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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 11. Zürich, 1743.

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Neue Fabeln.
IV.
Die Lerche und der Storch.
NAchdem die Lerch der Berge Spitze
Mit ihrer holden Stimm erfüllt,
Ersieht sie sich zu ihrem Sitze
Ein Feld, wo Thau auf Blumen quillt.
Sie sencket sich der Erden zu,
Doch einsmahls störet ihre Ruh
Ein Storch, der dort spatzieren gieng,
Und Froschen oder Bienen fieng.
Bist du es, sprach der Storch zur Lerche.
Ein Hertz gefaßt! du weist die Störche
Verschlingen kein gefiedert Thier,
Drum traue mir, und bleibe hier.
Für dich sind Störche keine Fremden;
Dich soll denn meine Gegenwart
O liebste Lerche, nicht befremden.
Was Federn hat, ist einer Art.
So recht, erwiederte die Lerche
Mein Leib ist viel zu klein für Störche,
Doch sind die Froschen fast so klein,
Und schlingst du sie so schnell hinein.
Was mehr ist, frissest du ja Bienen,
Die Meisen sonst zur Speise dienen.
Nein, nein, dein blutgefärbter Schnabel
Lehrt mich es seye keine Fabel,
Daß du der Schlangen Meister seyst.
Ey vivant, ruft sie, meine Flügel!
Und fliegt auf einen fernen Hügel.

ENDE.

Neue Fabeln.
IV.
Die Lerche und der Storch.
NAchdem die Lerch der Berge Spitze
Mit ihrer holden Stimm erfuͤllt,
Erſieht ſie ſich zu ihrem Sitze
Ein Feld, wo Thau auf Blumen quillt.
Sie ſencket ſich der Erden zu,
Doch einsmahls ſtoͤret ihre Ruh
Ein Storch, der dort ſpatzieren gieng,
Und Froſchen oder Bienen fieng.
Biſt du es, ſprach der Storch zur Lerche.
Ein Hertz gefaßt! du weiſt die Stoͤrche
Verſchlingen kein gefiedert Thier,
Drum traue mir, und bleibe hier.
Fuͤr dich ſind Stoͤrche keine Fremden;
Dich ſoll denn meine Gegenwart
O liebſte Lerche, nicht befremden.
Was Federn hat, iſt einer Art.
So recht, erwiederte die Lerche
Mein Leib iſt viel zu klein fuͤr Stoͤrche,
Doch ſind die Froſchen faſt ſo klein,
Und ſchlingſt du ſie ſo ſchnell hinein.
Was mehr iſt, friſſeſt du ja Bienen,
Die Meiſen ſonſt zur Speiſe dienen.
Nein, nein, dein blutgefaͤrbter Schnabel
Lehrt mich es ſeye keine Fabel,
Daß du der Schlangen Meiſter ſeyſt.
Ey vivant, ruft ſie, meine Fluͤgel!
Und fliegt auf einen fernen Huͤgel.

ENDE.

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[92/0094] Neue Fabeln. IV. Die Lerche und der Storch. NAchdem die Lerch der Berge Spitze Mit ihrer holden Stimm erfuͤllt, Erſieht ſie ſich zu ihrem Sitze Ein Feld, wo Thau auf Blumen quillt. Sie ſencket ſich der Erden zu, Doch einsmahls ſtoͤret ihre Ruh Ein Storch, der dort ſpatzieren gieng, Und Froſchen oder Bienen fieng. Biſt du es, ſprach der Storch zur Lerche. Ein Hertz gefaßt! du weiſt die Stoͤrche Verſchlingen kein gefiedert Thier, Drum traue mir, und bleibe hier. Fuͤr dich ſind Stoͤrche keine Fremden; Dich ſoll denn meine Gegenwart O liebſte Lerche, nicht befremden. Was Federn hat, iſt einer Art. So recht, erwiederte die Lerche Mein Leib iſt viel zu klein fuͤr Stoͤrche, Doch ſind die Froſchen faſt ſo klein, Und ſchlingſt du ſie ſo ſchnell hinein. Was mehr iſt, friſſeſt du ja Bienen, Die Meiſen ſonſt zur Speiſe dienen. Nein, nein, dein blutgefaͤrbter Schnabel Lehrt mich es ſeye keine Fabel, Daß du der Schlangen Meiſter ſeyſt. Ey vivant, ruft ſie, meine Fluͤgel! Und fliegt auf einen fernen Huͤgel. ENDE.

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 11. Zürich, 1743, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung11_1743/94>, abgerufen am 25.05.2024.