Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 10. Zürich, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite
Versuch eines Gedichtes
Zu hohem Alter kam, und war des Richtens satt,
Erwehlt er seine Söhn, und nannt an seine statt600.
Den Joel, daß er sollt zu Bersaba stets leben,
Und da dem Jsrael Recht und Gerichte geben,
Sein Bruder Abia, der kam gen Bethel hin.
Doch lebten diese beyd vielmehr nach ihrem Sinn,
Und pflegten ihre Lust, als daß sie solten sehen,
Daß da in Jsrael Gerechtigkeit möcht stehen;
Wer nur Geschencke bracht, der kauffte da sein Recht,
Gold machte eben krumm, und das gekrümmte schlecht.
Ein jeder spürt es wohl, doch keiner konnt es wenden,
Wer ein Wort sprach zuviel, der war in ihren Händen.610.
Drum ehrt man sie aus Furcht, aus Nutzen, und aus Zwang,
Die Reichen hattens gut, die Armuth litte Drang.
Nun hatte Adriels sein Vater lang gelegen
Mit Ahimath im Streit, der von der Mutter wegen
Auch mein Großvater war. Es traffe Güter an,
Und wollte Ahimath, der da ein herber Mann,
Sein ungerechtes Recht nicht in der Güte lassen,
Wie oftmahls ward gewünscht. Er legt sich gantzer massen
Mit ihme in das Recht, sie ziehn gen Bersaba,
Und liegen lange Zeit in ihren Sachen da.620.
Barsilla hat das Recht, doch Ahimath die Gönner.
Allein weil alle beyd schon waren alte Männer,
Kam ihre Sach nicht aus, sie sturben drüber hin.
Die Kinder erben drauf der Väter ihren Sinn.
Die Mutter zoge bald nach Joel, fortzutreiben
Die angehobne Sach, es solt nicht dabey bleiben.
Abenar stund ihr bey, der unser Vetter ist,
Und weil sein scharffer Sinn zu allem wohl gerüst,
Hofft er ein gutes End in dieser Sach zu sehen.
Die Ada, seine Frau, und ich, wir musten gehen630.
Mit nach des Richters Stadt. Als Adriel nun hört,
Was unser Wille war, er hefftiglich begehrt
Zu sprechen uns zuvor, eh wir zum Richter kämen,
Der ihm ein Greuel war, und wollte sich bequemen.
Er scheute drum das Recht, weil Recht nicht Recht da war,
Und er noch kein Geschenck ihm wolte bringen dar.
Ob
Verſuch eines Gedichtes
Zu hohem Alter kam, und war des Richtens ſatt,
Erwehlt er ſeine Soͤhn, und nannt an ſeine ſtatt600.
Den Joel, daß er ſollt zu Berſaba ſtets leben,
Und da dem Jſrael Recht und Gerichte geben,
Sein Bruder Abia, der kam gen Bethel hin.
Doch lebten dieſe beyd vielmehr nach ihrem Sinn,
Und pflegten ihre Luſt, als daß ſie ſolten ſehen,
Daß da in Jſrael Gerechtigkeit moͤcht ſtehen;
Wer nur Geſchencke bracht, der kauffte da ſein Recht,
Gold machte eben krumm, und das gekruͤmmte ſchlecht.
Ein jeder ſpuͤrt es wohl, doch keiner konnt es wenden,
Wer ein Wort ſprach zuviel, der war in ihren Haͤnden.610.
Drum ehrt man ſie aus Furcht, aus Nutzen, und aus Zwang,
Die Reichen hattens gut, die Armuth litte Drang.
Nun hatte Adriels ſein Vater lang gelegen
Mit Ahimath im Streit, der von der Mutter wegen
Auch mein Großvater war. Es traffe Guͤter an,
Und wollte Ahimath, der da ein herber Mann,
Sein ungerechtes Recht nicht in der Guͤte laſſen,
Wie oftmahls ward gewuͤnſcht. Er legt ſich gantzer maſſen
Mit ihme in das Recht, ſie ziehn gen Berſaba,
Und liegen lange Zeit in ihren Sachen da.620.
Barſilla hat das Recht, doch Ahimath die Goͤnner.
Allein weil alle beyd ſchon waren alte Maͤnner,
Kam ihre Sach nicht aus, ſie ſturben druͤber hin.
Die Kinder erben drauf der Vaͤter ihren Sinn.
Die Mutter zoge bald nach Joel, fortzutreiben
Die angehobne Sach, es ſolt nicht dabey bleiben.
Abenar ſtund ihr bey, der unſer Vetter iſt,
Und weil ſein ſcharffer Sinn zu allem wohl geruͤſt,
Hofft er ein gutes End in dieſer Sach zu ſehen.
Die Ada, ſeine Frau, und ich, wir muſten gehen630.
Mit nach des Richters Stadt. Als Adriel nun hoͤrt,
Was unſer Wille war, er hefftiglich begehrt
Zu ſprechen uns zuvor, eh wir zum Richter kaͤmen,
Der ihm ein Greuel war, und wollte ſich bequemen.
Er ſcheute drum das Recht, weil Recht nicht Recht da war,
Und er noch kein Geſchenck ihm wolte bringen dar.
Ob
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0040" n="40"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Ver&#x017F;uch eines Gedichtes</hi> </fw><lb/>
          <l>Zu hohem Alter kam, und war des Richtens &#x017F;att,</l><lb/>
          <l>Erwehlt er &#x017F;eine So&#x0364;hn, und nannt an &#x017F;eine &#x017F;tatt<note place="right">600.</note></l><lb/>
          <l>Den Joel, daß er &#x017F;ollt zu Ber&#x017F;aba &#x017F;tets leben,</l><lb/>
          <l>Und da dem J&#x017F;rael Recht und Gerichte geben,</l><lb/>
          <l>Sein Bruder Abia, der kam gen Bethel hin.</l><lb/>
          <l>Doch lebten die&#x017F;e beyd vielmehr nach ihrem Sinn,</l><lb/>
          <l>Und pflegten ihre Lu&#x017F;t, als daß &#x017F;ie &#x017F;olten &#x017F;ehen,</l><lb/>
          <l>Daß da in J&#x017F;rael Gerechtigkeit mo&#x0364;cht &#x017F;tehen;</l><lb/>
          <l>Wer nur Ge&#x017F;chencke bracht, der kauffte da &#x017F;ein Recht,</l><lb/>
          <l>Gold machte eben krumm, und das gekru&#x0364;mmte &#x017F;chlecht.</l><lb/>
          <l>Ein jeder &#x017F;pu&#x0364;rt es wohl, doch keiner konnt es wenden,</l><lb/>
          <l>Wer ein Wort &#x017F;prach zuviel, der war in ihren Ha&#x0364;nden.<note place="right">610.</note></l><lb/>
          <l>Drum ehrt man &#x017F;ie aus Furcht, aus Nutzen, und aus Zwang,</l><lb/>
          <l>Die Reichen hattens gut, die Armuth litte Drang.</l><lb/>
          <l>Nun hatte Adriels &#x017F;ein Vater lang gelegen</l><lb/>
          <l>Mit Ahimath im Streit, der von der Mutter wegen</l><lb/>
          <l>Auch mein Großvater war. Es traffe Gu&#x0364;ter an,</l><lb/>
          <l>Und wollte Ahimath, der da ein herber Mann,</l><lb/>
          <l>Sein ungerechtes Recht nicht in der Gu&#x0364;te la&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
          <l>Wie oftmahls ward gewu&#x0364;n&#x017F;cht. Er legt &#x017F;ich gantzer ma&#x017F;&#x017F;en</l><lb/>
          <l>Mit ihme in das Recht, &#x017F;ie ziehn gen Ber&#x017F;aba,</l><lb/>
          <l>Und liegen lange Zeit in ihren Sachen da.<note place="right">620.</note></l><lb/>
          <l>Bar&#x017F;illa hat das Recht, doch Ahimath die Go&#x0364;nner.</l><lb/>
          <l>Allein weil alle beyd &#x017F;chon waren alte Ma&#x0364;nner,</l><lb/>
          <l>Kam ihre Sach nicht aus, &#x017F;ie &#x017F;turben dru&#x0364;ber hin.</l><lb/>
          <l>Die Kinder erben drauf der Va&#x0364;ter ihren Sinn.</l><lb/>
          <l>Die Mutter zoge bald nach Joel, fortzutreiben</l><lb/>
          <l>Die angehobne Sach, es &#x017F;olt nicht dabey bleiben.</l><lb/>
          <l>Abenar &#x017F;tund ihr bey, der un&#x017F;er Vetter i&#x017F;t,</l><lb/>
          <l>Und weil &#x017F;ein &#x017F;charffer Sinn zu allem wohl geru&#x0364;&#x017F;t,</l><lb/>
          <l>Hofft er ein gutes End in die&#x017F;er Sach zu &#x017F;ehen.</l><lb/>
          <l>Die Ada, &#x017F;eine Frau, und ich, wir mu&#x017F;ten gehen<note place="right">630.</note></l><lb/>
          <l>Mit nach des Richters Stadt. Als Adriel nun ho&#x0364;rt,</l><lb/>
          <l>Was un&#x017F;er Wille war, er hefftiglich begehrt</l><lb/>
          <l>Zu &#x017F;prechen uns zuvor, eh wir zum Richter ka&#x0364;men,</l><lb/>
          <l>Der ihm ein Greuel war, und wollte &#x017F;ich bequemen.</l><lb/>
          <l>Er &#x017F;cheute drum das Recht, weil Recht nicht Recht da war,</l><lb/>
          <l>Und er noch kein Ge&#x017F;chenck ihm wolte bringen dar.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Ob</fw><lb/></l>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[40/0040] Verſuch eines Gedichtes Zu hohem Alter kam, und war des Richtens ſatt, Erwehlt er ſeine Soͤhn, und nannt an ſeine ſtatt Den Joel, daß er ſollt zu Berſaba ſtets leben, Und da dem Jſrael Recht und Gerichte geben, Sein Bruder Abia, der kam gen Bethel hin. Doch lebten dieſe beyd vielmehr nach ihrem Sinn, Und pflegten ihre Luſt, als daß ſie ſolten ſehen, Daß da in Jſrael Gerechtigkeit moͤcht ſtehen; Wer nur Geſchencke bracht, der kauffte da ſein Recht, Gold machte eben krumm, und das gekruͤmmte ſchlecht. Ein jeder ſpuͤrt es wohl, doch keiner konnt es wenden, Wer ein Wort ſprach zuviel, der war in ihren Haͤnden. Drum ehrt man ſie aus Furcht, aus Nutzen, und aus Zwang, Die Reichen hattens gut, die Armuth litte Drang. Nun hatte Adriels ſein Vater lang gelegen Mit Ahimath im Streit, der von der Mutter wegen Auch mein Großvater war. Es traffe Guͤter an, Und wollte Ahimath, der da ein herber Mann, Sein ungerechtes Recht nicht in der Guͤte laſſen, Wie oftmahls ward gewuͤnſcht. Er legt ſich gantzer maſſen Mit ihme in das Recht, ſie ziehn gen Berſaba, Und liegen lange Zeit in ihren Sachen da. Barſilla hat das Recht, doch Ahimath die Goͤnner. Allein weil alle beyd ſchon waren alte Maͤnner, Kam ihre Sach nicht aus, ſie ſturben druͤber hin. Die Kinder erben drauf der Vaͤter ihren Sinn. Die Mutter zoge bald nach Joel, fortzutreiben Die angehobne Sach, es ſolt nicht dabey bleiben. Abenar ſtund ihr bey, der unſer Vetter iſt, Und weil ſein ſcharffer Sinn zu allem wohl geruͤſt, Hofft er ein gutes End in dieſer Sach zu ſehen. Die Ada, ſeine Frau, und ich, wir muſten gehen Mit nach des Richters Stadt. Als Adriel nun hoͤrt, Was unſer Wille war, er hefftiglich begehrt Zu ſprechen uns zuvor, eh wir zum Richter kaͤmen, Der ihm ein Greuel war, und wollte ſich bequemen. Er ſcheute drum das Recht, weil Recht nicht Recht da war, Und er noch kein Geſchenck ihm wolte bringen dar. Ob

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung10_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung10_1743/40
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 10. Zürich, 1743, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung10_1743/40>, abgerufen am 21.11.2024.