[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 8. Zürich, 1743.
auf den Weisen. Den Frachten droht, und Mast und Kiel ereilt,So oft der Herr der Wasser und der Erden. Die Krämer beugt, daß sie nicht Fürsten werden. IV. Was Recht und Fleiß und Zeit und Glück ihm geben,20Verwaltet er mit milder Danckbarkeit, Und meidet den, der den Genuß vom Leben, Der jeden Tag nur dem Gewerbe weiht, Und [Spaltenumbruch]
hören, ob denn die Wellen auch eine Zunge, ob sie auch Zäh- ne haben? Wenn man schon antworten würde; der Geitzige stelle sich in seiner Einbildung die Gefahr in dergleichen Um- ständen noch so groß und er- schrecklich vor, als sie ist; der Tropus an sich selbst habe seine malerische Wahrscheinlichkeit; man sage in den gemeinen Re- den, von den Wellen verschlun- gen werden, und was derglei- chen mehr zur Rechtfertigung die- ser Redensart vorgebracht wer- den könnte; so bleiben diese eritischen Helden auf ihrem sechs- ten Sinne, und geben ihrem Ausspruch durch ihr Ansehen, und durch eine öftere Wieder- holung einen solchen Nachdruk, daß ihre gläubigen Schüler sich verschweeren würden, es wäre un- möglich daß die Wellen einen Ra- chen haben können, wie die Löwen. Also hat Hr. Gottsched selbst schon im Jahr 1728. den gleich- [Spaltenumbruch] mässigen Tropum, daß die Bluh- men ihre Hälse emporrecken, mit dergleichen seltsamen Fra- gen lächerlich zu machen gesucht. Er hat gesagt: Der Lilie und der Tulipe wird ein Haupt zu- geschrieben; Hr. Broks giebt ihnen gar eine Stirne. Haben sie ein Haupt und eine Stirne so haben sie auch einen Hals, so können sie ihn auch hervor- recken. Vortrefflich! Warum nicht auch eine Nase, warum nicht auch Ohren? Warum nicht auch Schultern u. s. w. Wir haben es seiner Beschei- denheit zu dancken, daß er uns auf die absonderliche Aehnlich- keit, so einige Theile der Blu- men mit gewissen Gliedmassen des menschlichen Leibes haben, nicht einen gantzen Menschen ge- staltet, und ihn mit Nägeln, Nabel, desgleichen Lungen, Le- ber, und übrigen Eingeweide versehen, zuletzt noch mit Seele und Leben begabet hat. V. 20. Verwaltet er.
[Spaltenumbruch] Er besitzt es nicht als ein Eigen- thums-Herr; sondern er ver- [Spaltenumbruch] waltet es nur als etwas frem- des. auf den Weiſen. Den Frachten droht, und Maſt und Kiel ereilt,So oft der Herr der Waſſer und der Erden. Die Kraͤmer beugt, daß ſie nicht Fuͤrſten werden. IV. Was Recht und Fleiß und Zeit und Gluͤck ihm geben,20Verwaltet er mit milder Danckbarkeit, Und meidet den, der den Genuß vom Leben, Der jeden Tag nur dem Gewerbe weiht, Und [Spaltenumbruch]
hoͤren, ob denn die Wellen auch eine Zunge, ob ſie auch Zaͤh- ne haben? Wenn man ſchon antworten wuͤrde; der Geitzige ſtelle ſich in ſeiner Einbildung die Gefahr in dergleichen Um- ſtaͤnden noch ſo groß und er- ſchrecklich vor, als ſie iſt; der Tropus an ſich ſelbſt habe ſeine maleriſche Wahrſcheinlichkeit; man ſage in den gemeinen Re- den, von den Wellen verſchlun- gen werden, und was derglei- chen mehr zur Rechtfertigung die- ſer Redensart vorgebracht wer- den koͤnnte; ſo bleiben dieſe eritiſchen Helden auf ihrem ſechs- ten Sinne, und geben ihrem Ausſpruch durch ihr Anſehen, und durch eine oͤftere Wieder- holung einen ſolchen Nachdruk, daß ihre glaͤubigen Schuͤler ſich verſchweeren wuͤrden, es waͤre un- moͤglich daß die Wellen einen Ra- chen haben koͤnnen, wie die Loͤwen. Alſo hat Hr. Gottſched ſelbſt ſchon im Jahr 1728. den gleich- [Spaltenumbruch] maͤſſigen Tropum, daß die Bluh- men ihre Haͤlſe emporrecken, mit dergleichen ſeltſamen Fra- gen laͤcherlich zu machen geſucht. Er hat geſagt: Der Lilie und der Tulipe wird ein Haupt zu- geſchrieben; Hr. Broks giebt ihnen gar eine Stirne. Haben ſie ein Haupt und eine Stirne ſo haben ſie auch einen Hals, ſo koͤnnen ſie ihn auch hervor- recken. Vortrefflich! Warum nicht auch eine Naſe, warum nicht auch Ohren? Warum nicht auch Schultern u. ſ. w. Wir haben es ſeiner Beſchei- denheit zu dancken, daß er uns auf die abſonderliche Aehnlich- keit, ſo einige Theile der Blu- men mit gewiſſen Gliedmaſſen des menſchlichen Leibes haben, nicht einen gantzen Menſchen ge- ſtaltet, und ihn mit Naͤgeln, Nabel, desgleichen Lungen, Le- ber, und uͤbrigen Eingeweide verſehen, zuletzt noch mit Seele und Leben begabet hat. V. 20. Verwaltet er.
