[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 12. Zürich, 1744.Wie weit sich ein Poet was ist denn wohl der wesentliche Unterscheidzwischen einer solchen Erzehlung und einer Sage? Wenn Hr. Breitinger die Sage durch eine Af- terhistorie, d. i. durch eine ungegründete Erzeh- lung erkläret, sagt diese kurtze Erklärung nicht mehr, als das ungewisse Geschwätze des J. A. K.? Der gantze Unterscheid zwischen einer Sa- ge und einer wahren Geschichte beruhet darauf, daß jene nicht durch genugsame und glaubwür- dige Zeugen bekräftiget ist, daß man also nicht mit Gewißheit sagen kan, ob sie wircklich Grund habe, oder nicht: Sonst findet sich in Ansehung ihrer Möglichkeit zwischen beyden kein Unter- scheid, es müssen beyde nicht schlechterdings un- möglich, sondern wahrscheinlich seyn, wenn sie sollen Glauben finden. Und warum sollte denn ein Poet auf eine Sage, so lange ihr Ungrund nicht entdeckt und offenbar ist, eben so wohl als auf eine wahre Geschichte ein episches Gedicht aufführen können? Findet doch eine Sage, wie Hr. Prof. Breitinget wohl bemercket, bey dem grossen Haufen insgemein mehr Glauben, als die Historie: welche Anmerckung der junge Schü- ler nach den Regeln einer Definition oder Erklä- rung auf der 275. Seite auf eine recht lächer- liche Weise beurtheilet; so daß man wohl ver- hüten muß, daß dieser unverständige K. nicht hinter solche Bücher gerathe, wo nicht bey ei- nem jeden Satze an dem Rande ausdrücklich gemeldet wird, ob er ein Grundsatz, eine Er- klärung, ein Heischesatz, eine Anmerckung etc. sey, und nach was für Regeln derselbe beur- theilet werden müsse. Jn dieser Anmerckung füh-
Wie weit ſich ein Poet was iſt denn wohl der weſentliche Unterſcheidzwiſchen einer ſolchen Erzehlung und einer Sage? Wenn Hr. Breitinger die Sage durch eine Af- terhiſtorie, d. i. durch eine ungegruͤndete Erzeh- lung erklaͤret, ſagt dieſe kurtze Erklaͤrung nicht mehr, als das ungewiſſe Geſchwaͤtze des J. A. K.? Der gantze Unterſcheid zwiſchen einer Sa- ge und einer wahren Geſchichte beruhet darauf, daß jene nicht durch genugſame und glaubwuͤr- dige Zeugen bekraͤftiget iſt, daß man alſo nicht mit Gewißheit ſagen kan, ob ſie wircklich Grund habe, oder nicht: Sonſt findet ſich in Anſehung ihrer Moͤglichkeit zwiſchen beyden kein Unter- ſcheid, es muͤſſen beyde nicht ſchlechterdings un- moͤglich, ſondern wahrſcheinlich ſeyn, wenn ſie ſollen Glauben finden. Und warum ſollte denn ein Poet auf eine Sage, ſo lange ihr Ungrund nicht entdeckt und offenbar iſt, eben ſo wohl als auf eine wahre Geſchichte ein epiſches Gedicht auffuͤhren koͤnnen? Findet doch eine Sage, wie Hr. Prof. Breitinget wohl bemercket, bey dem groſſen Haufen insgemein mehr Glauben, als die Hiſtorie: welche Anmerckung der junge Schuͤ- ler nach den Regeln einer Definition oder Erklaͤ- rung auf der 275. Seite auf eine recht laͤcher- liche Weiſe beurtheilet; ſo daß man wohl ver- huͤten muß, daß dieſer unverſtaͤndige K. nicht hinter ſolche Buͤcher gerathe, wo nicht bey ei- nem jeden Satze an dem Rande ausdruͤcklich gemeldet wird, ob er ein Grundſatz, eine Er- klaͤrung, ein Heiſcheſatz, eine Anmerckung ꝛc. ſey, und nach was fuͤr Regeln derſelbe beur- theilet werden muͤſſe. Jn dieſer Anmerckung fuͤh-
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Wie weit ſich ein Poet
was iſt denn wohl der weſentliche Unterſcheid
zwiſchen einer ſolchen Erzehlung und einer Sage?
Wenn Hr. Breitinger die Sage durch eine Af-
terhiſtorie, d. i. durch eine ungegruͤndete Erzeh-
lung erklaͤret, ſagt dieſe kurtze Erklaͤrung nicht
mehr, als das ungewiſſe Geſchwaͤtze des J. A.
K.? Der gantze Unterſcheid zwiſchen einer Sa-
ge und einer wahren Geſchichte beruhet darauf,
daß jene nicht durch genugſame und glaubwuͤr-
dige Zeugen bekraͤftiget iſt, daß man alſo nicht
mit Gewißheit ſagen kan, ob ſie wircklich Grund
habe, oder nicht: Sonſt findet ſich in Anſehung
ihrer Moͤglichkeit zwiſchen beyden kein Unter-
ſcheid, es muͤſſen beyde nicht ſchlechterdings un-
moͤglich, ſondern wahrſcheinlich ſeyn, wenn ſie
ſollen Glauben finden. Und warum ſollte denn
ein Poet auf eine Sage, ſo lange ihr Ungrund
nicht entdeckt und offenbar iſt, eben ſo wohl als
auf eine wahre Geſchichte ein epiſches Gedicht
auffuͤhren koͤnnen? Findet doch eine Sage, wie
Hr. Prof. Breitinget wohl bemercket, bey dem
groſſen Haufen insgemein mehr Glauben, als
die Hiſtorie: welche Anmerckung der junge Schuͤ-
ler nach den Regeln einer Definition oder Erklaͤ-
rung auf der 275. Seite auf eine recht laͤcher-
liche Weiſe beurtheilet; ſo daß man wohl ver-
huͤten muß, daß dieſer unverſtaͤndige K. nicht
hinter ſolche Buͤcher gerathe, wo nicht bey ei-
nem jeden Satze an dem Rande ausdruͤcklich
gemeldet wird, ob er ein Grundſatz, eine Er-
klaͤrung, ein Heiſcheſatz, eine Anmerckung ꝛc.
ſey, und nach was fuͤr Regeln derſelbe beur-
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