[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 6. Zürich, 1742.Echo Wandel dergestalt vorzusehen, und zu bewaff-nen, daß das gantze Reich der Höllen, und der Tod, dieser König des Schreckens selbst, ihm nichts abgewinnen kan. + Der + Jch erinnere mich hier, was Hr. Gottsched im ersten
St. der Beyträge (IV. Art.) wider die Anlage des Miltoni- schen Gedichtes eingeworffen hat: "Satan sey Miltons "Held, der sich ungeachtet alles Widerstands an dem "Höchsten räche. Diese Vorstellung wäre erschrecklich. "Aber Milton sey ohne Zweifel zufrieden gewesen, daß "er diese Sätze in der Schrift und Religion gegründet be- "funden, wiewohl er besser gethan hätte, wenn er den "Fall Satans, darinn unstreitig Gott selbst die Oberhand "behalten, zum Jnhalte seines Gedichtes erwehlet hätte." Eine so ungereimte Antwort, als der Einwurf ist! Derglei- chen verkehrte Critick könnte uns zu glauben bewegen, Hr. Gottsched habe Satans Reden in Miltons Gedichte mehr Glauben zugestellt, als des Poeten, oder Michaels. Nur in Satans Reden herrschen die Gedancken, daß er dem Höchsten Anbether entzogen, daß er ihm Abbruch gethan, seine Herrschaft vermindert, seine Rathschläge hintertrieben, ein Reich neben dem seinen aufgerichtet, das menschliche Geschlecht mit sich in die Hölle gezogen habe. Jn den Re- den der himmlischen Personen und des Poeten wird uns der Messias im Himmel und auf Erden, als der vollkom- mene Held und Sieger vorgestellt; der das aufrührische Heer in die Hölle gestürtzet, dem Satan, daselbst zu regie- ren, sein Reich angewiesen, aus Satans Uebelthaten lau- ter gutes hergeleitet, den Menschen mit Gott versohnet, allen Zorn von ihm abgeweltzet, und ihn mit einer trostvollen Ruhe in der Brust aus dem Paradiese geschickt. Und diese Vorstellung ist unsrer Religion gemäß; damit streitet diejenige, die Hr. Gottsched aus Satans Reden gelernet, daß Satan sich am Höchsten gerächet habe, offenbar; und er hat allzu leichtsinnig gesagt, daß dieser Satz in der Schrift gegründet sey. Milton muß sich desto weniger ärgern, daß man so wenig Aufmercksamkeit und Verstand an seine Vor- stellungen gewandt, nachdem man vor die Vorstellungen der Schrift und Religion eben so wenig bezeiget. Echo Wandel dergeſtalt vorzuſehen, und zu bewaff-nen, daß das gantze Reich der Hoͤllen, und der Tod, dieſer Koͤnig des Schreckens ſelbſt, ihm nichts abgewinnen kan. † Der † Jch erinnere mich hier, was Hr. Gottſched im erſten
St. der Beytraͤge (IV. Art.) wider die Anlage des Miltoni- ſchen Gedichtes eingeworffen hat: „Satan ſey Miltons „Held, der ſich ungeachtet alles Widerſtands an dem „Hoͤchſten raͤche. Dieſe Vorſtellung waͤre erſchrecklich. „Aber Milton ſey ohne Zweifel zufrieden geweſen, daß „er dieſe Saͤtze in der Schrift und Religion gegruͤndet be- „funden, wiewohl er beſſer gethan haͤtte, wenn er den „Fall Satans, darinn unſtreitig Gott ſelbſt die Oberhand „behalten, zum Jnhalte ſeines Gedichtes erwehlet haͤtte.