[Spaltenumbruch] Er beſitzt es nicht als ein Eigen- thums-Herr; ſondern er ver- [Spaltenumbruch] waltet es nur als etwas frem- des. <TEI> <text> <front> <div n="1"> <lg type="poem"> <lg n="3"> <pb facs="#f0027" n="27"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">auf den Weiſen.</hi> </fw><lb/> <l>Den Frachten droht, und Maſt und Kiel ereilt,</l><lb/> <l>So oft der Herr der Waſſer und der Erden.</l><lb/> <l>Die Kraͤmer beugt, daß ſie nicht Fuͤrſten werden.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <head> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#g">IV.</hi> </hi> </head><lb/> <l>Was Recht und Fleiß und Zeit und Gluͤck ihm geben,</l><lb/> <note place="left">20</note> <l>Verwaltet er<note place="foot">V. 20. Verwaltet er.<lb/><cb/> Er beſitzt es nicht als ein Eigen-<lb/> thums-Herr; ſondern er ver-<lb/><cb/> waltet es nur als etwas frem-<lb/> des.</note> mit milder Danckbarkeit,</l><lb/> <l>Und meidet den, der den <hi rendition="#fr">Genuß vom</hi> Leben,</l><lb/> <l>Der jeden Tag nur dem Gewerbe weiht,</l><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Und</fw><lb/> <note xml:id="f04" prev="#f03" place="foot"><cb/> hoͤren, ob denn die Wellen auch<lb/> eine Zunge, ob ſie auch Zaͤh-<lb/> ne haben? Wenn man ſchon<lb/> antworten wuͤrde; der Geitzige<lb/> ſtelle ſich in ſeiner Einbildung<lb/> die Gefahr in dergleichen Um-<lb/> ſtaͤnden noch ſo groß und er-<lb/> ſchrecklich vor, als ſie iſt; der<lb/> Tropus an ſich ſelbſt habe ſeine<lb/> maleriſche Wahrſcheinlichkeit;<lb/> man ſage in den gemeinen Re-<lb/> den, von den Wellen verſchlun-<lb/> gen werden, und was derglei-<lb/> chen mehr zur Rechtfertigung die-<lb/> ſer Redensart vorgebracht wer-<lb/> den koͤnnte; ſo bleiben dieſe<lb/> eritiſchen Helden auf ihrem ſechs-<lb/> ten Sinne, und geben ihrem<lb/> Ausſpruch durch ihr Anſehen,<lb/> und durch eine oͤftere Wieder-<lb/> holung einen ſolchen Nachdruk,<lb/> daß ihre glaͤubigen Schuͤler ſich<lb/> verſchweeren wuͤrden, es waͤre un-<lb/> moͤglich daß die Wellen einen Ra-<lb/> chen haben koͤnnen, wie die Loͤwen.<lb/> Alſo hat Hr. Gottſched ſelbſt<lb/> ſchon im Jahr 1728. den gleich-<lb/><cb/> maͤſſigen Tropum, daß die Bluh-<lb/> men ihre Haͤlſe emporrecken,<lb/> mit dergleichen ſeltſamen Fra-<lb/> gen laͤcherlich zu machen geſucht.<lb/> Er hat geſagt: Der Lilie und<lb/> der Tulipe wird ein Haupt zu-<lb/> geſchrieben; Hr. Broks giebt<lb/> ihnen gar eine Stirne. Haben<lb/> ſie ein Haupt und eine Stirne<lb/> ſo haben ſie auch einen Hals,<lb/> ſo koͤnnen ſie ihn auch hervor-<lb/> recken. Vortrefflich! Warum<lb/> nicht auch eine Naſe, warum<lb/> nicht auch Ohren? Warum nicht<lb/> auch Schultern u. ſ. w.<lb/> Wir haben es ſeiner Beſchei-<lb/> denheit zu dancken, daß er uns<lb/> auf die abſonderliche Aehnlich-<lb/> keit, ſo einige Theile der Blu-<lb/> men mit gewiſſen Gliedmaſſen<lb/> des menſchlichen Leibes haben,<lb/> nicht einen gantzen Menſchen ge-<lb/> ſtaltet, und ihn mit Naͤgeln,<lb/> Nabel, desgleichen Lungen, Le-<lb/> ber, und uͤbrigen Eingeweide<lb/> verſehen, zuletzt noch mit Seele<lb/> und Leben begabet hat.</note><lb/><lb/> </lg> </lg> </div> </front> </text> </TEI> [27/0027]
auf den Weiſen.
