[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 9. Zürich, 1749.Von dem Zustande der Poesie hohen Lieds Salomonis, und anderer Oerterin Heil. Schrifft geschweige, welche nicht weni- ger poetisch, und mit solcher Zierlichkeit ge- schrieben sind, daß sie so weit über alle welt- liche Gedichte steigen, so weit die himmlischen Dinge alle irrdische Eitelkeit übertreffen. Daß der Heil. Geist auch zwar die Lehre der Hey- den verworffen hat, aber nicht die Worte, wie St. Ambrosius klärlich erweiset, und in der alten Uebersetzung der Bibel noch zu sehen; da denn Gigantes, Valles Titanum, Sire- nes, filiae Sirenum, Cocytus, pneuma pu- thonos, und dergleichen, so von den Poeten ent- lehnet, noch zu finden seyn. Ja daß offter- mahls, wie Plutarchus gar recht berichtet, durch Vulcanus, Bacchus, Venus und andere Nahmen, nichts als das Feuer, der Wein, die Liebe, und ihre Tugend oder Laster zu er- kennen gegeben wird. So habe ich der Göt- ter hierinnen so zum besten gedacht, daß ich mir für meine Person solch Lob nicht begehre: Wie sie dann auch offte verhönet werden von ihren eigenen Scribenten. Welches Euripi- des vor allen meisterlich gelernet, bey welchem das schöne berauschte Bübichen Cyclops un- ter andern vom Bacchus sagt: Theos d'en asko pos gegeth' oikous ekhon Dar-
Von dem Zuſtande der Poeſie hohen Lieds Salomonis, und anderer Oerterin Heil. Schrifft geſchweige, welche nicht weni- ger poetiſch, und mit ſolcher Zierlichkeit ge- ſchrieben ſind, daß ſie ſo weit uͤber alle welt- liche Gedichte ſteigen, ſo weit die himmliſchen Dinge alle irrdiſche Eitelkeit uͤbertreffen. Daß der Heil. Geiſt auch zwar die Lehre der Hey- den verworffen hat, aber nicht die Worte, wie St. Ambroſius klaͤrlich erweiſet, und in der alten Ueberſetzung der Bibel noch zu ſehen; da denn Gigantes, Valles Titanum, Sire- nes, filiæ Sirenum, Cocytus, πνεῦμα πῦ- θωνος, und dergleichen, ſo von den Poeten ent- lehnet, noch zu finden ſeyn. Ja daß offter- mahls, wie Plutarchus gar recht berichtet, durch Vulcanus, Bacchus, Venus und andere Nahmen, nichts als das Feuer, der Wein, die Liebe, und ihre Tugend oder Laſter zu er- kennen gegeben wird. So habe ich der Goͤt- ter hierinnen ſo zum beſten gedacht, daß ich mir fuͤr meine Perſon ſolch Lob nicht begehre: Wie ſie dann auch offte verhoͤnet werden von ihren eigenen Scribenten. Welches Euripi- des vor allen meiſterlich gelernet, bey welchem das ſchoͤne berauſchte Buͤbichen Cyclops un- ter andern vom Bacchus ſagt: Θεὸς δ᾽ἐν ἀσκῶ πῶς γέγηϑ᾽ ὄικους ἔχων Dar-
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Von dem Zuſtande der Poeſie
hohen Lieds Salomonis, und anderer Oerter
in Heil. Schrifft geſchweige, welche nicht weni-
ger poetiſch, und mit ſolcher Zierlichkeit ge-
ſchrieben ſind, daß ſie ſo weit uͤber alle welt-
liche Gedichte ſteigen, ſo weit die himmliſchen
Dinge alle irrdiſche Eitelkeit uͤbertreffen. Daß
der Heil. Geiſt auch zwar die Lehre der Hey-
den verworffen hat, aber nicht die Worte,
wie St. Ambroſius klaͤrlich erweiſet, und in
der alten Ueberſetzung der Bibel noch zu ſehen;
da denn Gigantes, Valles Titanum, Sire-
nes, filiæ Sirenum, Cocytus, πνεῦμα πῦ-
θωνος, und dergleichen, ſo von den Poeten ent-
lehnet, noch zu finden ſeyn. Ja daß offter-
mahls, wie Plutarchus gar recht berichtet,
durch Vulcanus, Bacchus, Venus und andere
Nahmen, nichts als das Feuer, der Wein,
die Liebe, und ihre Tugend oder Laſter zu er-
kennen gegeben wird. So habe ich der Goͤt-
ter hierinnen ſo zum beſten gedacht, daß ich
mir fuͤr meine Perſon ſolch Lob nicht begehre:
Wie ſie dann auch offte verhoͤnet werden von
ihren eigenen Scribenten. Welches Euripi-
des vor allen meiſterlich gelernet, bey welchem
das ſchoͤne berauſchte Buͤbichen Cyclops un-
ter andern vom Bacchus ſagt:
Θεὸς δ᾽ἐν ἀσκῶ πῶς γέγηϑ᾽ ὄικους ἔχων
Was fuͤr ein Gott mag der wohl ſeyn/
So wohnet in der Flaſche Wein?
Dar-
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