[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 12. Zürich, 1744.Strukaras, durch mein eigenes Wort wieder umstürzete?Sollte ich durch einen Widerruf nicht bloß mein eigenes sondern das Urtheil aller derjenigen ver- dammen, welche meinem geglaubt haben? Hat nicht vielmehr mein Geschmack das Siegel der Gründlichkeit empfangen, nachdem er von einem so zahlreichen Haufen angenommen worden? Gesezt, daß ich auf meine Urtheile und Lehrsätze zufälliger Weise gefallen sey, haben sie nicht den gehörigen Erweis durch das Nachsprechen so vie- ler tausend Schulhalter und Magister empfan- gen? Aber gestanden, daß die Wahrheit nicht auf meiner Seite ist; Soll ich den Ruhm eines unfehlbaren Kunstrichters mit dem Nahmen ei- nes gemeinen aufrichtigen Mannes vertauschen, und mich selber der Dummheit anklagen, da- mit ich meine Redlichkeit rette? Jst es nicht ein grösserer Schimpf, wenn man uns der Dumm- heit schuldig befindet, als wenn man uns bloß vor boshaft hält? Mein grössester Ruhm ist, daß ich zwar bey mir selbst eben so gut, als die witzigsten Leute, den gründlichen Geschmack mei- ner Widersacher einsehe, dabey aber nichtsde- stoweniger meine verdorbene Sache behaupten, und mein Ansehn der Vernunft zu Trutze auf- recht erhalten kan. Seine aufrichtige Freundin erschrack darüber, mehr
Strukaras, durch mein eigenes Wort wieder umſtuͤrzete?Sollte ich durch einen Widerruf nicht bloß mein eigenes ſondern das Urtheil aller derjenigen ver- dammen, welche meinem geglaubt haben? Hat nicht vielmehr mein Geſchmack das Siegel der Gruͤndlichkeit empfangen, nachdem er von einem ſo zahlreichen Haufen angenommen worden? Geſezt, daß ich auf meine Urtheile und Lehrſaͤtze zufaͤlliger Weiſe gefallen ſey, haben ſie nicht den gehoͤrigen Erweis durch das Nachſprechen ſo vie- ler tauſend Schulhalter und Magiſter empfan- gen? Aber geſtanden, daß die Wahrheit nicht auf meiner Seite iſt; Soll ich den Ruhm eines unfehlbaren Kunſtrichters mit dem Nahmen ei- nes gemeinen aufrichtigen Mannes vertauſchen, und mich ſelber der Dummheit anklagen, da- mit ich meine Redlichkeit rette? Jſt es nicht ein groͤſſerer Schimpf, wenn man uns der Dumm- heit ſchuldig befindet, als wenn man uns bloß vor boshaft haͤlt? Mein groͤſſeſter Ruhm iſt, daß ich zwar bey mir ſelbſt eben ſo gut, als die witzigſten Leute, den gruͤndlichen Geſchmack mei- ner Widerſacher einſehe, dabey aber nichtsde- ſtoweniger meine verdorbene Sache behaupten, und mein Anſehn der Vernunft zu Trutze auf- recht erhalten kan. Seine aufrichtige Freundin erſchrack daruͤber, mehr
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Strukaras,
durch mein eigenes Wort wieder umſtuͤrzete?
Sollte ich durch einen Widerruf nicht bloß mein
eigenes ſondern das Urtheil aller derjenigen ver-
dammen, welche meinem geglaubt haben? Hat
nicht vielmehr mein Geſchmack das Siegel der
Gruͤndlichkeit empfangen, nachdem er von einem
ſo zahlreichen Haufen angenommen worden?
Geſezt, daß ich auf meine Urtheile und Lehrſaͤtze
zufaͤlliger Weiſe gefallen ſey, haben ſie nicht den
gehoͤrigen Erweis durch das Nachſprechen ſo vie-
ler tauſend Schulhalter und Magiſter empfan-
gen? Aber geſtanden, daß die Wahrheit nicht
auf meiner Seite iſt; Soll ich den Ruhm eines
unfehlbaren Kunſtrichters mit dem Nahmen ei-
nes gemeinen aufrichtigen Mannes vertauſchen,
und mich ſelber der Dummheit anklagen, da-
mit ich meine Redlichkeit rette? Jſt es nicht ein
groͤſſerer Schimpf, wenn man uns der Dumm-
heit ſchuldig befindet, als wenn man uns bloß
vor boshaft haͤlt? Mein groͤſſeſter Ruhm iſt,
daß ich zwar bey mir ſelbſt eben ſo gut, als die
witzigſten Leute, den gruͤndlichen Geſchmack mei-
ner Widerſacher einſehe, dabey aber nichtsde-
ſtoweniger meine verdorbene Sache behaupten,
und mein Anſehn der Vernunft zu Trutze auf-
recht erhalten kan.
Seine aufrichtige Freundin erſchrack daruͤber,
und fieng an, ihm aus getreuem Hertzen vorzu-
halten, daß es keins von den geringſten Ver-
brechen waͤre, ſich an den Vermoͤgensarten der
Seele, dem Verſtand, der Einbildungskraft
und dem Witz zu verſuͤndigen, dieſes haͤtte weit
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