Stiele, an dessen unterem Ende zwei flache, unten konkav geschnittene Knebelarme angeschweisst sind. Dicht an diesen sitzt eine kurze Dille (douille). (Fig. 357.) Sie besitzt nun allerdings nicht die Form der römischen Lanzen, wenigstens entdecken wir unter den antiken Funden kein ähnliches Exemplar, aber wir erkennen hier in den Details des Knebels das Vorbild für die mittelalterlichen Knebelspiesse bis ins 15. Jahrhundert herab. Wir sehen in diesen Spiesseisen die eigentliche Form desselben, die uns in den ältesten Miniaturen, wie im Psalterium aureum nur durch flüchtige Linien angedeutet wird. (Fig. 358.) Ein zweites, nur etwas jüngeres originales Exemplar dieser Spiesseisenform aus der Kathedrale zu Krakau sehen wir in Fig. 359.
Im 9. Jahrhundert beginnen die Formen des Spiesseisens noch mannigfaltiger zu werden, wir treffen sie bereits rautenförmig, wie in der Bibel Karls des Kahlen (860--875) im Museum des Louvre, und bemerken das Bestreben, dasselbe mit bunten Bändern zu zieren. Ist der Knebel, der Knopf (nodus), dazu da, um ein zu tiefes Ein- dringen der Klinge in den Körper zu verhindern, wodurch das Zurückziehen der Waffe oft ganz verhindert wird, so war das bunte Bändchen, der Wimpel, bestimmt, den Träger des Spiesses im Kampf- gewirre die Richtung der Waffe leichter erkennen zu lassen (Fig. 360). Im 10. Jahrhunderte ändern sich die Spiessformen wenig und viel- leicht nur dadurch, dass sie nun um etwas stärker in Eisen und Schaft werden. (Fig. 361.) Im 11. Jahrhunderte treten bei den Normanen wie bei den Sachsen neue Spiesseisenformen auf; es erscheint die lange, lanzettförmige Spiessklinge mit Knopf und erheblich stärkerem Schafte, weiters die bärtige Spiessklinge, letztere im Teppich von Bayeux in grosser Anzahl, daneben aber auch die alten Formen. (Fig. 362.) Diese Klingenform ist auf orientalische Vorbilder zurück- zuführen und verdankt ihre Einführung bei den Normanen wahr- scheinlich Harald III. Die Verzierung der dünnen Spiessschäfte ist schon an Funden wahrnehmbar, die dem 8. Jahrhundert angehören. Die Technik ist der orientalischen sehr verwandt und besteht meist in einem dünnen Belage von Silber oder einer dichten Besetzung mit Silberstiften. Vom 11. Jahrhundert kommt diese Technik allge- mach in Abnahme. (Fig. 363.) Vom Altertume an ist der Spiess gewissermassen der eigentliche Träger der Fahnen und Fähnchen; in der Epoche des ausgebildeten Rittertums zeigt der Spiess durch die Beigabe des Fahnenblattes, dessen Grösse und Auszierung den Rang und das Geschlecht des Trägers an. (Fig. 364.)
Um die Mitte des 12. Jahrhunderts, in jener Epoche, in welcher die Erfahrungen aus den Kreuzzügen greifbare Gestalt angenommen hatten, verändert sich die Form der Stangenwaffe und damit auch die Art ihres Gebrauches.
Zunächst verschwindet der Wurfspiess allmählich aus den Heeren der Deutschen und Franzosen, nur die Italiener, von Natur aus an-
B. Die Stangenwaffen. 1. Der Spieſs.
Stiele, an dessen unterem Ende zwei flache, unten konkav geschnittene Knebelarme angeschweiſst sind. Dicht an diesen sitzt eine kurze Dille (douille). (Fig. 357.) Sie besitzt nun allerdings nicht die Form der römischen Lanzen, wenigstens entdecken wir unter den antiken Funden kein ähnliches Exemplar, aber wir erkennen hier in den Details des Knebels das Vorbild für die mittelalterlichen Knebelspieſse bis ins 15. Jahrhundert herab. Wir sehen in diesen Spieſseisen die eigentliche Form desselben, die uns in den ältesten Miniaturen, wie im Psalterium aureum nur durch flüchtige Linien angedeutet wird. (Fig. 358.) Ein zweites, nur etwas jüngeres originales Exemplar dieser Spieſseisenform aus der Kathedrale zu Krakau sehen wir in Fig. 359.
Im 9. Jahrhundert beginnen die Formen des Spieſseisens noch mannigfaltiger zu werden, wir treffen sie bereits rautenförmig, wie in der Bibel Karls des Kahlen (860—875) im Museum des Louvre, und bemerken das Bestreben, dasselbe mit bunten Bändern zu zieren. Ist der Knebel, der Knopf (nodus), dazu da, um ein zu tiefes Ein- dringen der Klinge in den Körper zu verhindern, wodurch das Zurückziehen der Waffe oft ganz verhindert wird, so war das bunte Bändchen, der Wimpel, bestimmt, den Träger des Spieſses im Kampf- gewirre die Richtung der Waffe leichter erkennen zu lassen (Fig. 360). Im 10. Jahrhunderte ändern sich die Spieſsformen wenig und viel- leicht nur dadurch, daſs sie nun um etwas stärker in Eisen und Schaft werden. (Fig. 361.) Im 11. Jahrhunderte treten bei den Normanen wie bei den Sachsen neue Spieſseisenformen auf; es erscheint die lange, lanzettförmige Spieſsklinge mit Knopf und erheblich stärkerem Schafte, weiters die bärtige Spieſsklinge, letztere im Teppich von Bayeux in groſser Anzahl, daneben aber auch die alten Formen. (Fig. 362.) Diese Klingenform ist auf orientalische Vorbilder zurück- zuführen und verdankt ihre Einführung bei den Normanen wahr- scheinlich Harald III. Die Verzierung der dünnen Spieſsschäfte ist schon an Funden wahrnehmbar, die dem 8. Jahrhundert angehören. Die Technik ist der orientalischen sehr verwandt und besteht meist in einem dünnen Belage von Silber oder einer dichten Besetzung mit Silberstiften. Vom 11. Jahrhundert kommt diese Technik allge- mach in Abnahme. (Fig. 363.) Vom Altertume an ist der Spieſs gewissermaſsen der eigentliche Träger der Fahnen und Fähnchen; in der Epoche des ausgebildeten Rittertums zeigt der Spieſs durch die Beigabe des Fahnenblattes, dessen Gröſse und Auszierung den Rang und das Geschlecht des Trägers an. (Fig. 364.)
Um die Mitte des 12. Jahrhunderts, in jener Epoche, in welcher die Erfahrungen aus den Kreuzzügen greifbare Gestalt angenommen hatten, verändert sich die Form der Stangenwaffe und damit auch die Art ihres Gebrauches.
Zunächst verschwindet der Wurfspieſs allmählich aus den Heeren der Deutschen und Franzosen, nur die Italiener, von Natur aus an-
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B. Die Stangenwaffen. 1. Der Spieſs.
Stiele, an dessen unterem Ende zwei flache, unten konkav geschnittene
Knebelarme angeschweiſst sind. Dicht an diesen sitzt eine kurze
Dille (douille). (Fig. 357.) Sie besitzt nun allerdings nicht die Form
der römischen Lanzen, wenigstens entdecken wir unter den antiken
Funden kein ähnliches Exemplar, aber wir erkennen hier in den
Details des Knebels das Vorbild für die mittelalterlichen Knebelspieſse
bis ins 15. Jahrhundert herab. Wir sehen in diesen Spieſseisen die
eigentliche Form desselben, die uns in den ältesten Miniaturen, wie
im Psalterium aureum nur durch flüchtige Linien angedeutet wird.
(Fig. 358.) Ein zweites, nur etwas jüngeres originales Exemplar dieser
Spieſseisenform aus der Kathedrale zu Krakau sehen wir in Fig. 359.
Im 9. Jahrhundert beginnen die Formen des Spieſseisens noch
mannigfaltiger zu werden, wir treffen sie bereits rautenförmig, wie in
der Bibel Karls des Kahlen (860—875) im Museum des Louvre,
und bemerken das Bestreben, dasselbe mit bunten Bändern zu zieren.
Ist der Knebel, der Knopf (nodus), dazu da, um ein zu tiefes Ein-
dringen der Klinge in den Körper zu verhindern, wodurch das
Zurückziehen der Waffe oft ganz verhindert wird, so war das bunte
Bändchen, der Wimpel, bestimmt, den Träger des Spieſses im Kampf-
gewirre die Richtung der Waffe leichter erkennen zu lassen (Fig. 360).
Im 10. Jahrhunderte ändern sich die Spieſsformen wenig und viel-
leicht nur dadurch, daſs sie nun um etwas stärker in Eisen und Schaft
werden. (Fig. 361.) Im 11. Jahrhunderte treten bei den Normanen
wie bei den Sachsen neue Spieſseisenformen auf; es erscheint die
lange, lanzettförmige Spieſsklinge mit Knopf und erheblich stärkerem
Schafte, weiters die bärtige Spieſsklinge, letztere im Teppich von
Bayeux in groſser Anzahl, daneben aber auch die alten Formen.
(Fig. 362.) Diese Klingenform ist auf orientalische Vorbilder zurück-
zuführen und verdankt ihre Einführung bei den Normanen wahr-
scheinlich Harald III. Die Verzierung der dünnen Spieſsschäfte ist
schon an Funden wahrnehmbar, die dem 8. Jahrhundert angehören.
Die Technik ist der orientalischen sehr verwandt und besteht meist
in einem dünnen Belage von Silber oder einer dichten Besetzung
mit Silberstiften. Vom 11. Jahrhundert kommt diese Technik allge-
mach in Abnahme. (Fig. 363.) Vom Altertume an ist der Spieſs
gewissermaſsen der eigentliche Träger der Fahnen und Fähnchen; in
der Epoche des ausgebildeten Rittertums zeigt der Spieſs durch die
Beigabe des Fahnenblattes, dessen Gröſse und Auszierung den Rang
und das Geschlecht des Trägers an. (Fig. 364.)
Um die Mitte des 12. Jahrhunderts, in jener Epoche, in welcher
die Erfahrungen aus den Kreuzzügen greifbare Gestalt angenommen
hatten, verändert sich die Form der Stangenwaffe und damit auch
die Art ihres Gebrauches.
Zunächst verschwindet der Wurfspieſs allmählich aus den Heeren
der Deutschen und Franzosen, nur die Italiener, von Natur aus an-
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Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/329>, abgerufen am 22.11.2024.
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