Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890.II. Die Angriffswaffen. Schon im 14. Jahrhundert war zuweilen der Kolben mit sogenanntenSchlagblättern, welche radial aus dem Körper hervorragten, aus- gestattet (quadrelle); nun bildete sich diese Art in gotischen Formen vollends durch, und wir sehen, dass auch der Schaft von Eisen ge- bildet ist, was der Waffe ein bedeutendes Gewicht giebt. Diese Ver- änderung bedeutet nichts anderes, als dem widerstandsfähigen Platten- harnische, der zu jener Zeit aus einzelnen Teilen zusammengesetzt zu werden pflegte, eine entsprechende Angriffswaffe entgegenzustellen. Den Kürissbengel führte der einzelne Adelige zu Ross mit grosser Vorliebe, sie erschien ihm vornehmer als die Streitaxt der Söldner, umsomehr als es längst Sitte geworden war, dass Befehlshaber den Streitkolben führten und mächtige Herrscher, ja die Kaiser selbst, sich eines dem Streitkolben ähnlichen Gegenstandes als Würdenzeichen, des Szepters, bedienten. (Fig. 425.) Am Beginne des 16. Jahrhunderts ist unsere Waffe allenthalben im Gebrauche und bleibt es bis etwa um 1540; von da an wird sie seltener im Heere, sie schrumpft ein, gleich der Helmbarte; gleich dieser hatte sie sich von dem Zeitpunkt an über- lebt, wo die Faustrohre in der Reiterei allgemeiner in Aufnahme kamen. Einzelne Reiter führten den Kolben gleichwohl noch lange am Sattel, und Würdenträger erschienen bis ins 17. Jahrhundert nicht ohne den Kolben in der Hand. Dieser Umstand war auch zunächst Ursache, dass die Kunst diese Waffe mit prächtigem Zierat versah, dass wir schön ausgestattete Kolben nicht selten antreffen. Es haben da die Italiener und vorzugsweise die Mailänder hervorragende Leistungen aufzuweisen. (Fig. 426.) In Frankreich wurde der Streitkolben im Laufe der Zeit noch mehr Bei den Orientalen scheint der Streitkolben als eine ursprüng- II. Die Angriffswaffen. Schon im 14. Jahrhundert war zuweilen der Kolben mit sogenanntenSchlagblättern, welche radial aus dem Körper hervorragten, aus- gestattet (quadrelle); nun bildete sich diese Art in gotischen Formen vollends durch, und wir sehen, daſs auch der Schaft von Eisen ge- bildet ist, was der Waffe ein bedeutendes Gewicht giebt. Diese Ver- änderung bedeutet nichts anderes, als dem widerstandsfähigen Platten- harnische, der zu jener Zeit aus einzelnen Teilen zusammengesetzt zu werden pflegte, eine entsprechende Angriffswaffe entgegenzustellen. Den Küriſsbengel führte der einzelne Adelige zu Roſs mit groſser Vorliebe, sie erschien ihm vornehmer als die Streitaxt der Söldner, umsomehr als es längst Sitte geworden war, daſs Befehlshaber den Streitkolben führten und mächtige Herrscher, ja die Kaiser selbst, sich eines dem Streitkolben ähnlichen Gegenstandes als Würdenzeichen, des Szepters, bedienten. (Fig. 425.) Am Beginne des 16. Jahrhunderts ist unsere Waffe allenthalben im Gebrauche und bleibt es bis etwa um 1540; von da an wird sie seltener im Heere, sie schrumpft ein, gleich der Helmbarte; gleich dieser hatte sie sich von dem Zeitpunkt an über- lebt, wo die Faustrohre in der Reiterei allgemeiner in Aufnahme kamen. Einzelne Reiter führten den Kolben gleichwohl noch lange am Sattel, und Würdenträger erschienen bis ins 17. Jahrhundert nicht ohne den Kolben in der Hand. Dieser Umstand war auch zunächst Ursache, daſs die Kunst diese Waffe mit prächtigem Zierat versah, daſs wir schön ausgestattete Kolben nicht selten antreffen. Es haben da die Italiener und vorzugsweise die Mailänder hervorragende Leistungen aufzuweisen. (Fig. 426.) In Frankreich wurde der Streitkolben im Laufe der Zeit noch mehr Bei den Orientalen scheint der Streitkolben als eine ursprüng- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0380" n="362"/><fw place="top" type="header">II. Die Angriffswaffen.</fw><lb/> Schon im 14. Jahrhundert war zuweilen der Kolben mit sogenannten<lb/><hi rendition="#g">Schlagblättern</hi>, welche radial aus dem Körper hervorragten, aus-<lb/> gestattet (quadrelle); nun bildete sich diese Art in gotischen Formen<lb/> vollends durch, und wir sehen, daſs auch der Schaft von Eisen ge-<lb/> bildet ist, was der Waffe ein bedeutendes Gewicht giebt. Diese Ver-<lb/> änderung bedeutet nichts anderes, als dem widerstandsfähigen Platten-<lb/> harnische, der zu jener Zeit aus einzelnen Teilen zusammengesetzt zu<lb/> werden pflegte, eine entsprechende Angriffswaffe entgegenzustellen. Den<lb/> Küriſsbengel führte der einzelne Adelige zu Roſs mit groſser Vorliebe,<lb/> sie erschien ihm vornehmer als die Streitaxt der Söldner, umsomehr<lb/> als es längst Sitte geworden war, daſs Befehlshaber den Streitkolben<lb/> führten und mächtige Herrscher, ja die Kaiser selbst, sich eines dem<lb/> Streitkolben ähnlichen Gegenstandes als Würdenzeichen, des Szepters,<lb/> bedienten. (Fig. 425.) Am Beginne des 16. Jahrhunderts ist unsere<lb/> Waffe allenthalben im Gebrauche und bleibt es bis etwa um 1540;<lb/> von da an wird sie seltener im Heere, sie schrumpft ein, gleich der<lb/> Helmbarte; gleich dieser hatte sie sich von dem Zeitpunkt an über-<lb/> lebt, wo die Faustrohre in der Reiterei allgemeiner in Aufnahme<lb/> kamen. Einzelne Reiter führten den Kolben gleichwohl noch lange<lb/> am Sattel, und Würdenträger erschienen bis ins 17. Jahrhundert nicht<lb/> ohne den Kolben in der Hand. Dieser Umstand war auch zunächst<lb/> Ursache, daſs die Kunst diese Waffe mit prächtigem Zierat versah,<lb/> daſs wir schön ausgestattete Kolben nicht selten antreffen. Es haben<lb/> da die Italiener und vorzugsweise die Mailänder hervorragende<lb/> Leistungen aufzuweisen. (Fig. 426.)</p><lb/> <p>In Frankreich wurde der Streitkolben im Laufe der Zeit noch mehr<lb/> als in anderen Ländern zum bloſsen Zeichen einer Würde. Zur Zeit<lb/> Heinrichs IV. führten die Thürhüter in Paris, die sogenannten<lb/> Schweizer, ebenso die Thürhüter in den Kirchen Streitkolben, mehr<lb/> als Würdezeichen wie als Waffe. Im Volke hieſsen sie „sergants mas-<lb/> siers“. Später erhielten die letzteren Helmbarten, die ersteren aber<lb/> behielten den Kolben, und aus diesem hat sich der heutige Portier-<lb/> stock herausgebildet.</p><lb/> <p>Bei den Orientalen scheint der Streitkolben als eine ursprüng-<lb/> lich tartarische Waffe schon vor dem 13. Jahrhundert in Aufnahme<lb/> gekommen zu sein; er hatte sich gegen die wohlgerüsteten Reiter<lb/> gut bewährt. Joinville berichtet in seiner Histoire de Saint Louis<lb/> an mehreren Stellen davon, daſs die Türken mit Streitkolben be-<lb/> waffnet erschienen. Die meisten türkischen Streitkolben (tschumâk,<lb/> güry, der birnförmige: topûz) sind ganz von Metall und besitzen<lb/> kugel- oder birnförmige Köpfe. (Fig. 427.) Doch finden sich auch<lb/> solche mit Schlagblättern, die aber immer dem orientalischen Stile<lb/> entsprechend contourirt sind. Von den Türken und Tartaren<lb/> nahmen sie die Ungarn auf, und auch bei den Kroaten und Böhmen<lb/> finden wir sie in orientalisierenden Formen schon im 15. Jahrhundert.<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [362/0380]
