Anhängseln, den sogenannten Zungenspielungen, ausgestattet. (Fig. 208.)
Alle diese Bestrebungen nach schärferer Wirkung der Zügel er- klären sich aus dem Umstande, dass sich vom 11. bis ans Ende des 15. Jahrhunderts der Adelige wie der reisige Mann in Deutschland, England und Frankreich nur der Hengste bediente, und sich durch das Besteigen eines weiblichen Pferdes für entehrt erachtet hätte. Die Vorsicht führte im 13. Jahrhundert dahin, die Trensenzäumung mit jener der Stange zu verbinden und für jede einen eigenen Zügel zu führen; dann war der leichtere Trensenzügel von Leder, der Stangenzügel aber war fast ausnahmslos aus einer starken Kette ge- bildet. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts brachten die Italiener das verschnittene Pferd nach Deutschland und Frankreich, das als "geringes", d. i. leichtes, schon um 1360 im Kriege diente. Die Vorliebe der Adligen für Hengste währte jedoch noch bis ans Ende des 17. Jahrhunderts. Die künstlerische Auszierung der Zäume reicht ins 9. Jahrhundert und noch weiter in die Zeit hinauf; die ersten Vorbilder hierzu kamen aus Byzanz, das in jener Zeit und noch lange nachher für die dekorativen Künste als eine Musterstätte galt. Nach dem Aussterben der Karolinger nahm das Kunstbedürfnis stetig ab, um im 13. Jahrhundert, durch die Kreuzzüge angeregt, wieder zu schöner Blüte zu erwachsen. Von da an finden wir das Streben nach Schönheit im Gebiete der kriegerischen Ausrüstung stetig zunehmen; ihren Höhepunkt hatte sie um die Mitte des 16. Jahrhunderts. Bei den Türken, den Ungarn und Polen hatte sich die Freude an ver- zierten Zäumen bis ins 18. Jahrhundert rege erhalten, aber sie äusserte sich mehr in einem Streben nach äusserem Wert durch Besetzen mit kostbaren Steinen und dergleichen. Eine speziell den Türken und Ungarn eigentümliche Beigabe zum Zaume bilden die Stirnketten und der Dscheleng. Dieser hing als Anhängsel um den Hals des Pferdes. An dem Riemen hängt ein Halbmond oder ein kugelförmiger Metallkörper mit daran hängendem Haarschweife, wozu häufig die Wolle des Yak (bos grunniens), aber auch Frauenhaar benutzt wurde.*) (Fig. 209.)
Die Wildheit der Streithengste veranlasste die Verwendung von Maulkörben. Diese Beigabe zum Zaumzeug erblicken wir zuerst im 15. Jahrhundert; die Verwendung ist aber zweifelsohne weit älter. Derlei Maulkörbe gaben den Sporern reiche Gelegenheit, ihre Kunst- fertigkeit zu bethätigen; wir finden darum auch besonders aus dem
*) Diese Anhängsel, im Türkischen Dscheleng, waren ursprünglich eine Aus- zeichnung für die bewiesene Tapserkeit des Reiters nach dem altosmanischen Kanaun-i-teschreifat, Kanon der Ehrenzeichen, dessen berühmteste Aufzeichnung aus der Zeit Suleimans des Grossen (Anfang des 16. Jahrhunderts) datiert. Bei den Polen erscheint der Dscheleng auch unter der Bezeichnung Bunczuk (Fahne), ein Name, der für diese Anhängsel auch in andere östliche Heere übergegangen ist.
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10. Das Pferdezeug und der Pferdeharnisch.
Anhängseln, den sogenannten Zungenspielungen, ausgestattet. (Fig. 208.)
Alle diese Bestrebungen nach schärferer Wirkung der Zügel er- klären sich aus dem Umstande, daſs sich vom 11. bis ans Ende des 15. Jahrhunderts der Adelige wie der reisige Mann in Deutschland, England und Frankreich nur der Hengste bediente, und sich durch das Besteigen eines weiblichen Pferdes für entehrt erachtet hätte. Die Vorsicht führte im 13. Jahrhundert dahin, die Trensenzäumung mit jener der Stange zu verbinden und für jede einen eigenen Zügel zu führen; dann war der leichtere Trensenzügel von Leder, der Stangenzügel aber war fast ausnahmslos aus einer starken Kette ge- bildet. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts brachten die Italiener das verschnittene Pferd nach Deutschland und Frankreich, das als „geringes“, d. i. leichtes, schon um 1360 im Kriege diente. Die Vorliebe der Adligen für Hengste währte jedoch noch bis ans Ende des 17. Jahrhunderts. Die künstlerische Auszierung der Zäume reicht ins 9. Jahrhundert und noch weiter in die Zeit hinauf; die ersten Vorbilder hierzu kamen aus Byzanz, das in jener Zeit und noch lange nachher für die dekorativen Künste als eine Musterstätte galt. Nach dem Aussterben der Karolinger nahm das Kunstbedürfnis stetig ab, um im 13. Jahrhundert, durch die Kreuzzüge angeregt, wieder zu schöner Blüte zu erwachsen. Von da an finden wir das Streben nach Schönheit im Gebiete der kriegerischen Ausrüstung stetig zunehmen; ihren Höhepunkt hatte sie um die Mitte des 16. Jahrhunderts. Bei den Türken, den Ungarn und Polen hatte sich die Freude an ver- zierten Zäumen bis ins 18. Jahrhundert rege erhalten, aber sie äuſserte sich mehr in einem Streben nach äuſserem Wert durch Besetzen mit kostbaren Steinen und dergleichen. Eine speziell den Türken und Ungarn eigentümliche Beigabe zum Zaume bilden die Stirnketten und der Dscheleng. Dieser hing als Anhängsel um den Hals des Pferdes. An dem Riemen hängt ein Halbmond oder ein kugelförmiger Metallkörper mit daran hängendem Haarschweife, wozu häufig die Wolle des Yak (bos grunniens), aber auch Frauenhaar benutzt wurde.*) (Fig. 209.)
Die Wildheit der Streithengste veranlaſste die Verwendung von Maulkörben. Diese Beigabe zum Zaumzeug erblicken wir zuerst im 15. Jahrhundert; die Verwendung ist aber zweifelsohne weit älter. Derlei Maulkörbe gaben den Sporern reiche Gelegenheit, ihre Kunst- fertigkeit zu bethätigen; wir finden darum auch besonders aus dem
*) Diese Anhängsel, im Türkischen Dscheleng, waren ursprünglich eine Aus- zeichnung für die bewiesene Tapserkeit des Reiters nach dem altosmanischen Kanûn-i-teschrîfât, Kanon der Ehrenzeichen, dessen berühmteste Aufzeichnung aus der Zeit Suleimâns des Groſsen (Anfang des 16. Jahrhunderts) datiert. Bei den Polen erscheint der Dscheleng auch unter der Bezeichnung Bunczuk (Fahne), ein Name, der für diese Anhängsel auch in andere östliche Heere übergegangen ist.
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10. Das Pferdezeug und der Pferdeharnisch.
Anhängseln, den sogenannten Zungenspielungen, ausgestattet.
(Fig. 208.)
Alle diese Bestrebungen nach schärferer Wirkung der Zügel er-
klären sich aus dem Umstande, daſs sich vom 11. bis ans Ende des
15. Jahrhunderts der Adelige wie der reisige Mann in Deutschland,
England und Frankreich nur der Hengste bediente, und sich durch
das Besteigen eines weiblichen Pferdes für entehrt erachtet hätte.
Die Vorsicht führte im 13. Jahrhundert dahin, die Trensenzäumung
mit jener der Stange zu verbinden und für jede einen eigenen Zügel
zu führen; dann war der leichtere Trensenzügel von Leder, der
Stangenzügel aber war fast ausnahmslos aus einer starken Kette ge-
bildet. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts brachten die Italiener
das verschnittene Pferd nach Deutschland und Frankreich, das als
„geringes“, d. i. leichtes, schon um 1360 im Kriege diente. Die
Vorliebe der Adligen für Hengste währte jedoch noch bis ans Ende
des 17. Jahrhunderts. Die künstlerische Auszierung der Zäume reicht
ins 9. Jahrhundert und noch weiter in die Zeit hinauf; die ersten
Vorbilder hierzu kamen aus Byzanz, das in jener Zeit und noch lange
nachher für die dekorativen Künste als eine Musterstätte galt. Nach
dem Aussterben der Karolinger nahm das Kunstbedürfnis stetig ab,
um im 13. Jahrhundert, durch die Kreuzzüge angeregt, wieder zu
schöner Blüte zu erwachsen. Von da an finden wir das Streben nach
Schönheit im Gebiete der kriegerischen Ausrüstung stetig zunehmen;
ihren Höhepunkt hatte sie um die Mitte des 16. Jahrhunderts. Bei
den Türken, den Ungarn und Polen hatte sich die Freude an ver-
zierten Zäumen bis ins 18. Jahrhundert rege erhalten, aber sie äuſserte
sich mehr in einem Streben nach äuſserem Wert durch Besetzen mit
kostbaren Steinen und dergleichen. Eine speziell den Türken und
Ungarn eigentümliche Beigabe zum Zaume bilden die Stirnketten
und der Dscheleng. Dieser hing als Anhängsel um den Hals des
Pferdes. An dem Riemen hängt ein Halbmond oder ein kugelförmiger
Metallkörper mit daran hängendem Haarschweife, wozu häufig die
Wolle des Yak (bos grunniens), aber auch Frauenhaar benutzt wurde. *)
(Fig. 209.)
Die Wildheit der Streithengste veranlaſste die Verwendung von
Maulkörben. Diese Beigabe zum Zaumzeug erblicken wir zuerst im
15. Jahrhundert; die Verwendung ist aber zweifelsohne weit älter.
Derlei Maulkörbe gaben den Sporern reiche Gelegenheit, ihre Kunst-
fertigkeit zu bethätigen; wir finden darum auch besonders aus dem
*) Diese Anhängsel, im Türkischen Dscheleng, waren ursprünglich eine Aus-
zeichnung für die bewiesene Tapserkeit des Reiters nach dem altosmanischen
Kanûn-i-teschrîfât, Kanon der Ehrenzeichen, dessen berühmteste Aufzeichnung
aus der Zeit Suleimâns des Groſsen (Anfang des 16. Jahrhunderts) datiert. Bei
den Polen erscheint der Dscheleng auch unter der Bezeichnung Bunczuk (Fahne),
ein Name, der für diese Anhängsel auch in andere östliche Heere übergegangen ist.
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Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/213>, abgerufen am 26.11.2024.
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