[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 9. Zürich, 1749.Prüffung der Uebersetzung Und bläht sich schwülstig auf. Wenn jener furchtsam schreibtGeschieht es, daß er gar am Staube kleben bleibt. Wer sich bemüht, ein Ding sehr vielfach vorzustellen, Malt leicht den Stöhr ins Holz, den Eber in die Wellen. 40. So V. 37. 38. Wenn jener furchtsam schreibt, geschieht es, daß er gar am Staube kleben bleibt) Hr. Gottsched mahnet mich hier an die plauderhaften Trö- delweiber, die ihre Erzehlungen mit der so beliebten Formel: Was geschieht! verknüpfen. Diese Formel so geschieht es daß dienet aber vornemlich den Vers leichtfliessend zu machen, und den Eckel der zarten deutschen Ohren zu ver- hüten: Man lasse diese Formel weg, so wird ein jeder der Oh- ren hat, bald verspüren, wie holpericht der Vers klinget. Eckart, dessen Uebersetzung doch die Gottschedische veran- lasset hat, giebt dieses viel nachdrücklicher: Traut man sich gar nichts zu, so kriecht man auf der Erden. Man würde fast glauben, daß diese beyden Uebersetzer beym Horaz gelesen hätten: Serpit humi cautus nimium, timidusque procellae. Allein da Gottsched in seinen beyden Editionen liest tutus nimium, so muß ich es einer sträfflichen Nachläßigkeit zu- schreiben, daß er seinen deutschen und verkleideten Horaz so sehr stümmlet: Er wird ja nicht glauben, daß tutus nimium eben dasselbe sey, was timidus. Horaz will hier- mit anzeigen, daß eine kriechende und niederträchtige Schreibart sowohl von einem allzugrossen Vertrauen auf sich selbst, und daher entstehender Nachläßigkeit, als von einem allzugrossen Mißtrauen und verzagter Furchtsamkeit, da man gar nichts wagen darf, entstehen könne. V. 39. Wer sich bemüht, ein Ding sehr vielfach vorzu-
stellen.) Rem prodigialiter variare, heißt nicht bloß, etwas vielfach vorstellen: Sondern es gehet auf das Ungemei- ne und Wunderbare; da man eine und eben dieselbe Sa- Pruͤffung der Ueberſetzung Und blaͤht ſich ſchwuͤlſtig auf. Wenn jener furchtſam ſchreibtGeſchieht es, daß er gar am Staube kleben bleibt. Wer ſich bemuͤht, ein Ding ſehr vielfach vorzuſtellen, Malt leicht den Stoͤhr ins Holz, den Eber in die Wellen. 40. So V. 37. 38. Wenn jener furchtſam ſchreibt, geſchieht es, daß er gar am Staube kleben bleibt) Hr. Gottſched mahnet mich hier an die plauderhaften Troͤ- delweiber, die ihre Erzehlungen mit der ſo beliebten Formel: Was geſchieht! verknuͤpfen. Dieſe Formel ſo geſchieht es daß dienet aber vornemlich den Vers leichtflieſſend zu machen, und den Eckel der zarten deutſchen Ohren zu ver- huͤten: Man laſſe dieſe Formel weg, ſo wird ein jeder der Oh- ren hat, bald verſpuͤren, wie holpericht der Vers klinget. Eckart, deſſen Ueberſetzung doch die Gottſchediſche veran- laſſet hat, giebt dieſes viel nachdruͤcklicher: Traut man ſich gar nichts zu, ſo kriecht man auf der Erden. Man wuͤrde faſt glauben, daß dieſe beyden Ueberſetzer beym Horaz geleſen haͤtten: Serpit humi cautus nimium, timidusque procellæ. Allein da Gottſched in ſeinen beyden Editionen lieſt tutus nimium, ſo muß ich es einer ſtraͤfflichen Nachlaͤßigkeit zu- ſchreiben, daß er ſeinen deutſchen und verkleideten Horaz ſo ſehr ſtuͤmmlet: Er wird ja nicht glauben, daß tutus nimium eben daſſelbe ſey, was timidus. Horaz will hier- mit anzeigen, daß eine kriechende und niedertraͤchtige Schreibart ſowohl von einem allzugroſſen Vertrauen auf ſich ſelbſt, und daher entſtehender Nachlaͤßigkeit, als von einem allzugroſſen Mißtrauen und verzagter Furchtſamkeit, da man gar nichts wagen darf, entſtehen koͤnne. V. 39. Wer ſich bemuͤht, ein Ding ſehr vielfach vorzu-
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Pruͤffung der Ueberſetzung
Und blaͤht ſich ſchwuͤlſtig auf. Wenn jener furchtſam ſchreibt
Geſchieht es, daß er gar am Staube kleben bleibt.
Wer ſich bemuͤht, ein Ding ſehr vielfach vorzuſtellen,
Malt leicht den Stoͤhr ins Holz, den Eber in die Wellen.
So
V. 37. 38. Wenn jener furchtſam ſchreibt, geſchieht es,
daß er gar am Staube kleben bleibt)
Hr. Gottſched mahnet mich hier an die plauderhaften Troͤ-
delweiber, die ihre Erzehlungen mit der ſo beliebten Formel:
Was geſchieht! verknuͤpfen. Dieſe Formel ſo geſchieht
es daß dienet aber vornemlich den Vers leichtflieſſend zu
machen, und den Eckel der zarten deutſchen Ohren zu ver-
huͤten: Man laſſe dieſe Formel weg, ſo wird ein jeder der Oh-
ren hat, bald verſpuͤren, wie holpericht der Vers klinget.
Eckart, deſſen Ueberſetzung doch die Gottſchediſche veran-
laſſet hat, giebt dieſes viel nachdruͤcklicher:
Traut man ſich gar nichts zu, ſo kriecht man auf der
Erden.
Man wuͤrde faſt glauben, daß dieſe beyden Ueberſetzer beym
Horaz geleſen haͤtten:
Serpit humi cautus nimium, timidusque procellæ.
Allein da Gottſched in ſeinen beyden Editionen lieſt tutus
nimium, ſo muß ich es einer ſtraͤfflichen Nachlaͤßigkeit zu-
ſchreiben, daß er ſeinen deutſchen und verkleideten Horaz
ſo ſehr ſtuͤmmlet: Er wird ja nicht glauben, daß tutus
nimium eben daſſelbe ſey, was timidus. Horaz will hier-
mit anzeigen, daß eine kriechende und niedertraͤchtige
Schreibart ſowohl von einem allzugroſſen Vertrauen auf
ſich ſelbſt, und daher entſtehender Nachlaͤßigkeit, als von
einem allzugroſſen Mißtrauen und verzagter Furchtſamkeit,
da man gar nichts wagen darf, entſtehen koͤnne.
V. 39. Wer ſich bemuͤht, ein Ding ſehr vielfach vorzu-
ſtellen.)
Rem prodigialiter variare, heißt nicht bloß, etwas
vielfach vorſtellen: Sondern es gehet auf das Ungemei-
ne und Wunderbare; da man eine und eben dieſelbe Sa-
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