Den Frachten droht, und Maſt und Kiel ereilt,
So oft der Herr der Waſſer und der Erden.
Die Kraͤmer beugt, daß ſie nicht Fuͤrſten werden.
IV.
Was Recht und Fleiß und Zeit und Gluͤck ihm geben,
Verwaltet er mit milder Danckbarkeit,
Und meidet den, der den Genuß vom Leben,
Der jeden Tag nur dem Gewerbe weiht,
Und
V. 20. Verwaltet er.
Er beſitzt es nicht als ein Eigen-
thums-Herr; ſondern er ver-
waltet es nur als etwas frem-
des.
hoͤren, ob denn die Wellen auch
eine Zunge, ob ſie auch Zaͤh-
ne haben? Wenn man ſchon
antworten wuͤrde; der Geitzige
ſtelle ſich in ſeiner Einbildung
die Gefahr in dergleichen Um-
ſtaͤnden noch ſo groß und er-
ſchrecklich vor, als ſie iſt; der
Tropus an ſich ſelbſt habe ſeine
maleriſche Wahrſcheinlichkeit;
man ſage in den gemeinen Re-
den, von den Wellen verſchlun-
gen werden, und was derglei-
chen mehr zur Rechtfertigung die-
ſer Redensart vorgebracht wer-
den koͤnnte; ſo bleiben dieſe
eritiſchen Helden auf ihrem ſechs-
ten Sinne, und geben ihrem
Ausſpruch durch ihr Anſehen,
und durch eine oͤftere Wieder-
holung einen ſolchen Nachdruk,
daß ihre glaͤubigen Schuͤler ſich
verſchweeren wuͤrden, es waͤre un-
moͤglich daß die Wellen einen Ra-
chen haben koͤnnen, wie die Loͤwen.
Alſo hat Hr. Gottſched ſelbſt
ſchon im Jahr 1728. den gleich-
maͤſſigen Tropum, daß die Bluh-
men ihre Haͤlſe emporrecken,
mit dergleichen ſeltſamen Fra-
gen laͤcherlich zu machen geſucht.
Er hat geſagt: Der Lilie und
der Tulipe wird ein Haupt zu-
geſchrieben; Hr. Broks giebt
ihnen gar eine Stirne. Haben
ſie ein Haupt und eine Stirne
ſo haben ſie auch einen Hals,
ſo koͤnnen ſie ihn auch hervor-
recken. Vortrefflich! Warum
nicht auch eine Naſe, warum
nicht auch Ohren? Warum nicht
auch Schultern u. ſ. w.
Wir haben es ſeiner Beſchei-
denheit zu dancken, daß er uns
auf die abſonderliche Aehnlich-
keit, ſo einige Theile der Blu-
men mit gewiſſen Gliedmaſſen
des menſchlichen Leibes haben,
nicht einen gantzen Menſchen ge-
ſtaltet, und ihn mit Naͤgeln,
Nabel, desgleichen Lungen, Le-
ber, und uͤbrigen Eingeweide
verſehen, zuletzt noch mit Seele
und Leben begabet hat.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
| URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung08_1743 |
| URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung08_1743/27 |
| Zitationshilfe: | [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 8. Zürich, 1743, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung08_1743/27>, abgerufen am 28.04.2024. |
