[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 9. Zürich, 1749.Prüffung der Uebersetzung V. 1. Es steht ein Menschenkopf)Horatz stellet euch einen Mahler vor, der vor euern Augen ein abentheurliches Bild von Stücke zu Stücke ver- fertiget: Jhr sehet, wie er bey dem Kopf eines Menschen anfängt, demselben einen Pferdehals untersetzt, diesen an- statt der Mähne mit bunten Federn ausschmücket; her- nach die Glieder von verschiedenen Thieren in einen Leib zusammen verbindet, und endlich da er bey einem schö- nen Weiberangesicht das Gemählde angeleget hatte, es mit einem Fischschwantze beschliesset. Hr. Gottsched hingegen stellet euch dieses abentheurliche Bild als wircklich fertig vor Augen, und damit ihr in Betrachtung desselben nicht irre werdet, so bemühet er sich euch ein Stück nach dem andern gleichsam mit dem Finger vorzuweisen; dahin die- nen die eingeschalteten Flick-Formeln: Es steht - - den Kropf bedeckt - - hernach erblickt man - - von oben zeigt - - von unten wirds. Wodurch er die Zuschauer dieses Gemähldes zwingen kan, daß sie eben dasjenige se- hen müssen, was sie wircklich sehen. Da hingegen Ho- ratz durch das jungere si velit, so unbarmherzig ist, daß er auch den blossen Vorsatz eines solchen Mahlers schon als lächerlich verurtheilt. Auf weil er sie nicht lange im Zweifel lasse, was sie zu gewar-
ten haben. Es ist nemlich ein geheimer Kunstgriff dieses Lehrers und seiner Schüler, daß sie aus einem billigen Miß- trauen in die Kraft ihrer Vorstellungen, und aus Mitlei- den für die blöde Einsicht ihrer Leser gemeiniglich vorher ankündigen, was man zu gewarten habe, und was ihre folgenden Vorstellungen für einen Eindruck machen sollen. Auf solche Weise bekömmt jeder Redesatz seine eigene Pro- position. Sie werden ihre Erzehlungen insgemein mit die- sen und dergleichen Formeln anheben: Jch will euch nun eine recht seltsame und abentheurliche Geschichte erzehlen! Sehet da ein wunderbares und lächerliches Bild! Ecou- tez un bon mot! Sie sagen euch allezeit vorher, was sie sagen wollen: welches unfehlbar die Würckung haben muß, daß es die Aufmercksamkeit reitzet, zumahl bey so dummen Lesern, die etwas dannzumahl noch kaum recht fassen kön- nen, wenn man es ihnen gleich zweymahl gesagt hat. Pruͤffung der Ueberſetzung V. 1. Es ſteht ein Menſchenkopf)Horatz ſtellet euch einen Mahler vor, der vor euern Augen ein abentheurliches Bild von Stuͤcke zu Stuͤcke ver- fertiget: Jhr ſehet, wie er bey dem Kopf eines Menſchen anfaͤngt, demſelben einen Pferdehals unterſetzt, dieſen an- ſtatt der Maͤhne mit bunten Federn ausſchmuͤcket; her- nach die Glieder von verſchiedenen Thieren in einen Leib zuſammen verbindet, und endlich da er bey einem ſchoͤ- nen Weiberangeſicht das Gemaͤhlde angeleget hatte, es mit einem Fiſchſchwantze beſchlieſſet. Hr. Gottſched hingegen ſtellet euch dieſes abentheurliche Bild als wircklich fertig vor Augen, und damit ihr in Betrachtung deſſelben nicht irre werdet, ſo bemuͤhet er ſich euch ein Stuͤck nach dem andern gleichſam mit dem Finger vorzuweiſen; dahin die- nen die eingeſchalteten Flick-Formeln: Es ſteht ‒ ‒ den Kropf bedeckt ‒ ‒ hernach erblickt man ‒ ‒ von oben zeigt ‒ ‒ von unten wirds. Wodurch er die Zuſchauer dieſes Gemaͤhldes zwingen kan, daß ſie eben dasjenige ſe- hen muͤſſen, was ſie wircklich ſehen. Da hingegen Ho- ratz durch das jungere ſi velit, ſo unbarmherzig iſt, daß er auch den bloſſen Vorſatz eines ſolchen Mahlers ſchon als laͤcherlich verurtheilt. Auf weil er ſie nicht lange im Zweifel laſſe, was ſie zu gewar-