II. Die Angriffswaffen.
Schon im 14. Jahrhundert war zuweilen der Kolben mit sogenannten
Schlagblättern, welche radial aus dem Körper hervorragten, aus-
gestattet (quadrelle); nun bildete sich diese Art in gotischen Formen
vollends durch, und wir sehen, daſs auch der Schaft von Eisen ge-
bildet ist, was der Waffe ein bedeutendes Gewicht giebt. Diese Ver-
änderung bedeutet nichts anderes, als dem widerstandsfähigen Platten-
harnische, der zu jener Zeit aus einzelnen Teilen zusammengesetzt zu
werden pflegte, eine entsprechende Angriffswaffe entgegenzustellen. Den
Küriſsbengel führte der einzelne Adelige zu Roſs mit groſser Vorliebe,
sie erschien ihm vornehmer als die Streitaxt der Söldner, umsomehr
als es längst Sitte geworden war, daſs Befehlshaber den Streitkolben
führten und mächtige Herrscher, ja die Kaiser selbst, sich eines dem
Streitkolben ähnlichen Gegenstandes als Würdenzeichen, des Szepters,
bedienten. (Fig. 425.) Am Beginne des 16. Jahrhunderts ist unsere
Waffe allenthalben im Gebrauche und bleibt es bis etwa um 1540;
von da an wird sie seltener im Heere, sie schrumpft ein, gleich der
Helmbarte; gleich dieser hatte sie sich von dem Zeitpunkt an über-
lebt, wo die Faustrohre in der Reiterei allgemeiner in Aufnahme
kamen. Einzelne Reiter führten den Kolben gleichwohl noch lange
am Sattel, und Würdenträger erschienen bis ins 17. Jahrhundert nicht
ohne den Kolben in der Hand. Dieser Umstand war auch zunächst
Ursache, daſs die Kunst diese Waffe mit prächtigem Zierat versah,
daſs wir schön ausgestattete Kolben nicht selten antreffen. Es haben
da die Italiener und vorzugsweise die Mailänder hervorragende
Leistungen aufzuweisen. (Fig. 426.)
In Frankreich wurde der Streitkolben im Laufe der Zeit noch mehr
als in anderen Ländern zum bloſsen Zeichen einer Würde. Zur Zeit
Heinrichs IV. führten die Thürhüter in Paris, die sogenannten
Schweizer, ebenso die Thürhüter in den Kirchen Streitkolben, mehr
als Würdezeichen wie als Waffe. Im Volke hieſsen sie „sergants mas-
siers“. Später erhielten die letzteren Helmbarten, die ersteren aber
behielten den Kolben, und aus diesem hat sich der heutige Portier-
stock herausgebildet.
Bei den Orientalen scheint der Streitkolben als eine ursprüng-
lich tartarische Waffe schon vor dem 13. Jahrhundert in Aufnahme
gekommen zu sein; er hatte sich gegen die wohlgerüsteten Reiter
gut bewährt. Joinville berichtet in seiner Histoire de Saint Louis
an mehreren Stellen davon, daſs die Türken mit Streitkolben be-
waffnet erschienen. Die meisten türkischen Streitkolben (tschumâk,
güry, der birnförmige: topûz) sind ganz von Metall und besitzen
kugel- oder birnförmige Köpfe. (Fig. 427.) Doch finden sich auch
solche mit Schlagblättern, die aber immer dem orientalischen Stile
entsprechend contourirt sind. Von den Türken und Tartaren
nahmen sie die Ungarn auf, und auch bei den Kroaten und Böhmen
finden wir sie in orientalisierenden Formen schon im 15. Jahrhundert.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |