[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 7. Zürich, 1743.Von den glücklichen Umständen Ehre, der Redlichkeit, und der Mässigkeit, et-was würkliches waren? Ein Poet, der diese Tugenden von der Nothwendigkeit lernete, und von den Umständen selbst darauf geführt würde, müßte sie besser kennen, als ihn die Schulen, und Bücher davon unterrichten könnten. Und seine Vorstellungen solcher ächten Character würden die Kennzeichen der Wahrheit auf sich tragen, und die Character weit übertreffen, welche von angemaßter Dapferkeit, verstellten Tugenden, oder noch schlechtern Mustern abgebildet werden. Lebte ein Volk natürlich, und würde durch das Sie haben einen sonderbaren Einfluß auf die ken
Von den gluͤcklichen Umſtaͤnden Ehre, der Redlichkeit, und der Maͤſſigkeit, et-was wuͤrkliches waren? Ein Poet, der dieſe Tugenden von der Nothwendigkeit lernete, und von den Umſtaͤnden ſelbſt darauf gefuͤhrt wuͤrde, muͤßte ſie beſſer kennen, als ihn die Schulen, und Buͤcher davon unterrichten koͤnnten. Und ſeine Vorſtellungen ſolcher aͤchten Character wuͤrden die Kennzeichen der Wahrheit auf ſich tragen, und die Character weit uͤbertreffen, welche von angemaßter Dapferkeit, verſtellten Tugenden, oder noch ſchlechtern Muſtern abgebildet werden. Lebte ein Volk natuͤrlich, und wuͤrde durch das Sie haben einen ſonderbaren Einfluß auf die ken
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Von den gluͤcklichen Umſtaͤnden
Ehre, der Redlichkeit, und der Maͤſſigkeit, et-
was wuͤrkliches waren? Ein Poet, der dieſe
Tugenden von der Nothwendigkeit lernete, und
von den Umſtaͤnden ſelbſt darauf gefuͤhrt wuͤrde,
muͤßte ſie beſſer kennen, als ihn die Schulen, und
Buͤcher davon unterrichten koͤnnten. Und ſeine
Vorſtellungen ſolcher aͤchten Character wuͤrden
die Kennzeichen der Wahrheit auf ſich tragen,
und die Character weit uͤbertreffen, welche von
angemaßter Dapferkeit, verſtellten Tugenden,
oder noch ſchlechtern Muſtern abgebildet werden.
Lebte ein Volk natuͤrlich, und wuͤrde durch das
natuͤrliche Gewichte der Leidenſchaften, das in ei-
nes jeden Menſchen Bruſt liegt, regiert, ſo wuͤrde
dieſes machen, daß ſie ohne allen Zwang, allein
nach ihren eigenen angebohrnen Begriffen vom
Guten und Boͤſen, Rechten und Unrechten, rede-
ten und handelten, ſo wie ein jeder von ſeinem
Hertzen gelenket wuͤrde. Dieſe Sitten nun
wuͤrden einem Poeten die natuͤrlichſten Schilde-
reyen, und geſchikte Worte ſie auszumahlen, an
die Hand geben.
Sie haben einen ſonderbaren Einfluß auf die
Sprache, nicht allein ſoferne ſie natuͤrlich ſind,
ſondern auch ſofern ſie aufrichtig und guͤtig ſind.
So lange ein Volk einfaͤltig und offenhertzig bleibt,
ſo lange bekoͤmmt alles was es ſagt, ein Gewichte
von der Wahrheit; ſeine Gemuͤthesgedanken ſind
ſtarck und ehrbar, welches allemahl bequeme Wor-
te herſchaffet, ſie auszudruͤcken: Seine Leidenſchaf-
ten ſind von aͤchtem Schrote und Korn, nicht un-
aͤcht, nicht unterſchoben, nicht verſtellt, und druͤ-
ken
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