„ Eine ſo ungereimte Antwort, als der Einwurf iſt! Derglei- chen verkehrte Critick koͤnnte uns zu glauben bewegen, Hr. Gottſched habe Satans Reden in Miltons Gedichte mehr Glauben zugeſtellt, als des Poeten, oder Michaels. Nur in Satans Reden herrſchen die Gedancken, daß er dem Hoͤchſten Anbether entzogen, daß er ihm Abbruch gethan, ſeine Herrſchaft vermindert, ſeine Rathſchlaͤge hintertrieben, ein Reich neben dem ſeinen aufgerichtet, das menſchliche Geſchlecht mit ſich in die Hoͤlle gezogen habe. Jn den Re- den der himmliſchen Perſonen und des Poeten wird uns der Meſſias im Himmel und auf Erden, als der vollkom- mene Held und Sieger vorgeſtellt; der das aufruͤhriſche Heer in die Hoͤlle geſtuͤrtzet, dem Satan, daſelbſt zu regie- ren, ſein Reich angewieſen, aus Satans Uebelthaten lau- ter gutes hergeleitet, den Menſchen mit Gott verſohnet, allen Zorn von ihm abgeweltzet, und ihn mit einer troſtvollen Ruhe in der Bruſt aus dem Paradieſe geſchickt. Und dieſe Vorſtellung iſt unſrer Religion gemaͤß; damit ſtreitet diejenige, die Hr. Gottſched aus Satans Reden gelernet, daß Satan ſich am Hoͤchſten geraͤchet habe, offenbar; und er hat allzu leichtſinnig geſagt, daß dieſer Satz in der Schrift gegruͤndet ſey. Milton muß ſich deſto weniger aͤrgern, daß man ſo wenig Aufmerckſamkeit und Verſtand an ſeine Vor- ſtellungen gewandt, nachdem man vor die Vorſtellungen der Schrift und Religion eben ſo wenig bezeiget. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0064" n="64"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Echo</hi></hi></fw><lb/> Wandel dergeſtalt vorzuſehen, und zu bewaff-<lb/> nen, daß das gantze Reich der Hoͤllen, und<lb/> der Tod, dieſer Koͤnig des Schreckens ſelbſt,<lb/> ihm nichts abgewinnen kan. <note place="foot" n="†">Jch erinnere mich hier, was Hr. Gottſched im erſten<lb/> St. der Beytraͤge (<hi rendition="#aq">IV.</hi> Art.) wider die Anlage des Miltoni-<lb/> ſchen Gedichtes eingeworffen hat: „Satan ſey Miltons<lb/> „Held, der ſich ungeachtet alles Widerſtands an dem<lb/> „Hoͤchſten raͤche. Dieſe Vorſtellung waͤre <hi rendition="#fr">erſchrecklich.</hi><lb/> „Aber Milton ſey ohne Zweifel zufrieden geweſen, daß<lb/> „er dieſe Saͤtze in der Schrift und Religion gegruͤndet be-<lb/> „funden, wiewohl er beſſer gethan haͤtte, wenn er den<lb/> „Fall Satans, darinn unſtreitig Gott ſelbſt die Oberhand<lb/> „behalten, zum Jnhalte ſeines Gedichtes erwehlet haͤtte.„<lb/> Eine ſo ungereimte Antwort, als der Einwurf iſt! Derglei-<lb/> chen verkehrte Critick koͤnnte uns zu glauben bewegen, Hr.<lb/> Gottſched habe Satans Reden in Miltons Gedichte mehr<lb/> Glauben zugeſtellt, als des Poeten, oder Michaels. Nur<lb/> in Satans Reden herrſchen die Gedancken, daß er dem<lb/> Hoͤchſten Anbether entzogen, daß er ihm Abbruch gethan,<lb/> ſeine Herrſchaft vermindert, ſeine Rathſchlaͤge hintertrieben,<lb/> ein Reich neben dem ſeinen aufgerichtet, das menſchliche<lb/> Geſchlecht mit ſich in die Hoͤlle gezogen habe. Jn den Re-<lb/> den der himmliſchen Perſonen und des Poeten wird uns<lb/> der Meſſias im Himmel und auf Erden, als der vollkom-<lb/> mene Held und Sieger vorgeſtellt; der das aufruͤhriſche<lb/> Heer in die Hoͤlle geſtuͤrtzet, dem Satan, daſelbſt zu regie-<lb/> ren, ſein Reich angewieſen, aus Satans Uebelthaten lau-<lb/> ter gutes hergeleitet, den Menſchen mit Gott verſohnet,<lb/> allen Zorn von ihm abgeweltzet, und ihn mit einer troſtvollen<lb/> Ruhe in der Bruſt aus dem Paradieſe geſchickt. Und<lb/> dieſe Vorſtellung iſt unſrer Religion gemaͤß; damit ſtreitet<lb/> diejenige, die Hr. Gottſched aus Satans Reden gelernet,<lb/> daß Satan ſich am Hoͤchſten geraͤchet habe, offenbar; und<lb/> er hat allzu leichtſinnig geſagt, daß dieſer Satz in der Schrift<lb/> gegruͤndet ſey. Milton muß ſich deſto weniger aͤrgern, daß<lb/> man ſo wenig Aufmerckſamkeit und Verſtand an ſeine Vor-<lb/> ſtellungen gewandt, nachdem man vor die Vorſtellungen<lb/> der Schrift und Religion eben ſo wenig bezeiget.</note></p><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Der</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [64/0064]
Echo
Wandel dergeſtalt vorzuſehen, und zu bewaff-
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der Tod, dieſer Koͤnig des Schreckens ſelbſt,
ihm nichts abgewinnen kan. †
Der
† Jch erinnere mich hier, was Hr. Gottſched im erſten
St. der Beytraͤge (IV. Art.) wider die Anlage des Miltoni-
ſchen Gedichtes eingeworffen hat: „Satan ſey Miltons
„Held, der ſich ungeachtet alles Widerſtands an dem
„Hoͤchſten raͤche. Dieſe Vorſtellung waͤre erſchrecklich.
„Aber Milton ſey ohne Zweifel zufrieden geweſen, daß
„er dieſe Saͤtze in der Schrift und Religion gegruͤndet be-
„funden, wiewohl er beſſer gethan haͤtte, wenn er den
„Fall Satans, darinn unſtreitig Gott ſelbſt die Oberhand
„behalten, zum Jnhalte ſeines Gedichtes erwehlet haͤtte.„
Eine ſo ungereimte Antwort, als der Einwurf iſt! Derglei-
chen verkehrte Critick koͤnnte uns zu glauben bewegen, Hr.
Gottſched habe Satans Reden in Miltons Gedichte mehr
Glauben zugeſtellt, als des Poeten, oder Michaels. Nur
in Satans Reden herrſchen die Gedancken, daß er dem
Hoͤchſten Anbether entzogen, daß er ihm Abbruch gethan,
ſeine Herrſchaft vermindert, ſeine Rathſchlaͤge hintertrieben,
ein Reich neben dem ſeinen aufgerichtet, das menſchliche
Geſchlecht mit ſich in die Hoͤlle gezogen habe. Jn den Re-
den der himmliſchen Perſonen und des Poeten wird uns
der Meſſias im Himmel und auf Erden, als der vollkom-
mene Held und Sieger vorgeſtellt; der das aufruͤhriſche
Heer in die Hoͤlle geſtuͤrtzet, dem Satan, daſelbſt zu regie-
ren, ſein Reich angewieſen, aus Satans Uebelthaten lau-
ter gutes hergeleitet, den Menſchen mit Gott verſohnet,
allen Zorn von ihm abgeweltzet, und ihn mit einer troſtvollen
Ruhe in der Bruſt aus dem Paradieſe geſchickt. Und
dieſe Vorſtellung iſt unſrer Religion gemaͤß; damit ſtreitet
diejenige, die Hr. Gottſched aus Satans Reden gelernet,
daß Satan ſich am Hoͤchſten geraͤchet habe, offenbar; und
er hat allzu leichtſinnig geſagt, daß dieſer Satz in der Schrift
gegruͤndet ſey. Milton muß ſich deſto weniger aͤrgern, daß
man ſo wenig Aufmerckſamkeit und Verſtand an ſeine Vor-
ſtellungen gewandt, nachdem man vor die Vorſtellungen
der Schrift und Religion eben ſo wenig bezeiget.
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