ten haben. Es iſt nemlich ein geheimer Kunſtgriff dieſes Lehrers und ſeiner Schuͤler, daß ſie aus einem billigen Miß- trauen in die Kraft ihrer Vorſtellungen, und aus Mitlei- den fuͤr die bloͤde Einſicht ihrer Leſer gemeiniglich vorher ankuͤndigen, was man zu gewarten habe, und was ihre folgenden Vorſtellungen fuͤr einen Eindruck machen ſollen. Auf ſolche Weiſe bekoͤmmt jeder Redeſatz ſeine eigene Pro- poſition. Sie werden ihre Erzehlungen insgemein mit die- ſen und dergleichen Formeln anheben: Jch will euch nun eine recht ſeltſame und abentheurliche Geſchichte erzehlen! Sehet da ein wunderbares und laͤcherliches Bild! Ecou- tez un bon mot! Sie ſagen euch allezeit vorher, was ſie ſagen wollen: welches unfehlbar die Wuͤrckung haben muß, daß es die Aufmerckſamkeit reitzet, zumahl bey ſo dummen Leſern, die etwas dannzumahl noch kaum recht faſſen koͤn- nen, wenn man es ihnen gleich zweymahl geſagt hat. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0080" n="80"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Pruͤffung der Ueberſetzung</hi> </fw><lb/> <note xml:id="a002" prev="#a001" place="foot">weil er ſie nicht lange im Zweifel laſſe, was ſie zu gewar-<lb/> ten haben. Es iſt nemlich ein geheimer Kunſtgriff dieſes<lb/> Lehrers und ſeiner Schuͤler, daß ſie aus einem billigen Miß-<lb/> trauen in die Kraft ihrer Vorſtellungen, und aus Mitlei-<lb/> den fuͤr die bloͤde Einſicht ihrer Leſer gemeiniglich vorher<lb/> ankuͤndigen, was man zu gewarten habe, und was ihre<lb/> folgenden Vorſtellungen fuͤr einen Eindruck machen ſollen.<lb/> Auf ſolche Weiſe bekoͤmmt jeder Redeſatz ſeine eigene Pro-<lb/> poſition. Sie werden ihre Erzehlungen insgemein mit die-<lb/> ſen und dergleichen Formeln anheben: Jch will euch nun<lb/> eine recht ſeltſame und abentheurliche Geſchichte erzehlen!<lb/> Sehet da ein wunderbares und laͤcherliches Bild! <hi rendition="#aq">Ecou-<lb/> tez un bon mot!</hi> Sie ſagen euch allezeit vorher, was ſie<lb/> ſagen wollen: welches unfehlbar die Wuͤrckung haben muß,<lb/> daß es die Aufmerckſamkeit reitzet, zumahl bey ſo dummen<lb/> Leſern, die etwas dannzumahl noch kaum recht faſſen koͤn-<lb/> nen, wenn man es ihnen gleich zweymahl geſagt hat.</note><lb/> <note sameAs="#a003" xml:id="a004"><hi rendition="#fr">V. 1. Es ſteht ein Menſchenkopf)</hi><lb/> Horatz ſtellet euch einen Mahler vor, der vor euern<lb/> Augen ein abentheurliches Bild von Stuͤcke zu Stuͤcke ver-<lb/> fertiget: Jhr ſehet, wie er bey dem Kopf eines Menſchen<lb/> anfaͤngt, demſelben einen Pferdehals unterſetzt, dieſen an-<lb/> ſtatt der Maͤhne mit bunten Federn ausſchmuͤcket; her-<lb/> nach die Glieder von verſchiedenen Thieren in einen Leib<lb/> zuſammen verbindet, und endlich da er bey einem ſchoͤ-<lb/> nen Weiberangeſicht das Gemaͤhlde angeleget hatte, es mit<lb/> einem Fiſchſchwantze beſchlieſſet. Hr. Gottſched hingegen<lb/> ſtellet euch dieſes abentheurliche Bild als wircklich fertig<lb/> vor Augen, und damit ihr in Betrachtung deſſelben nicht<lb/> irre werdet, ſo bemuͤhet er ſich euch ein Stuͤck nach dem<lb/> andern gleichſam mit dem Finger vorzuweiſen; dahin die-<lb/> nen die eingeſchalteten Flick-Formeln: <hi rendition="#fr">Es ſteht ‒ ‒ den<lb/> Kropf bedeckt ‒ ‒ hernach erblickt man ‒ ‒ von oben<lb/> zeigt ‒ ‒ von unten wirds.</hi> Wodurch er die Zuſchauer<lb/> dieſes Gemaͤhldes zwingen kan, daß ſie eben dasjenige ſe-<lb/> hen muͤſſen, was ſie wircklich ſehen. Da hingegen Ho-<lb/> ratz durch das <hi rendition="#aq">jungere ſi velit,</hi> ſo unbarmherzig iſt, daß<lb/> er auch den bloſſen Vorſatz eines ſolchen Mahlers ſchon<lb/> als laͤcherlich verurtheilt.</note><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Auf</fw><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [80/0080]
Pruͤffung der Ueberſetzung
V. 1. Es ſteht ein Menſchenkopf)
Horatz ſtellet euch einen Mahler vor, der vor euern
Augen ein abentheurliches Bild von Stuͤcke zu Stuͤcke ver-
fertiget: Jhr ſehet, wie er bey dem Kopf eines Menſchen
anfaͤngt, demſelben einen Pferdehals unterſetzt, dieſen an-
ſtatt der Maͤhne mit bunten Federn ausſchmuͤcket; her-
nach die Glieder von verſchiedenen Thieren in einen Leib
zuſammen verbindet, und endlich da er bey einem ſchoͤ-
nen Weiberangeſicht das Gemaͤhlde angeleget hatte, es mit
einem Fiſchſchwantze beſchlieſſet. Hr. Gottſched hingegen
ſtellet euch dieſes abentheurliche Bild als wircklich fertig
vor Augen, und damit ihr in Betrachtung deſſelben nicht
irre werdet, ſo bemuͤhet er ſich euch ein Stuͤck nach dem
andern gleichſam mit dem Finger vorzuweiſen; dahin die-
nen die eingeſchalteten Flick-Formeln: Es ſteht ‒ ‒ den
Kropf bedeckt ‒ ‒ hernach erblickt man ‒ ‒ von oben
zeigt ‒ ‒ von unten wirds. Wodurch er die Zuſchauer
dieſes Gemaͤhldes zwingen kan, daß ſie eben dasjenige ſe-
hen muͤſſen, was ſie wircklich ſehen. Da hingegen Ho-
ratz durch das jungere ſi velit, ſo unbarmherzig iſt, daß
er auch den bloſſen Vorſatz eines ſolchen Mahlers ſchon
als laͤcherlich verurtheilt.
Auf
weil er ſie nicht lange im Zweifel laſſe, was ſie zu gewar-
ten haben. Es iſt nemlich ein geheimer Kunſtgriff dieſes
Lehrers und ſeiner Schuͤler, daß ſie aus einem billigen Miß-
trauen in die Kraft ihrer Vorſtellungen, und aus Mitlei-
den fuͤr die bloͤde Einſicht ihrer Leſer gemeiniglich vorher
ankuͤndigen, was man zu gewarten habe, und was ihre
folgenden Vorſtellungen fuͤr einen Eindruck machen ſollen.
Auf ſolche Weiſe bekoͤmmt jeder Redeſatz ſeine eigene Pro-
poſition. Sie werden ihre Erzehlungen insgemein mit die-
ſen und dergleichen Formeln anheben: Jch will euch nun
eine recht ſeltſame und abentheurliche Geſchichte erzehlen!
Sehet da ein wunderbares und laͤcherliches Bild! Ecou-
tez un bon mot! Sie ſagen euch allezeit vorher, was ſie
ſagen wollen: welches unfehlbar die Wuͤrckung haben muß,
daß es die Aufmerckſamkeit reitzet, zumahl bey ſo dummen
Leſern, die etwas dannzumahl noch kaum recht faſſen koͤn-
nen, wenn man es ihnen gleich zweymahl geſagt hat.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |