[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 10. Zürich, 1743.von David. Ja David ist mein Held, von dem mein schwacher Kiel,Doch aus zu stolzem Muth, anietzo schreiben will.20. Ja wahrlich ist mein Muth hierinnen stoltz zu nennen, Dieweil ich mich vergeß hierinn selbst zu erkennen: Doch David macht mich kühn. Mein David war ein Knab, Als er dem Goliath den Sieg gewonnen ab. Was ich mich unternehm, vergleich ich mit dem Riesen, Den zu bezwingen man zwar andre solt' erkiesen, Von einer klügern Hand, von einem schärffern Sinn, Doch unternehm ich mirs, so schwach ich immer bin. Und wann ich gleich damit nicht allen werd behagen, So wird in dieser Furcht mein Will doch nicht verzagen,30. Jch singe gleichwol fort. Mein David läßt mir zu, Daß ich zu seinem Lob, so viel ich kan, nur thu. Jch suche keine Ehr in meinen Reim-Gedichten, Jch achte nicht, wann mich die Welt hierinn will richten, Jch sing aus freyer Lust, und nicht aus hohem Geist, Von David, dessen Thun mit mir ein jeder preist. Es V. 19. 20. Von dem mein schwacher Kiel, Doch aus zu etc.) [Spaltenumbruch] Andere Poeten trachten mit allem Fleisse die Leser von ihren eigenen Personen zu entfernen, und ihnen weiß zu machen, daß ihre Wercke von weit höhern und selbst Göttlichen Personen ver- [Spaltenumbruch] fertiget worden, und sie nur die Abschreiber derselben gewesen seyn. Unser Poet hat kein Be- dencken, sich vor den Verfasser anzugeben, und den Beystand der Muse zu verachten. V. 35. Jch sing aus freyer Lust und nicht aus hohem Geist. etc.) [Spaltenumbruch] Eine solche Bescheidenheit ist bey den Poeten nicht gewöhnlich. Sie sind vielmehr gewohnt sich über den Rang der gemeinen Menschen mit der Hoheit ihrer Gedancken, und ihrer Ausdrücke hinaufzusetzen. Sie geben sich vor begeistert, und ihre Wercke vor die Arbeit himmlischer Per- sonen aus, sie führen eine eigene Sprache, sie haben ein eigenes Tonmaß und dergleichen. Sie dörffen darum auch desto vorneh- mer von ihren Gedichten reden, [Spaltenumbruch] weil der Ruhm, den sie ihnen bey- legen, nicht ihr eigen, sondern der- jenigen ist, von welchen sie ihre Einfälle empfangen haben. Un- ser Poet hat sich dieser poetischen Vorrechte begeben, indem er sich vor einen ordentlichen Menschen ausgibt, der mit uns geradezu gehen will, und uns mit den zau- berischen Kunststücken der Poe- sie nicht zu täuschen begehrt. Die geringe Hofnung, die er damit zu hohen Vorstellungen machet, gibt ihm nun zwar den Vortheil, daß B 3
von David. Ja David iſt mein Held, von dem mein ſchwacher Kiel,Doch aus zu ſtolzem Muth, anietzo ſchreiben will.20. Ja wahrlich iſt mein Muth hierinnen ſtoltz zu nennen, Dieweil ich mich vergeß hierinn ſelbſt zu erkennen: Doch David macht mich kuͤhn. Mein David war ein Knab, Als er dem Goliath den Sieg gewonnen ab. Was ich mich unternehm, vergleich ich mit dem Rieſen, Den zu bezwingen man zwar andre ſolt’ erkieſen, Von einer kluͤgern Hand, von einem ſchaͤrffern Sinn, Doch unternehm ich mirs, ſo ſchwach ich immer bin. Und wann ich gleich damit nicht allen werd behagen, So wird in dieſer Furcht mein Will doch nicht verzagen,30. Jch ſinge gleichwol fort. Mein David laͤßt mir zu, Daß ich zu ſeinem Lob, ſo viel ich kan, nur thu. Jch ſuche keine Ehr in meinen Reim-Gedichten, Jch achte nicht, wann mich die Welt hierinn will richten, Jch ſing aus freyer Luſt, und nicht aus hohem Geiſt, Von David, deſſen Thun mit mir ein jeder preiſt. Es V. 19. 20. Von dem mein ſchwacher Kiel, Doch aus zu ꝛc.) [Spaltenumbruch] Andere Poeten trachten mit allem Fleiſſe die Leſer von ihren eigenen Perſonen zu entfernen, und ihnen weiß zu machen, daß ihre Wercke von weit hoͤhern und ſelbſt Goͤttlichen Perſonen ver- [Spaltenumbruch] fertiget worden, und ſie nur die Abſchreiber derſelben geweſen ſeyn. Unſer Poet hat kein Be- dencken, ſich vor den Verfaſſer anzugeben, und den Beyſtand der Muſe zu verachten. V. 35. Jch ſing aus freyer Luſt und nicht aus hohem Geiſt. ꝛc.) [Spaltenumbruch] Eine ſolche Beſcheidenheit iſt bey den Poeten nicht gewoͤhnlich. Sie ſind vielmehr gewohnt ſich uͤber den Rang der gemeinen Menſchen mit der Hoheit ihrer Gedancken, und ihrer Ausdruͤcke hinaufzuſetzen. Sie geben ſich vor begeiſtert, und ihre Wercke vor die Arbeit himmliſcher Per- ſonen aus, ſie fuͤhren eine eigene Sprache, ſie haben ein eigenes Tonmaß und dergleichen. Sie doͤrffen darum auch deſto vorneh- mer von ihren Gedichten reden, [Spaltenumbruch] weil der Ruhm, den ſie ihnen bey- legen, nicht ihr eigen, ſondern der- jenigen iſt, von welchen ſie ihre Einfaͤlle empfangen haben. Un- ſer Poet hat ſich dieſer poetiſchen Vorrechte begeben, indem er ſich vor einen ordentlichen Menſchen ausgibt, der mit uns geradezu gehen will, und uns mit den zau- beriſchen Kunſtſtuͤcken der Poe- ſie nicht zu taͤuſchen begehrt. Die geringe Hofnung, die er damit zu hohen Vorſtellungen machet, gibt ihm nun zwar den Vortheil, daß B 3
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von David.
Ja David iſt mein Held, von dem mein ſchwacher Kiel,
Doch aus zu ſtolzem Muth, anietzo ſchreiben will.
Ja wahrlich iſt mein Muth hierinnen ſtoltz zu nennen,
Dieweil ich mich vergeß hierinn ſelbſt zu erkennen:
Doch David macht mich kuͤhn. Mein David war ein Knab,
Als er dem Goliath den Sieg gewonnen ab.
Was ich mich unternehm, vergleich ich mit dem Rieſen,
Den zu bezwingen man zwar andre ſolt’ erkieſen,
Von einer kluͤgern Hand, von einem ſchaͤrffern Sinn,
Doch unternehm ich mirs, ſo ſchwach ich immer bin.
Und wann ich gleich damit nicht allen werd behagen,
So wird in dieſer Furcht mein Will doch nicht verzagen,
Jch ſinge gleichwol fort. Mein David laͤßt mir zu,
Daß ich zu ſeinem Lob, ſo viel ich kan, nur thu.
Jch ſuche keine Ehr in meinen Reim-Gedichten,
Jch achte nicht, wann mich die Welt hierinn will richten,
Jch ſing aus freyer Luſt, und nicht aus hohem Geiſt,
Von David, deſſen Thun mit mir ein jeder preiſt.
Es
V. 19. 20. Von dem mein ſchwacher Kiel, Doch aus zu ꝛc.)
Andere Poeten trachten mit
allem Fleiſſe die Leſer von ihren
eigenen Perſonen zu entfernen,
und ihnen weiß zu machen, daß
ihre Wercke von weit hoͤhern und
ſelbſt Goͤttlichen Perſonen ver-
fertiget worden, und ſie nur die
Abſchreiber derſelben geweſen
ſeyn. Unſer Poet hat kein Be-
dencken, ſich vor den Verfaſſer
anzugeben, und den Beyſtand
der Muſe zu verachten.
V. 35. Jch ſing aus freyer Luſt und nicht aus hohem Geiſt. ꝛc.)
Eine ſolche Beſcheidenheit iſt
bey den Poeten nicht gewoͤhnlich.
Sie ſind vielmehr gewohnt ſich
uͤber den Rang der gemeinen
Menſchen mit der Hoheit ihrer
Gedancken, und ihrer Ausdruͤcke
hinaufzuſetzen. Sie geben ſich
vor begeiſtert, und ihre Wercke
vor die Arbeit himmliſcher Per-
ſonen aus, ſie fuͤhren eine eigene
Sprache, ſie haben ein eigenes
Tonmaß und dergleichen. Sie
doͤrffen darum auch deſto vorneh-
mer von ihren Gedichten reden,
weil der Ruhm, den ſie ihnen bey-
legen, nicht ihr eigen, ſondern der-
jenigen iſt, von welchen ſie ihre
Einfaͤlle empfangen haben. Un-
ſer Poet hat ſich dieſer poetiſchen
Vorrechte begeben, indem er ſich
vor einen ordentlichen Menſchen
ausgibt, der mit uns geradezu
gehen will, und uns mit den zau-
beriſchen Kunſtſtuͤcken der Poe-
ſie nicht zu taͤuſchen begehrt. Die
geringe Hofnung, die er damit zu
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ihm nun zwar den Vortheil, daß
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