[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 12. Zürich, 1744.Wie weit sich ein Poet Wahn gehet, nicht aufhalten; ich müßte nurwiderholen, was ich schon oft gesagt habe; son- dern nur dieses anmercken, daß dieses Recht über den Wahn nicht nur dem Dichter, sondern einem jeden andern Scribenten zukömmt, weil nemlich auch etwas an sich falsches und irriges zur Erläuterung dienen kan, nach dem bekann- Axioma: Opposita juxta se posita magis elucescunt. Aber das Exempel, welches er aus Milton an- führet, ist gantz übel gewehlet, angesehen es auf eine Sage und historische Erzehlung gegrün- det ist, nicht aber auf einen blossen Wahn, da- von er doch ein Exempel hat geben wollen, der- gleichen nach seiner Aussage Milton häufig hat. Dieser Engländische Poet hat alles angewendet, seinem Bilde eine Wahrscheinlichkeit mitzuthei- len, er redet von einem kleinen Jagdschiffe, um durch dieses Maß die Grösse des Anckers nä- her zu bestimmen; er redet von der Nacht, um den sinnlichen Betrug des Piloten wahrschein- lich zu machen; er redet von dem schlafenden Leviathan, um seine Unempfindtlichkeit dadurch zu vergrössern. Es muß ihm fast vorgeschwa- net haben, daß einmahl in Leipzig ein junger K. aufstehen mögte, der diese Erzehlung in Zwei- fel ziehen würde, daß er so sorgfältig gewesen, dieselbe gegen allen Unglauben zu verwahren; Zudem gründet der Poet seine Erzehlung auf eine standhafte Sage der Seefahrenden. Will J. A. K. dieser Sage nicht glauben, so steht es ihm frey. Er wird ja so billig seyn, und nicht fodern, daß eine Sage ihrem Wesen nach noth- wendig wahrhaft seyn müsse; zugeschweigen daß diese
Wie weit ſich ein Poet Wahn gehet, nicht aufhalten; ich muͤßte nurwiderholen, was ich ſchon oft geſagt habe; ſon- dern nur dieſes anmercken, daß dieſes Recht uͤber den Wahn nicht nur dem Dichter, ſondern einem jeden andern Scribenten zukoͤmmt, weil nemlich auch etwas an ſich falſches und irriges zur Erlaͤuterung dienen kan, nach dem bekann- Axioma: Oppoſita juxta ſe poſita magis eluceſcunt. Aber das Exempel, welches er aus Milton an- fuͤhret, iſt gantz uͤbel gewehlet, angeſehen es auf eine Sage und hiſtoriſche Erzehlung gegruͤn- det iſt, nicht aber auf einen bloſſen Wahn, da- von er doch ein Exempel hat geben wollen, der- gleichen nach ſeiner Auſſage Milton haͤufig hat. Dieſer Englaͤndiſche Poet hat alles angewendet, ſeinem Bilde eine Wahrſcheinlichkeit mitzuthei- len, er redet von einem kleinen Jagdſchiffe, um durch dieſes Maß die Groͤſſe des Anckers naͤ- her zu beſtimmen; er redet von der Nacht, um den ſinnlichen Betrug des Piloten wahrſchein- lich zu machen; er redet von dem ſchlafenden Leviathan, um ſeine Unempfindtlichkeit dadurch zu vergroͤſſern. Es muß ihm faſt vorgeſchwa- net haben, daß einmahl in Leipzig ein junger K. aufſtehen moͤgte, der dieſe Erzehlung in Zwei- fel ziehen wuͤrde, daß er ſo ſorgfaͤltig geweſen, dieſelbe gegen allen Unglauben zu verwahren; Zudem gruͤndet der Poet ſeine Erzehlung auf eine ſtandhafte Sage der Seefahrenden. Will J. A. K. dieſer Sage nicht glauben, ſo ſteht es ihm frey. Er wird ja ſo billig ſeyn, und nicht fodern, daß eine Sage ihrem Weſen nach noth- wendig wahrhaft ſeyn muͤſſe; zugeſchweigen daß dieſe
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Wie weit ſich ein Poet
Wahn gehet, nicht aufhalten; ich muͤßte nur
widerholen, was ich ſchon oft geſagt habe; ſon-
dern nur dieſes anmercken, daß dieſes Recht
uͤber den Wahn nicht nur dem Dichter, ſondern
einem jeden andern Scribenten zukoͤmmt, weil
nemlich auch etwas an ſich falſches und irriges
zur Erlaͤuterung dienen kan, nach dem bekann-
Axioma: Oppoſita juxta ſe poſita magis eluceſcunt.
Aber das Exempel, welches er aus Milton an-
fuͤhret, iſt gantz uͤbel gewehlet, angeſehen es
auf eine Sage und hiſtoriſche Erzehlung gegruͤn-
det iſt, nicht aber auf einen bloſſen Wahn, da-
von er doch ein Exempel hat geben wollen, der-
gleichen nach ſeiner Auſſage Milton haͤufig hat.
Dieſer Englaͤndiſche Poet hat alles angewendet,
ſeinem Bilde eine Wahrſcheinlichkeit mitzuthei-
len, er redet von einem kleinen Jagdſchiffe, um
durch dieſes Maß die Groͤſſe des Anckers naͤ-
her zu beſtimmen; er redet von der Nacht, um
den ſinnlichen Betrug des Piloten wahrſchein-
lich zu machen; er redet von dem ſchlafenden
Leviathan, um ſeine Unempfindtlichkeit dadurch
zu vergroͤſſern. Es muß ihm faſt vorgeſchwa-
net haben, daß einmahl in Leipzig ein junger K.
aufſtehen moͤgte, der dieſe Erzehlung in Zwei-
fel ziehen wuͤrde, daß er ſo ſorgfaͤltig geweſen,
dieſelbe gegen allen Unglauben zu verwahren;
Zudem gruͤndet der Poet ſeine Erzehlung auf
eine ſtandhafte Sage der Seefahrenden. Will
J. A. K. dieſer Sage nicht glauben, ſo ſteht es
ihm frey. Er wird ja ſo billig ſeyn, und nicht
fodern, daß eine Sage ihrem Weſen nach noth-
wendig wahrhaft ſeyn muͤſſe; zugeſchweigen daß
dieſe
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