An den ältesten Harnischen hängt an den äusseren Seiten daneben noch je eine weitere kleine Platte (Fig. 92). Die späteren Beintaschen sind mehr rund zugeschnitten und sind entweder steif oder mehrmals geschoben. Nicht selten setzen sich die Beintaschen an die Bauch- reifen ohne eigentlichen Abschluss in der Art fort, dass die Geschübe gerade und eckig abschliessend bis an die Oberschenkel reichen (Fig. 88).
Von etwa 1550 an sehen wir die Bauchreifen häufig stark auf- getrieben, besonders an französischen Harnischen. Das geschah zu dem Zwecke, um den kurzen, bauschigen, spanischen Höschen Platz zu lassen, welche in Hinsicht auf ihre Dimensionen im Umfange besonders in Frankreich erheblichen Raum erforderten.
Um 1520 entstehen in den Landsknechtheeren und zweifelsohne gleichfalls in der Absicht, das Anlegen des Harnisches möglichst zu vereinfachen und abzukürzen, die "Schösse". In dieser Anordnung ersieht man das Bestreben, die Brust mit den Bauchreifen unmittelbar in Verbindung mit dem Beinzeug zu bringen. Von den Bauchreifen setzen sich die Oberschenkel entlang die Geschübe fort, entweder bis an den halben Schenkel reichend, in welchem Falle den restlichen Schenkelteil die Unterdiechlinge decken, oder bis an die Kniee, wo sie mit den Kniebuckeln abschliessen und damit das Oberbeinzeug ersetzen. Letztere Form wird schon am Beginne auch bei ritterlichen Harnischen nicht selten beobachtet, dann ist selbstverständlich auch ein Unterbeinzeug damit in Verbindung.
Bei Harnischen des 15. Jahrhunderts bilden vorne die Innenränder der beiderseitigen Beintaschen einen weiten konkaven Bogen, dem Sitze im Sattel entsprechend, selbst bei Schössen erscheint der Teil am Ende des Unterleibes kreisförmig ausgeschnitten. Am oberen Rande dieses Bogens ist bei Harnischen um 1500 der letzte Bauch- reifen buckelförmig aufgetrieben. Diese Erhöhung wird "Scham- kapsel" benannt. Später, als die Schamkapseln verschwanden, ent- steht an dieser Stelle ein eigenartiger Harnischbestandteil, der eigentlich nur vom kulturhistorischen Standpunkte zu würdigen ist, der Glied- schirm oder "Latz" vom lateinischen "latus" hergeleitet. Der Latz, als Gegenstand von geschlagenem Eisen erzeugt, ist eigentlich nur ein Ergebnis eines bizarren Geschmackes und hatte überhaupt keine praktische Bedeutung. Dennoch hatte er sein Vorbild in einer ganz entsprechenden Einrichtung des 15. Jahrhunderts gefunden. In dem Bestreben, den Geschlechtsteil zu sichern, besassen die Panzer- hemden vorn eine sackartige Verlängerung, die schon damals "Latz" genannt wurde. Es sind nur wenige Exemplare solcher mehr vor- handen. Der "latus" soll eigentlich nichts anderes darstellen, als eine Hülse von geschlagenem Eisenblech für den Geschlechtsteil, die mittelst einer oder mehrerer Nieten mit den Bauchreifen in Verbindung stand und zuweilen noch durch eine Masche aus farbigen Bändern geziert wurde. (Fig. 106, 107 und 108.) Diese sonderbare Mode
I. Die Schutzwaffen.
An den ältesten Harnischen hängt an den äuſseren Seiten daneben noch je eine weitere kleine Platte (Fig. 92). Die späteren Beintaschen sind mehr rund zugeschnitten und sind entweder steif oder mehrmals geschoben. Nicht selten setzen sich die Beintaschen an die Bauch- reifen ohne eigentlichen Abschluſs in der Art fort, daſs die Geschübe gerade und eckig abschlieſsend bis an die Oberschenkel reichen (Fig. 88).
Von etwa 1550 an sehen wir die Bauchreifen häufig stark auf- getrieben, besonders an französischen Harnischen. Das geschah zu dem Zwecke, um den kurzen, bauschigen, spanischen Höschen Platz zu lassen, welche in Hinsicht auf ihre Dimensionen im Umfange besonders in Frankreich erheblichen Raum erforderten.
Um 1520 entstehen in den Landsknechtheeren und zweifelsohne gleichfalls in der Absicht, das Anlegen des Harnisches möglichst zu vereinfachen und abzukürzen, die „Schöſse“. In dieser Anordnung ersieht man das Bestreben, die Brust mit den Bauchreifen unmittelbar in Verbindung mit dem Beinzeug zu bringen. Von den Bauchreifen setzen sich die Oberschenkel entlang die Geschübe fort, entweder bis an den halben Schenkel reichend, in welchem Falle den restlichen Schenkelteil die Unterdiechlinge decken, oder bis an die Kniee, wo sie mit den Kniebuckeln abschlieſsen und damit das Oberbeinzeug ersetzen. Letztere Form wird schon am Beginne auch bei ritterlichen Harnischen nicht selten beobachtet, dann ist selbstverständlich auch ein Unterbeinzeug damit in Verbindung.
Bei Harnischen des 15. Jahrhunderts bilden vorne die Innenränder der beiderseitigen Beintaschen einen weiten konkaven Bogen, dem Sitze im Sattel entsprechend, selbst bei Schöſsen erscheint der Teil am Ende des Unterleibes kreisförmig ausgeschnitten. Am oberen Rande dieses Bogens ist bei Harnischen um 1500 der letzte Bauch- reifen buckelförmig aufgetrieben. Diese Erhöhung wird „Scham- kapsel“ benannt. Später, als die Schamkapseln verschwanden, ent- steht an dieser Stelle ein eigenartiger Harnischbestandteil, der eigentlich nur vom kulturhistorischen Standpunkte zu würdigen ist, der Glied- schirm oder „Latz“ vom lateinischen „latus“ hergeleitet. Der Latz, als Gegenstand von geschlagenem Eisen erzeugt, ist eigentlich nur ein Ergebnis eines bizarren Geschmackes und hatte überhaupt keine praktische Bedeutung. Dennoch hatte er sein Vorbild in einer ganz entsprechenden Einrichtung des 15. Jahrhunderts gefunden. In dem Bestreben, den Geschlechtsteil zu sichern, besaſsen die Panzer- hemden vorn eine sackartige Verlängerung, die schon damals „Latz“ genannt wurde. Es sind nur wenige Exemplare solcher mehr vor- handen. Der „latus“ soll eigentlich nichts anderes darstellen, als eine Hülse von geschlagenem Eisenblech für den Geschlechtsteil, die mittelst einer oder mehrerer Nieten mit den Bauchreifen in Verbindung stand und zuweilen noch durch eine Masche aus farbigen Bändern geziert wurde. (Fig. 106, 107 und 108.) Diese sonderbare Mode
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I. Die Schutzwaffen.
An den ältesten Harnischen hängt an den äuſseren Seiten daneben
noch je eine weitere kleine Platte (Fig. 92). Die späteren Beintaschen sind
mehr rund zugeschnitten und sind entweder steif oder mehrmals
geschoben. Nicht selten setzen sich die Beintaschen an die Bauch-
reifen ohne eigentlichen Abschluſs in der Art fort, daſs die Geschübe
gerade und eckig abschlieſsend bis an die Oberschenkel reichen (Fig. 88).
Von etwa 1550 an sehen wir die Bauchreifen häufig stark auf-
getrieben, besonders an französischen Harnischen. Das geschah zu
dem Zwecke, um den kurzen, bauschigen, spanischen Höschen Platz
zu lassen, welche in Hinsicht auf ihre Dimensionen im Umfange besonders
in Frankreich erheblichen Raum erforderten.
Um 1520 entstehen in den Landsknechtheeren und zweifelsohne
gleichfalls in der Absicht, das Anlegen des Harnisches möglichst zu
vereinfachen und abzukürzen, die „Schöſse“. In dieser Anordnung
ersieht man das Bestreben, die Brust mit den Bauchreifen unmittelbar
in Verbindung mit dem Beinzeug zu bringen. Von den Bauchreifen
setzen sich die Oberschenkel entlang die Geschübe fort, entweder
bis an den halben Schenkel reichend, in welchem Falle den restlichen
Schenkelteil die Unterdiechlinge decken, oder bis an die Kniee, wo
sie mit den Kniebuckeln abschlieſsen und damit das Oberbeinzeug
ersetzen. Letztere Form wird schon am Beginne auch bei ritterlichen
Harnischen nicht selten beobachtet, dann ist selbstverständlich auch
ein Unterbeinzeug damit in Verbindung.
Bei Harnischen des 15. Jahrhunderts bilden vorne die Innenränder
der beiderseitigen Beintaschen einen weiten konkaven Bogen, dem
Sitze im Sattel entsprechend, selbst bei Schöſsen erscheint der Teil
am Ende des Unterleibes kreisförmig ausgeschnitten. Am oberen
Rande dieses Bogens ist bei Harnischen um 1500 der letzte Bauch-
reifen buckelförmig aufgetrieben. Diese Erhöhung wird „Scham-
kapsel“ benannt. Später, als die Schamkapseln verschwanden, ent-
steht an dieser Stelle ein eigenartiger Harnischbestandteil, der eigentlich
nur vom kulturhistorischen Standpunkte zu würdigen ist, der Glied-
schirm oder „Latz“ vom lateinischen „latus“ hergeleitet. Der Latz,
als Gegenstand von geschlagenem Eisen erzeugt, ist eigentlich nur
ein Ergebnis eines bizarren Geschmackes und hatte überhaupt keine
praktische Bedeutung. Dennoch hatte er sein Vorbild in einer ganz
entsprechenden Einrichtung des 15. Jahrhunderts gefunden. In
dem Bestreben, den Geschlechtsteil zu sichern, besaſsen die Panzer-
hemden vorn eine sackartige Verlängerung, die schon damals „Latz“
genannt wurde. Es sind nur wenige Exemplare solcher mehr vor-
handen. Der „latus“ soll eigentlich nichts anderes darstellen, als eine
Hülse von geschlagenem Eisenblech für den Geschlechtsteil, die
mittelst einer oder mehrerer Nieten mit den Bauchreifen in Verbindung
stand und zuweilen noch durch eine Masche aus farbigen Bändern
geziert wurde. (Fig. 106, 107 und 108.) Diese sonderbare Mode
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Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/118>, abgerufen am 23.11.2024.
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