[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 12. Zürich, 1744.des Wahnes bedienen könne. diese Sage zum theil auf einem Betruge derSinnen beruhet. Wenn ich aber J. A. K. würcklich recht lassen würde, was würde er da- mit gewinnen? Der Poet giebt es nicht für eine wahrhafte und untrügliche Erzehlung, son- dern für eine blosse Sage dar, und diese Sage dienet ihm nicht weniger dasjenige damit zu er- läutern, was er erläutern will, als wenn es ei- ne unstreitige Geschichte seyn würde. Was den andern Gebrauch des Wahnes an- "Allein, daß es angehe, von einer Es ist mir fast ich lese "Der Poet "wahr- B 5
des Wahnes bedienen koͤnne. dieſe Sage zum theil auf einem Betruge derSinnen beruhet. Wenn ich aber J. A. K. wuͤrcklich recht laſſen wuͤrde, was wuͤrde er da- mit gewinnen? Der Poet giebt es nicht fuͤr eine wahrhafte und untruͤgliche Erzehlung, ſon- dern fuͤr eine bloſſe Sage dar, und dieſe Sage dienet ihm nicht weniger dasjenige damit zu er- laͤutern, was er erlaͤutern will, als wenn es ei- ne unſtreitige Geſchichte ſeyn wuͤrde. Was den andern Gebrauch des Wahnes an- „Allein, daß es angehe, von einer Es iſt mir faſt ich leſe „Der Poet „wahr- B 5
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0027" n="25"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">des Wahnes bedienen koͤnne.</hi></fw><lb/> dieſe Sage zum theil auf einem Betruge der<lb/> Sinnen beruhet. Wenn ich aber J. A. K.<lb/> wuͤrcklich recht laſſen wuͤrde, was wuͤrde er da-<lb/> mit gewinnen? Der Poet giebt es nicht fuͤr<lb/> eine wahrhafte und untruͤgliche Erzehlung, ſon-<lb/> dern fuͤr eine bloſſe Sage dar, und dieſe Sage<lb/> dienet ihm nicht weniger dasjenige damit zu er-<lb/> laͤutern, was er erlaͤutern will, als wenn es ei-<lb/> ne unſtreitige Geſchichte ſeyn wuͤrde.</p><lb/> <p>Was den andern Gebrauch des Wahnes an-<lb/> ſiehet, ſo erklaͤrt er ſich auf der 271. Seite dar-<lb/> uͤber alſo:</p> <cit> <quote>„Allein, daß es angehe, von einer<lb/> „Wahrheit oder einem Erfolge die Urſache an-<lb/> „zugeben, darwider ſtreitet der Grundſatz der<lb/> „Poeſie, man muͤßte jedesmahl eine Sache<lb/> „bilden, wie ſie iſt.„</quote> </cit><lb/> <p>Es iſt mir faſt ich leſe<lb/> in einem Woͤrterbuch ein Blatt voll einzelner<lb/> Woͤrter, ſo ſehr ſcheinet dieſe Erklaͤrung ohne<lb/> Verſtand durch den bloſſen Zufall erwachſen zu<lb/> ſeyn. Jch verſtehe nicht, was die <hi rendition="#fr">Urſache von<lb/> einer Wahrheit</hi> iſt; warum ſollte es nicht ange-<lb/> hen, <hi rendition="#fr">von einem Erfolge eine Urſache anzuge-<lb/> ben?</hi> Wo hat er den Grundſatz der Poeſie ge-<lb/> lernet, <hi rendition="#fr">man muͤſſe jedesmahl eine Sache bil-<lb/> den, wie ſie iſt?</hi> Nach dieſem Grundſatz iſt kei-<lb/> ne Poeſie noch Erdichtung nicht einmahl moͤg-<lb/> lich, wie kan es dann ein Grundſatz der Poeſie<lb/> ſeyn? Jch mag vor Ungeduld die Zeit nicht er-<lb/> warten, daß ich ſeines Lehrmeiſters, des Hrn.<lb/> Prof. <hi rendition="#fr">Gottſcheden</hi> ausfuͤhrlichen <hi rendition="#aq">Commentarium</hi><lb/> uͤber folgende und andere dergleichen Regeln<lb/> in Ariſtoteles Poetick leſen kan:</p><lb/> <cit> <quote>„Der Poet<lb/> „muß die unmoͤglichen Dinge, wenn ſolche nur<lb/> <fw place="bottom" type="sig">B 5</fw><fw place="bottom" type="catch">„wahr-</fw><lb/></quote> </cit> </div> </body> </text> </TEI> [25/0027]
des Wahnes bedienen koͤnne.
dieſe Sage zum theil auf einem Betruge der
Sinnen beruhet. Wenn ich aber J. A. K.
wuͤrcklich recht laſſen wuͤrde, was wuͤrde er da-
mit gewinnen? Der Poet giebt es nicht fuͤr
eine wahrhafte und untruͤgliche Erzehlung, ſon-
dern fuͤr eine bloſſe Sage dar, und dieſe Sage
dienet ihm nicht weniger dasjenige damit zu er-
laͤutern, was er erlaͤutern will, als wenn es ei-
ne unſtreitige Geſchichte ſeyn wuͤrde.
Was den andern Gebrauch des Wahnes an-
ſiehet, ſo erklaͤrt er ſich auf der 271. Seite dar-
uͤber alſo:
„Allein, daß es angehe, von einer
„Wahrheit oder einem Erfolge die Urſache an-
„zugeben, darwider ſtreitet der Grundſatz der
„Poeſie, man muͤßte jedesmahl eine Sache
„bilden, wie ſie iſt.„
Es iſt mir faſt ich leſe
in einem Woͤrterbuch ein Blatt voll einzelner
Woͤrter, ſo ſehr ſcheinet dieſe Erklaͤrung ohne
Verſtand durch den bloſſen Zufall erwachſen zu
ſeyn. Jch verſtehe nicht, was die Urſache von
einer Wahrheit iſt; warum ſollte es nicht ange-
hen, von einem Erfolge eine Urſache anzuge-
ben? Wo hat er den Grundſatz der Poeſie ge-
lernet, man muͤſſe jedesmahl eine Sache bil-
den, wie ſie iſt? Nach dieſem Grundſatz iſt kei-
ne Poeſie noch Erdichtung nicht einmahl moͤg-
lich, wie kan es dann ein Grundſatz der Poeſie
ſeyn? Jch mag vor Ungeduld die Zeit nicht er-
warten, daß ich ſeines Lehrmeiſters, des Hrn.
Prof. Gottſcheden ausfuͤhrlichen Commentarium
uͤber folgende und andere dergleichen Regeln
in Ariſtoteles Poetick leſen kan:
„Der Poet
„muß die unmoͤglichen Dinge, wenn ſolche nur
„wahr-
B 5
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |