einen gewissen Rang oder an gewisse Aemter in der Welt ge- bunden; sie werden nicht angeerbt, sie können nicht mit Geld erkauft, noch wie Titel und Eh- renstellen verliehen oder verpachtet werden. Es ist keiner gezwungen, seinen Geist und Verstand durch offentliche Schriften auf die Probe zu se- zen, und es kan einer ein ehrlicher und nützlicher Patriot, ein kluger Staatsmann, ein erfahr- ner Arzt, und doch daneben ein schlechter Reim- held, ein matter Dichter, ein elender Scribent seyn, gleichwie es hingegen nicht unmöglich ist, daß einer bey einem schlechten äusserlichen Cre- dit und Ansehen ein geistreicher Poet, Redner, oder Schriftsteller seyn kan. Aber wenn einer sich durch offentliche Schriften freywillig zum Lehrer des menschlichen Geschlechts aufwirfft, und den Nahmen eines geistreichen Schriftver- fassers affectiert, so muß er von der gerechten Critick erwarten, daß sie ihm den verdienten Rang unter den Scribenten anweise; und wo- fern er sich nicht gegen die Aussprüche derselben gründlich vertheidigen, und sie der Ungerechtig- keit
Echo fodert, daß man nicht auf Recht und Verdienſt,ſondern auf das Vergnuͤgen deſſen, den man nuͤtzlich gewinnen will, ſehe. Die Critick hingegen muß ihre Abſicht von dem aͤuſſerlichen Range, Anſehen und Credit, und andern dergleichen Vorzuͤgen gaͤntzlich abkehren, ſie muß nur auf das innerliche Vermoͤgen des Geiſtes, Verſtan- des und Witzes ſehen, und ihre Beurtheilun- gen auf die Wahrheit gruͤnden. Geiſt, Ver- ſtand und Witz aber ſind nicht an einen gewiſſen Rang oder an gewiſſe Aemter in der Welt ge- bunden; ſie werden nicht angeerbt, ſie koͤnnen nicht mit Geld erkauft, noch wie Titel und Eh- renſtellen verliehen oder verpachtet werden. Es iſt keiner gezwungen, ſeinen Geiſt und Verſtand durch offentliche Schriften auf die Probe zu ſe- zen, und es kan einer ein ehrlicher und nuͤtzlicher Patriot, ein kluger Staatsmann, ein erfahr- ner Arzt, und doch daneben ein ſchlechter Reim- held, ein matter Dichter, ein elender Scribent ſeyn, gleichwie es hingegen nicht unmoͤglich iſt, daß einer bey einem ſchlechten aͤuſſerlichen Cre- dit und Anſehen ein geiſtreicher Poet, Redner, oder Schriftſteller ſeyn kan. Aber wenn einer ſich durch offentliche Schriften freywillig zum Lehrer des menſchlichen Geſchlechts aufwirfft, und den Nahmen eines geiſtreichen Schriftver- faſſers affectiert, ſo muß er von der gerechten Critick erwarten, daß ſie ihm den verdienten Rang unter den Scribenten anweiſe; und wo- fern er ſich nicht gegen die Ausſpruͤche derſelben gruͤndlich vertheidigen, und ſie der Ungerechtig- keit
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Echo
fodert, daß man nicht auf Recht und Verdienſt,
ſondern auf das Vergnuͤgen deſſen, den man
nuͤtzlich gewinnen will, ſehe. Die Critick hingegen
muß ihre Abſicht von dem aͤuſſerlichen Range,
Anſehen und Credit, und andern dergleichen
Vorzuͤgen gaͤntzlich abkehren, ſie muß nur auf
das innerliche Vermoͤgen des Geiſtes, Verſtan-
des und Witzes ſehen, und ihre Beurtheilun-
gen auf die Wahrheit gruͤnden. Geiſt, Ver-
ſtand und Witz aber ſind nicht an einen gewiſſen
Rang oder an gewiſſe Aemter in der Welt ge-
bunden; ſie werden nicht angeerbt, ſie koͤnnen
nicht mit Geld erkauft, noch wie Titel und Eh-
renſtellen verliehen oder verpachtet werden. Es
iſt keiner gezwungen, ſeinen Geiſt und Verſtand
durch offentliche Schriften auf die Probe zu ſe-
zen, und es kan einer ein ehrlicher und nuͤtzlicher
Patriot, ein kluger Staatsmann, ein erfahr-
ner Arzt, und doch daneben ein ſchlechter Reim-
held, ein matter Dichter, ein elender Scribent
ſeyn, gleichwie es hingegen nicht unmoͤglich iſt,
daß einer bey einem ſchlechten aͤuſſerlichen Cre-
dit und Anſehen ein geiſtreicher Poet, Redner,
oder Schriftſteller ſeyn kan. Aber wenn einer
ſich durch offentliche Schriften freywillig zum
Lehrer des menſchlichen Geſchlechts aufwirfft,
und den Nahmen eines geiſtreichen Schriftver-
faſſers affectiert, ſo muß er von der gerechten
Critick erwarten, daß ſie ihm den verdienten
Rang unter den Scribenten anweiſe; und wo-
fern er ſich nicht gegen die Ausſpruͤche derſelben
gruͤndlich vertheidigen, und ſie der Ungerechtig-
keit
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