[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 6. Zürich, 1742.des deutschen Witzes. sie allen Völckern in der Welt vorziehen/ undHrn. Addison/ für den sie so viel Hochachtung als je für einen Schriftsteller in der Welt ha- ben/ eine ausschweifende Einbildungskraft zu/ in welcher sie sich ein Bild durch öfters An- schauen als ein Ungeheuer vorstellen; nicht der eckle deutsche Geschmack erwartet in den F[e]es illustres keine Wahrscheinlichkeit; nicht die Deut- schen schelten die alten griechischen und lateini- schen Poeten vor mythologische Hocuspocusma- cher; sondern Pitschel. Nur dieser hat aus List seinen schlimmen Geschmack der scharfsinni- gen deutschen Nation zugeschrieben, damit er dadurch seinem eigenen verderbten ein Ansehen erwürbe. Oder es war ein unverständiger Hoch- muth, nach welchem er sich schmeichelte, daß er den Deutschen mit seinem Geschmack vorgehen wollte, daß diese ihren eigenen abdancken und sich zu dem seinigen bekennen würden. Allein er muß zu einem Betruge von dieser Art mehr Ge- schicklichkeit haben, wenn ihn nicht die Ohren, die Hörner, oder der Schwantz verrathen sol- len. Wäre sein Vorhaben gewesen, seine Lands- leute mit allem Fleisse zu beschimpfen, so hätte ers nicht besser anstellen können, als daß er ih- nen solche Urtheile, Gedancken, Sätze und Aus- drücke in den Mund leget. X.
des deutſchen Witzes. ſie allen Voͤlckern in der Welt vorziehen/ undHrn. Addiſon/ fuͤr den ſie ſo viel Hochachtung als je fuͤr einen Schriftſteller in der Welt ha- ben/ eine ausſchweifende Einbildungskraft zu/ in welcher ſie ſich ein Bild durch oͤfters An- ſchauen als ein Ungeheuer vorſtellen; nicht der eckle deutſche Geſchmack erwartet in den F[e]es illuſtres keine Wahrſcheinlichkeit; nicht die Deut- ſchen ſchelten die alten griechiſchen und lateini- ſchen Poeten vor mythologiſche Hocuspocusma- cher; ſondern Pitſchel. Nur dieſer hat aus Liſt ſeinen ſchlimmen Geſchmack der ſcharfſinni- gen deutſchen Nation zugeſchrieben, damit er dadurch ſeinem eigenen verderbten ein Anſehen erwuͤrbe. Oder es war ein unverſtaͤndiger Hoch- muth, nach welchem er ſich ſchmeichelte, daß er den Deutſchen mit ſeinem Geſchmack vorgehen wollte, daß dieſe ihren eigenen abdancken und ſich zu dem ſeinigen bekennen wuͤrden. Allein er muß zu einem Betruge von dieſer Art mehr Ge- ſchicklichkeit haben, wenn ihn nicht die Ohren, die Hoͤrner, oder der Schwantz verrathen ſol- len. Waͤre ſein Vorhaben geweſen, ſeine Lands- leute mit allem Fleiſſe zu beſchimpfen, ſo haͤtte ers nicht beſſer anſtellen koͤnnen, als daß er ih- nen ſolche Urtheile, Gedancken, Saͤtze und Aus- druͤcke in den Mund leget. X.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0075" n="75"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">des deutſchen Witzes.</hi></fw><lb/><hi rendition="#fr">ſie allen Voͤlckern in der Welt vorziehen/ und<lb/> Hrn. Addiſon/ fuͤr den ſie ſo viel Hochachtung<lb/> als je fuͤr einen Schriftſteller in der Welt ha-<lb/> ben/ eine ausſchweifende Einbildungskraft zu/<lb/> in welcher ſie ſich ein Bild durch oͤfters An-<lb/> ſchauen als ein Ungeheuer vorſtellen; nicht der<lb/> eckle deutſche Geſchmack erwartet in den</hi><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">F<supplied>e</supplied>es<lb/> illuſtres</hi></hi><hi rendition="#fr">keine Wahrſcheinlichkeit;</hi> nicht die Deut-<lb/> ſchen ſchelten die alten griechiſchen und lateini-<lb/> ſchen Poeten vor <hi rendition="#fr">mythologiſche Hocuspocusma-<lb/> cher;</hi> ſondern <hi rendition="#fr">Pitſchel.</hi> Nur dieſer hat aus<lb/> Liſt ſeinen ſchlimmen Geſchmack der ſcharfſinni-<lb/> gen deutſchen Nation zugeſchrieben, damit er<lb/> dadurch ſeinem eigenen verderbten ein Anſehen<lb/> erwuͤrbe. Oder es war ein unverſtaͤndiger Hoch-<lb/> muth, nach welchem er ſich ſchmeichelte, daß er<lb/> den Deutſchen mit ſeinem Geſchmack vorgehen<lb/> wollte, daß dieſe ihren eigenen abdancken und<lb/> ſich zu dem ſeinigen bekennen wuͤrden. Allein er<lb/> muß zu einem Betruge von dieſer Art mehr Ge-<lb/> ſchicklichkeit haben, wenn ihn nicht die Ohren,<lb/> die Hoͤrner, oder der Schwantz verrathen ſol-<lb/> len. Waͤre ſein Vorhaben geweſen, ſeine Lands-<lb/> leute mit allem Fleiſſe zu beſchimpfen, ſo haͤtte<lb/> ers nicht beſſer anſtellen koͤnnen, als daß er ih-<lb/> nen ſolche Urtheile, Gedancken, Saͤtze und Aus-<lb/> druͤcke in den Mund leget.</p> </div><lb/> <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#b">X.</hi> </hi> </fw><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [75/0075]
des deutſchen Witzes.
ſie allen Voͤlckern in der Welt vorziehen/ und
Hrn. Addiſon/ fuͤr den ſie ſo viel Hochachtung
als je fuͤr einen Schriftſteller in der Welt ha-
ben/ eine ausſchweifende Einbildungskraft zu/
in welcher ſie ſich ein Bild durch oͤfters An-
ſchauen als ein Ungeheuer vorſtellen; nicht der
eckle deutſche Geſchmack erwartet in den Fees
illuſtres keine Wahrſcheinlichkeit; nicht die Deut-
ſchen ſchelten die alten griechiſchen und lateini-
ſchen Poeten vor mythologiſche Hocuspocusma-
cher; ſondern Pitſchel. Nur dieſer hat aus
Liſt ſeinen ſchlimmen Geſchmack der ſcharfſinni-
gen deutſchen Nation zugeſchrieben, damit er
dadurch ſeinem eigenen verderbten ein Anſehen
erwuͤrbe. Oder es war ein unverſtaͤndiger Hoch-
muth, nach welchem er ſich ſchmeichelte, daß er
den Deutſchen mit ſeinem Geſchmack vorgehen
wollte, daß dieſe ihren eigenen abdancken und
ſich zu dem ſeinigen bekennen wuͤrden. Allein er
muß zu einem Betruge von dieſer Art mehr Ge-
ſchicklichkeit haben, wenn ihn nicht die Ohren,
die Hoͤrner, oder der Schwantz verrathen ſol-
len. Waͤre ſein Vorhaben geweſen, ſeine Lands-
leute mit allem Fleiſſe zu beſchimpfen, ſo haͤtte
ers nicht beſſer anſtellen koͤnnen, als daß er ih-
nen ſolche Urtheile, Gedancken, Saͤtze und Aus-
druͤcke in den Mund leget.
X.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |