[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 10. Zürich, 1743.Versuch eines Gedichtes Jndessen nähert sich das Volck in schöner Reihe, Man siehet mehr und mehr wie sich der Zug hindreihe150. Nach ihren Mauren zu. Die Priester, Aarons Söhn, Erschienen da zuerst mit ihrem Sieggetön; Nach ihnen kam der Stamm von Juda aufgezogen Mit Pracht und grossem Sieg, die alle wohl erwogen Was Gott bey sie gethan. Drauf folgte Jsaschar Und was von Sebulon auch mit zu Felde war. Hie folgete die Beut auf tausend Kriegeswagen Die man im Lager theils, theils auch in dem Nachjagen Aus der Philister Land hat reichlich mitgebracht. Worauf sich sehen ließ der Rubeniter Macht,160. Mit Simeon und Gath; all auserleßne Leute. Nach diesen kam ein Theil hinwieder von der Beute. Die da von Ephraim, die folgten nach der Hand. Nach ihnen Benjamin, allwo sich macht bekannt Der Kern von Jsrael, der König und die Helden, Es konnt ihr Glantz und Schein gleich wer sie waren melden. Thalmais treues Aug, der Michal Liebesflamm, Ergriff im Augenblick was da herüber kam. Es [Spaltenumbruch]
Schildereyen, und pompreichen
Beschreibungen besitzet, wovon wir etliche treffliche Exempel vor Augen legen könnten, wann es unser gegenwärtiges Vorhaben erheischete. Wir bitten hier viel- mehr anzumercken, daß aller die- ser Pracht und Pomp, in den Sa- chen und der Redensart, nur un- belebt und ziemlich kalt geblieben wäre, wenn der Poet die Kunst nicht gehabt hätte, ihm durch die Einmischung verschiedener Lei- denschaften, Leben und Regung mitzutheilen. Er ist sorgfältig eine jede von seinen Personen in einer absonderlichen Regung vor- zustellen, wovon er uns umständ- liche Nachrichten giebt. Jona- thans freundschaftliches Vergnü- gen bey Davids Ruhm; der [Spaltenumbruch] Merob mißvergnügte Liebe zu Adriel; der Michal Zärtlichkeit, die mit Unruhe, Furcht und Eifer- sucht abwechselt; Sauls Zufrie- denheit mit seinem Siege, und hernach entstehender Eiferneid gegen David; Davids Ungewiß- heit, wen er lieben sollte, u. heim- licher Zug nach der Michal; das sind die Affecten, mit welchen der Dichter seine Beschreibung leb- loser, obgleich gantz prächtiger Dinge gleichsam belebet und be- seelet hat. Der Fehler ist, daß einige von diesen Affecten nicht edler und heroischer sind, so daß auch dieses dritte Buch die Hoheit nicht hat, die man in dem epischen Gedichte mit allem Rechte ver- langet. Verſuch eines Gedichtes Jndeſſen naͤhert ſich das Volck in ſchoͤner Reihe, Man ſiehet mehr und mehr wie ſich der Zug hindreihe150. Nach ihren Mauren zu. Die Prieſter, Aarons Soͤhn, Erſchienen da zuerſt mit ihrem Sieggetoͤn; Nach ihnen kam der Stamm von Juda aufgezogen Mit Pracht und groſſem Sieg, die alle wohl erwogen Was Gott bey ſie gethan. Drauf folgte Jſaſchar Und was von Sebulon auch mit zu Felde war. Hie folgete die Beut auf tauſend Kriegeswagen Die man im Lager theils, theils auch in dem Nachjagen Aus der Philiſter Land hat reichlich mitgebracht. Worauf ſich ſehen ließ der Rubeniter Macht,160. Mit Simeon und Gath; all auserleßne Leute. Nach dieſen kam ein Theil hinwieder von der Beute. Die da von Ephraim, die folgten nach der Hand. Nach ihnen Benjamin, allwo ſich macht bekannt Der Kern von Jſrael, der Koͤnig und die Helden, Es konnt ihr Glantz und Schein gleich wer ſie waren melden. Thalmais treues Aug, der Michal Liebesflamm, Ergriff im Augenblick was da heruͤber kam. Es [Spaltenumbruch]
Schildereyen, und pompreichen
Beſchreibungen beſitzet, wovon wir etliche treffliche Exempel vor Augen legen koͤnnten, wann es unſer gegenwaͤrtiges Vorhaben erheiſchete. Wir bitten hier viel- mehr anzumercken, daß aller die- ſer Pracht und Pomp, in den Sa- chen und der Redensart, nur un- belebt und ziemlich kalt geblieben waͤre, wenn der Poet die Kunſt nicht gehabt haͤtte, ihm durch die Einmiſchung verſchiedener Lei- denſchaften, Leben und Regung mitzutheilen. Er iſt ſorgfaͤltig eine jede von ſeinen Perſonen in einer abſonderlichen Regung vor- zuſtellen, wovon er uns umſtaͤnd- liche Nachrichten giebt. Jona- thans freundſchaftliches Vergnuͤ- gen bey Davids Ruhm; der [Spaltenumbruch] Merob mißvergnuͤgte Liebe zu Adriel; der Michal Zaͤrtlichkeit, die mit Unruhe, Furcht und Eifer- ſucht abwechſelt; Sauls Zufrie- denheit mit ſeinem Siege, und hernach entſtehender Eiferneid gegen David; Davids Ungewiß- heit, wen er lieben ſollte, u. heim- licher Zug nach der Michal; das ſind die Affecten, mit welchen der Dichter ſeine Beſchreibung leb- loſer, obgleich gantz praͤchtiger Dinge gleichſam belebet und be- ſeelet hat. Der Fehler iſt, daß einige von dieſen Affecten nicht edler und heroiſcher ſind, ſo daß auch dieſes dritte Buch die Hoheit nicht hat, die man in dem epiſchen Gedichte mit allem Rechte ver- langet. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0070" n="70"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Verſuch eines Gedichtes</hi> </fw><lb/> <lg type="poem"> <l>Jndeſſen naͤhert ſich das Volck in ſchoͤner Reihe,</l><lb/> <l>Man ſiehet mehr und mehr wie ſich der Zug hindreihe<note place="right">150.</note></l><lb/> <l>Nach ihren Mauren zu. Die Prieſter, Aarons Soͤhn,</l><lb/> <l>Erſchienen da zuerſt mit ihrem Sieggetoͤn;</l><lb/> <l>Nach ihnen kam der Stamm von Juda aufgezogen</l><lb/> <l>Mit Pracht und groſſem Sieg, die alle wohl erwogen</l><lb/> <l>Was Gott bey ſie gethan. Drauf folgte Jſaſchar</l><lb/> <l>Und was von Sebulon auch mit zu Felde war.</l><lb/> <l>Hie folgete die Beut auf tauſend Kriegeswagen</l><lb/> <l>Die man im Lager theils, theils auch in dem Nachjagen</l><lb/> <l>Aus der Philiſter Land hat reichlich mitgebracht.</l><lb/> <l>Worauf ſich ſehen ließ der Rubeniter Macht,<note place="right">160.</note></l><lb/> <l>Mit Simeon und Gath; all auserleßne Leute.</l><lb/> <l>Nach dieſen kam ein Theil hinwieder von der Beute.</l><lb/> <l>Die da von Ephraim, die folgten nach der Hand.</l><lb/> <l>Nach ihnen Benjamin, allwo ſich macht bekannt</l><lb/> <l>Der Kern von Jſrael, der Koͤnig und die Helden,</l><lb/> <l>Es konnt ihr Glantz und Schein gleich wer ſie waren melden.</l><lb/> <l>Thalmais treues Aug, der Michal Liebesflamm,</l><lb/> <l>Ergriff im Augenblick was da heruͤber kam.</l><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Es</fw><lb/> <note xml:id="f08" prev="#f07" place="foot"><cb/> Schildereyen, und pompreichen<lb/> Beſchreibungen beſitzet, wovon<lb/> wir etliche treffliche Exempel vor<lb/> Augen legen koͤnnten, wann es<lb/> unſer gegenwaͤrtiges Vorhaben<lb/> erheiſchete. Wir bitten hier viel-<lb/> mehr anzumercken, daß aller die-<lb/> ſer Pracht und Pomp, in den Sa-<lb/> chen und der Redensart, nur un-<lb/> belebt und ziemlich kalt geblieben<lb/> waͤre, wenn der Poet die Kunſt<lb/> nicht gehabt haͤtte, ihm durch die<lb/> Einmiſchung verſchiedener Lei-<lb/> denſchaften, Leben und Regung<lb/> mitzutheilen. Er iſt ſorgfaͤltig<lb/> eine jede von ſeinen Perſonen in<lb/> einer abſonderlichen Regung vor-<lb/> zuſtellen, wovon er uns umſtaͤnd-<lb/> liche Nachrichten giebt. Jona-<lb/> thans freundſchaftliches Vergnuͤ-<lb/> gen bey Davids Ruhm; der<lb/><cb/> Merob mißvergnuͤgte Liebe zu<lb/> Adriel; der Michal Zaͤrtlichkeit,<lb/> die mit Unruhe, Furcht und Eifer-<lb/> ſucht abwechſelt; Sauls Zufrie-<lb/> denheit mit ſeinem Siege, und<lb/> hernach entſtehender Eiferneid<lb/> gegen David; Davids Ungewiß-<lb/> heit, wen er lieben ſollte, u. heim-<lb/> licher Zug nach der Michal; das<lb/> ſind die Affecten, mit welchen der<lb/> Dichter ſeine Beſchreibung leb-<lb/> loſer, obgleich gantz praͤchtiger<lb/> Dinge gleichſam belebet und be-<lb/> ſeelet hat. Der Fehler iſt, daß<lb/> einige von dieſen Affecten nicht<lb/> edler und heroiſcher ſind, ſo daß<lb/> auch dieſes dritte Buch die Hoheit<lb/> nicht hat, die man in dem epiſchen<lb/> Gedichte mit allem Rechte ver-<lb/> langet.</note><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [70/0070]
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Jndeſſen naͤhert ſich das Volck in ſchoͤner Reihe,
Man ſiehet mehr und mehr wie ſich der Zug hindreihe
Nach ihren Mauren zu. Die Prieſter, Aarons Soͤhn,
Erſchienen da zuerſt mit ihrem Sieggetoͤn;
Nach ihnen kam der Stamm von Juda aufgezogen
Mit Pracht und groſſem Sieg, die alle wohl erwogen
Was Gott bey ſie gethan. Drauf folgte Jſaſchar
Und was von Sebulon auch mit zu Felde war.
Hie folgete die Beut auf tauſend Kriegeswagen
Die man im Lager theils, theils auch in dem Nachjagen
Aus der Philiſter Land hat reichlich mitgebracht.
Worauf ſich ſehen ließ der Rubeniter Macht,
Mit Simeon und Gath; all auserleßne Leute.
Nach dieſen kam ein Theil hinwieder von der Beute.
Die da von Ephraim, die folgten nach der Hand.
Nach ihnen Benjamin, allwo ſich macht bekannt
Der Kern von Jſrael, der Koͤnig und die Helden,
Es konnt ihr Glantz und Schein gleich wer ſie waren melden.
Thalmais treues Aug, der Michal Liebesflamm,
Ergriff im Augenblick was da heruͤber kam.
Es
Schildereyen, und pompreichen
Beſchreibungen beſitzet, wovon
wir etliche treffliche Exempel vor
Augen legen koͤnnten, wann es
unſer gegenwaͤrtiges Vorhaben
erheiſchete. Wir bitten hier viel-
mehr anzumercken, daß aller die-
ſer Pracht und Pomp, in den Sa-
chen und der Redensart, nur un-
belebt und ziemlich kalt geblieben
waͤre, wenn der Poet die Kunſt
nicht gehabt haͤtte, ihm durch die
Einmiſchung verſchiedener Lei-
denſchaften, Leben und Regung
mitzutheilen. Er iſt ſorgfaͤltig
eine jede von ſeinen Perſonen in
einer abſonderlichen Regung vor-
zuſtellen, wovon er uns umſtaͤnd-
liche Nachrichten giebt. Jona-
thans freundſchaftliches Vergnuͤ-
gen bey Davids Ruhm; der
Merob mißvergnuͤgte Liebe zu
Adriel; der Michal Zaͤrtlichkeit,
die mit Unruhe, Furcht und Eifer-
ſucht abwechſelt; Sauls Zufrie-
denheit mit ſeinem Siege, und
hernach entſtehender Eiferneid
gegen David; Davids Ungewiß-
heit, wen er lieben ſollte, u. heim-
licher Zug nach der Michal; das
ſind die Affecten, mit welchen der
Dichter ſeine Beſchreibung leb-
loſer, obgleich gantz praͤchtiger
Dinge gleichſam belebet und be-
ſeelet hat. Der Fehler iſt, daß
einige von dieſen Affecten nicht
edler und heroiſcher ſind, ſo daß
auch dieſes dritte Buch die Hoheit
nicht hat, die man in dem epiſchen
Gedichte mit allem Rechte ver-
langet.
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