[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 8. Zürich, 1743.
Unsere heutigen poetischen Moralisten haben das "und verharret als blind in Sünden. Alle Stras- "dieser
Unſere heutigen poetiſchen Moraliſten haben das „und verharret als blind in Suͤnden. Alle Straſ- „dieſer
<TEI> <text> <front> <div n="1"> <cit> <quote><pb facs="#f0004" n="4"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von der Poeſie</hi></fw><lb/> „und mercke. Jch ſchweige, denn der Wolf iſt<lb/> „nicht fern von mir. Ein Narr ſtraft man-<lb/> „chen vor der Zeit, ehe er weis, was ihm an-<lb/> „liegt. Muͤßte jeder des andern Ruͤcken ſeyn,<lb/> „ſo wuͤrde er bald innen werden, was ihn druͤ-<lb/> „ket. Jch weis wohl, wo mich der Schuh druͤ-<lb/> „ket, darum ob man mich ſchelten und ſprechen<lb/> „wollte, Artzt heile dich ſelber, denn du biſt<lb/> „auch in unſerer Rotte, ſo weis ich das, und<lb/> „bekenne es Gott; nemlich daß ich viel Thor-<lb/> „heiten gethan habe, und noch ietzo im Nar-<lb/> „renorden gehe; wie faſt ich an der Kappen<lb/> „ſchuͤttle, will ſie mich doch nicht gantz laſſen.<lb/> „Doch habe ich zu dieſem Ende Fleiß und Ernſt<lb/> „angekehrt, und damit, wie du ſieheſt, ſo viel<lb/> „gelernet, daß ich ietzo viel Narren kenne; ich<lb/> „habe auch den Muth mich, ob Gott will, fer-<lb/> „ner mittelſt Witzes und mit der Zeit zu beſ-<lb/> „ſern.„ Das ſtimmt mit Horatzens Vorſatze<lb/> uͤberein: ‒ ‒ ‒ ‒ <hi rendition="#aq">Fortaſſis & iſtinc.<lb/><hi rendition="#et">Largiter abſtulerit longa ætas, liber amicus,<lb/> Conſilium proprium, neque enim deſum mihi.</hi></hi></quote> </cit><lb/> <p>Unſere heutigen poetiſchen Moraliſten haben das<lb/> Hertz nicht, ſelber ein ſolches Bekenntniß von ſich<lb/> ſelbſt abzulegen. Brand erzehlt uns ſein Vorhaben<lb/> mit dem groͤſten Nachdruck bey der natuͤrlichſten<lb/> Einfalt: „Die gantze Welt lebt in finſterer Nacht,</p><lb/> <cit> <quote>„und verharret als blind in Suͤnden. Alle Straſ-<lb/> „ſen und Gaſſen ſind voll Narren; die mit<lb/> „nichts anders als mit Thorheit umgehen, aber<lb/> „doch den Nahmen nicht haben wollen. Aus<lb/> <fw place="bottom" type="catch">„dieſer</fw><lb/></quote> </cit> </div> </front> </text> </TEI> [4/0004]
Von der Poeſie
„und mercke. Jch ſchweige, denn der Wolf iſt
„nicht fern von mir. Ein Narr ſtraft man-
„chen vor der Zeit, ehe er weis, was ihm an-
„liegt. Muͤßte jeder des andern Ruͤcken ſeyn,
„ſo wuͤrde er bald innen werden, was ihn druͤ-
„ket. Jch weis wohl, wo mich der Schuh druͤ-
„ket, darum ob man mich ſchelten und ſprechen
„wollte, Artzt heile dich ſelber, denn du biſt
„auch in unſerer Rotte, ſo weis ich das, und
„bekenne es Gott; nemlich daß ich viel Thor-
„heiten gethan habe, und noch ietzo im Nar-
„renorden gehe; wie faſt ich an der Kappen
„ſchuͤttle, will ſie mich doch nicht gantz laſſen.
„Doch habe ich zu dieſem Ende Fleiß und Ernſt
„angekehrt, und damit, wie du ſieheſt, ſo viel
„gelernet, daß ich ietzo viel Narren kenne; ich
„habe auch den Muth mich, ob Gott will, fer-
„ner mittelſt Witzes und mit der Zeit zu beſ-
„ſern.„ Das ſtimmt mit Horatzens Vorſatze
uͤberein: ‒ ‒ ‒ ‒ Fortaſſis & iſtinc.
Largiter abſtulerit longa ætas, liber amicus,
Conſilium proprium, neque enim deſum mihi.
Unſere heutigen poetiſchen Moraliſten haben das
Hertz nicht, ſelber ein ſolches Bekenntniß von ſich
ſelbſt abzulegen. Brand erzehlt uns ſein Vorhaben
mit dem groͤſten Nachdruck bey der natuͤrlichſten
Einfalt: „Die gantze Welt lebt in finſterer Nacht,
„und verharret als blind in Suͤnden. Alle Straſ-
„ſen und Gaſſen ſind voll Narren; die mit
„nichts anders als mit Thorheit umgehen, aber
„doch den Nahmen nicht haben wollen. Aus
„dieſer
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