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Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890.

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V. Kunst und Technik im Waffenschmiedwesen.
Passauer Werkstätten mit dem Wolfszeichen begabt habe; die Nach-
richt ist aber apokryph. Dagegen ist die Angabe zuverlässig, dass
Kaiser Karl IV. dem Passauer Messerschmiede Georg Springinklee
für seine Zunft ein Wappen verliehen habe, das in einer Krone be-
stand, in deren Zinken drei blanke Schwerter stecken. In einem
gewissen Kontakte mit Passau stand die Schwertindustrie Regens-
burgs
. Im Rolandsliede wird als Verfertiger des Schwertes Rolands
(Durenda) der Schmied Madelger aus Regensburg erwähnt.*) Die
Passauer verstanden es, ihre Erzeugnisse mit abergläubischem Nimbus
zu umgeben. Mit einer Passauer Klinge konnte man sich "fest", d. i.
unverwundbar machen, wie auch die "Passauer Kunst" eine Unzahl
von Geheimmitteln in sich fasste. Der fromme Schwindel währte bis
zum westfälischen Frieden.

Bis ins 12. Jahrhundert reicht die Waffenindustrie Solingens
zurück. Nach einer Tradition soll sie durch Adolf IV. von Berg
1147, nach anderer Annahme erst 1290 gleichfalls von dahin einge-
wanderten steirischen Eisenarbeitern gegründet worden sein; ihren
raschen Aufschwung verdankt sie der gewaltigen Bewegung in den
Kreuzzügen. Im 16. Jahrhundert wendeten sich die zahlreichen
Werkstätten vorzüglich der Fabrikation von Degen und Rappieren zu,
in welcher sie heute selbst von den englischen nicht übertroffen werden.
Solinger Degenklingen des 16. und 17. Jahrhunderts haben viele
Ähnlichkeiten mit gleichzeitigen spanischen, wie denn auch erwiesen
ist, dass viele Solinger Schwertfeger zeitweise in Spanien arbeiteten.
Ein Hauptort der Waffenerzeugung war Suhl in Thüringen; die
dortige Waffenindustrie bestand schon vor 1380 und lieferte ihre
Harnische und Schwerter der Ritterschaft Deutschlands. 1563 be-
gründete der letzte Graf von Henneberg die dortige Feuerwaffen-
industrie im grossen Stile, die sich bis auf unsere Tage in grossem
Ansehen erhielt. Die Büchsenmacherfamilie Klett hat an ihrem
Ruhme nicht geringen Anteil.

Mit diesen grossen Zentren teilten aber auch viele andere
deutsche Städte den Ruhm einer ungemeinen Produktionsfähigkeit auf
dem Gebiete der Waffen. Schon im frühen Mittelalter tritt Nürnberg
in dieser Hinsicht achtunggebietend hervor. Eine der ältesten Nürn-
berger Zünfte ist die Messererzunft von 1285. Im 14. Jahrhundert,
wo die Nürnberger Werkstätten bereits für die ersten Deutschlands
galten, nimmt die Kunst hier immer mehr Einfluss auf das Hand-
werk. Indes kommt in Bezug auf die künstlerische Ausstattung die
Nürnberger Waffenindustrie erst vom Ende des 15. Jahrhunderts zu
vollem Glanze, und wir zählen von da an Meister, deren Namen für

*) Es ist bezeichnend, dass althochdeutsch madalger, mittelhochdeutsch madelger
die Kreuzwurz (Gentiana cruciata) genannt wurde, die in der nordischen Mythologie
eine nicht unbedeutende Rolle spielt. Sie erhielt ihren Namen von Madelger, dem
Vater Heimirs. (Grimm, Mythologie.)

V. Kunst und Technik im Waffenschmiedwesen.
Passauer Werkstätten mit dem Wolfszeichen begabt habe; die Nach-
richt ist aber apokryph. Dagegen ist die Angabe zuverlässig, daſs
Kaiser Karl IV. dem Passauer Messerschmiede Georg Springinklee
für seine Zunft ein Wappen verliehen habe, das in einer Krone be-
stand, in deren Zinken drei blanke Schwerter stecken. In einem
gewissen Kontakte mit Passau stand die Schwertindustrie Regens-
burgs
. Im Rolandsliede wird als Verfertiger des Schwertes Rolands
(Durenda) der Schmied Madelger aus Regensburg erwähnt.*) Die
Passauer verstanden es, ihre Erzeugnisse mit abergläubischem Nimbus
zu umgeben. Mit einer Passauer Klinge konnte man sich „fest“, d. i.
unverwundbar machen, wie auch die „Passauer Kunst“ eine Unzahl
von Geheimmitteln in sich faſste. Der fromme Schwindel währte bis
zum westfälischen Frieden.

Bis ins 12. Jahrhundert reicht die Waffenindustrie Solingens
zurück. Nach einer Tradition soll sie durch Adolf IV. von Berg
1147, nach anderer Annahme erst 1290 gleichfalls von dahin einge-
wanderten steirischen Eisenarbeitern gegründet worden sein; ihren
raschen Aufschwung verdankt sie der gewaltigen Bewegung in den
Kreuzzügen. Im 16. Jahrhundert wendeten sich die zahlreichen
Werkstätten vorzüglich der Fabrikation von Degen und Rappieren zu,
in welcher sie heute selbst von den englischen nicht übertroffen werden.
Solinger Degenklingen des 16. und 17. Jahrhunderts haben viele
Ähnlichkeiten mit gleichzeitigen spanischen, wie denn auch erwiesen
ist, daſs viele Solinger Schwertfeger zeitweise in Spanien arbeiteten.
Ein Hauptort der Waffenerzeugung war Suhl in Thüringen; die
dortige Waffenindustrie bestand schon vor 1380 und lieferte ihre
Harnische und Schwerter der Ritterschaft Deutschlands. 1563 be-
gründete der letzte Graf von Henneberg die dortige Feuerwaffen-
industrie im groſsen Stile, die sich bis auf unsere Tage in groſsem
Ansehen erhielt. Die Büchsenmacherfamilie Klett hat an ihrem
Ruhme nicht geringen Anteil.

Mit diesen groſsen Zentren teilten aber auch viele andere
deutsche Städte den Ruhm einer ungemeinen Produktionsfähigkeit auf
dem Gebiete der Waffen. Schon im frühen Mittelalter tritt Nürnberg
in dieser Hinsicht achtunggebietend hervor. Eine der ältesten Nürn-
berger Zünfte ist die Messererzunft von 1285. Im 14. Jahrhundert,
wo die Nürnberger Werkstätten bereits für die ersten Deutschlands
galten, nimmt die Kunst hier immer mehr Einfluſs auf das Hand-
werk. Indes kommt in Bezug auf die künstlerische Ausstattung die
Nürnberger Waffenindustrie erst vom Ende des 15. Jahrhunderts zu
vollem Glanze, und wir zählen von da an Meister, deren Namen für

*) Es ist bezeichnend, daſs althochdeutsch madalgêr, mittelhochdeutsch madelger
die Kreuzwurz (Gentiana cruciata) genannt wurde, die in der nordischen Mythologie
eine nicht unbedeutende Rolle spielt. Sie erhielt ihren Namen von Madelger, dem
Vater Heimirs. (Grimm, Mythologie.)
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[612/0630] V. Kunst und Technik im Waffenschmiedwesen. Passauer Werkstätten mit dem Wolfszeichen begabt habe; die Nach- richt ist aber apokryph. Dagegen ist die Angabe zuverlässig, daſs Kaiser Karl IV. dem Passauer Messerschmiede Georg Springinklee für seine Zunft ein Wappen verliehen habe, das in einer Krone be- stand, in deren Zinken drei blanke Schwerter stecken. In einem gewissen Kontakte mit Passau stand die Schwertindustrie Regens- burgs. Im Rolandsliede wird als Verfertiger des Schwertes Rolands (Durenda) der Schmied Madelger aus Regensburg erwähnt. *) Die Passauer verstanden es, ihre Erzeugnisse mit abergläubischem Nimbus zu umgeben. Mit einer Passauer Klinge konnte man sich „fest“, d. i. unverwundbar machen, wie auch die „Passauer Kunst“ eine Unzahl von Geheimmitteln in sich faſste. Der fromme Schwindel währte bis zum westfälischen Frieden. Bis ins 12. Jahrhundert reicht die Waffenindustrie Solingens zurück. Nach einer Tradition soll sie durch Adolf IV. von Berg 1147, nach anderer Annahme erst 1290 gleichfalls von dahin einge- wanderten steirischen Eisenarbeitern gegründet worden sein; ihren raschen Aufschwung verdankt sie der gewaltigen Bewegung in den Kreuzzügen. Im 16. Jahrhundert wendeten sich die zahlreichen Werkstätten vorzüglich der Fabrikation von Degen und Rappieren zu, in welcher sie heute selbst von den englischen nicht übertroffen werden. Solinger Degenklingen des 16. und 17. Jahrhunderts haben viele Ähnlichkeiten mit gleichzeitigen spanischen, wie denn auch erwiesen ist, daſs viele Solinger Schwertfeger zeitweise in Spanien arbeiteten. Ein Hauptort der Waffenerzeugung war Suhl in Thüringen; die dortige Waffenindustrie bestand schon vor 1380 und lieferte ihre Harnische und Schwerter der Ritterschaft Deutschlands. 1563 be- gründete der letzte Graf von Henneberg die dortige Feuerwaffen- industrie im groſsen Stile, die sich bis auf unsere Tage in groſsem Ansehen erhielt. Die Büchsenmacherfamilie Klett hat an ihrem Ruhme nicht geringen Anteil. Mit diesen groſsen Zentren teilten aber auch viele andere deutsche Städte den Ruhm einer ungemeinen Produktionsfähigkeit auf dem Gebiete der Waffen. Schon im frühen Mittelalter tritt Nürnberg in dieser Hinsicht achtunggebietend hervor. Eine der ältesten Nürn- berger Zünfte ist die Messererzunft von 1285. Im 14. Jahrhundert, wo die Nürnberger Werkstätten bereits für die ersten Deutschlands galten, nimmt die Kunst hier immer mehr Einfluſs auf das Hand- werk. Indes kommt in Bezug auf die künstlerische Ausstattung die Nürnberger Waffenindustrie erst vom Ende des 15. Jahrhunderts zu vollem Glanze, und wir zählen von da an Meister, deren Namen für *) Es ist bezeichnend, daſs althochdeutsch madalgêr, mittelhochdeutsch madelger die Kreuzwurz (Gentiana cruciata) genannt wurde, die in der nordischen Mythologie eine nicht unbedeutende Rolle spielt. Sie erhielt ihren Namen von Madelger, dem Vater Heimirs. (Grimm, Mythologie.)

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Zitationshilfe: Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 612. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/630>, abgerufen am 22.11.2024.