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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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Mit welchen Nöten mögen Mann und Weib der Kolosso¬
chelys, der tertiären Landschildkröte Indiens, die zwanzig Fuß
lang und acht Fuß hoch wurde, ihre Liebesfreuden vollendet
haben: bringen doch unsere kleinen griechischen Schildkröten
oft schon Stunde um Stunde in vergeblicher Bemühung hin,
ihre steinhart verpanzerten Klotzleiber, den einen flach, den
anderen dahinter aufrecht so aneinander zu schieben, daß die
Geschlechtsteile sich überhaupt erreichen können.

Und nun die Zeitgenossen des Ichthyosaurus selbst, die
fabelhaften Landdrachen und Luftdrachen vom Sauriergeschlecht.
Der Iguanodon, dessen Gerippe aus den Kohlenschachten
Belgiens wieder erstanden ist und im Museum durch zwei
Stockwerke ragt, -- ein Reptil, das aufrecht auf den Hinter¬
beinen trabte wie ein Känguruh, bei einer Länge von zehn
Metern. Diese Iguanodons hatten vielleicht schon warmes
Blut und sicher wohl brachten sie lebendige Junge zur Welt.
Ob diese wandelnden Türme sich stehend umarmt, gleichsam
aufrecht einander in den Armen gewiegt haben, wie unsere
Känguruhs das so keck zu machen wissen? Gerade bei solchem
weltvergessenen Schaukelspiel mochten sie unvorsichtig auf weichen
Sumpfboden geraten, in dem sie dann rettungslos versunken
sind wie lecke Panzerschiffe, den Gelehrten von heute zur Freude,
die ganze Reihen dieser Riesen aufrecht wie Säulen im alten,
längst zu Stein verhärteten Moor der Kreidezeit entdecken durften.

Dann der größte von allen, das größte aller Landtiere
überhaupt, das je die Erde gestampft hat: der Atlantosaurus,
den uns Othniel Marsh aus dem Juragestein der nordamerika¬
nischen Felsengebirge geschachtet hat, -- bloß hundertundfünf¬
zehn Fuß lang, mit allein zwei Meter langen Oberschenkeln.
Man muß sich den Raum vergegenwärtigen, den ein verliebtes
Paar dieser Atlantosaurier zu seiner Liebe verbrauchte, -- an¬
genommen selbst, daß das Männchen das Weibchen dabei auf
den Rücken wälzte, wie es heute unser Nilkrokodil macht.
Fast möchte man übrigens geneigt sein, diesem Atlantosaurus

Mit welchen Nöten mögen Mann und Weib der Koloſſo¬
chelys, der tertiären Landſchildkröte Indiens, die zwanzig Fuß
lang und acht Fuß hoch wurde, ihre Liebesfreuden vollendet
haben: bringen doch unſere kleinen griechiſchen Schildkröten
oft ſchon Stunde um Stunde in vergeblicher Bemühung hin,
ihre ſteinhart verpanzerten Klotzleiber, den einen flach, den
anderen dahinter aufrecht ſo aneinander zu ſchieben, daß die
Geſchlechtsteile ſich überhaupt erreichen können.

Und nun die Zeitgenoſſen des Ichthyoſaurus ſelbſt, die
fabelhaften Landdrachen und Luftdrachen vom Sauriergeſchlecht.
Der Iguanodon, deſſen Gerippe aus den Kohlenſchachten
Belgiens wieder erſtanden iſt und im Muſeum durch zwei
Stockwerke ragt, — ein Reptil, das aufrecht auf den Hinter¬
beinen trabte wie ein Känguruh, bei einer Länge von zehn
Metern. Dieſe Iguanodons hatten vielleicht ſchon warmes
Blut und ſicher wohl brachten ſie lebendige Junge zur Welt.
Ob dieſe wandelnden Türme ſich ſtehend umarmt, gleichſam
aufrecht einander in den Armen gewiegt haben, wie unſere
Känguruhs das ſo keck zu machen wiſſen? Gerade bei ſolchem
weltvergeſſenen Schaukelſpiel mochten ſie unvorſichtig auf weichen
Sumpfboden geraten, in dem ſie dann rettungslos verſunken
ſind wie lecke Panzerſchiffe, den Gelehrten von heute zur Freude,
die ganze Reihen dieſer Rieſen aufrecht wie Säulen im alten,
längſt zu Stein verhärteten Moor der Kreidezeit entdecken durften.

Dann der größte von allen, das größte aller Landtiere
überhaupt, das je die Erde geſtampft hat: der Atlantoſaurus,
den uns Othniel Marſh aus dem Jurageſtein der nordamerika¬
niſchen Felſengebirge geſchachtet hat, — bloß hundertundfünf¬
zehn Fuß lang, mit allein zwei Meter langen Oberſchenkeln.
Man muß ſich den Raum vergegenwärtigen, den ein verliebtes
Paar dieſer Atlantoſaurier zu ſeiner Liebe verbrauchte, — an¬
genommen ſelbſt, daß das Männchen das Weibchen dabei auf
den Rücken wälzte, wie es heute unſer Nilkrokodil macht.
Faſt möchte man übrigens geneigt ſein, dieſem Atlantoſaurus

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[86/0102] Mit welchen Nöten mögen Mann und Weib der Koloſſo¬ chelys, der tertiären Landſchildkröte Indiens, die zwanzig Fuß lang und acht Fuß hoch wurde, ihre Liebesfreuden vollendet haben: bringen doch unſere kleinen griechiſchen Schildkröten oft ſchon Stunde um Stunde in vergeblicher Bemühung hin, ihre ſteinhart verpanzerten Klotzleiber, den einen flach, den anderen dahinter aufrecht ſo aneinander zu ſchieben, daß die Geſchlechtsteile ſich überhaupt erreichen können. Und nun die Zeitgenoſſen des Ichthyoſaurus ſelbſt, die fabelhaften Landdrachen und Luftdrachen vom Sauriergeſchlecht. Der Iguanodon, deſſen Gerippe aus den Kohlenſchachten Belgiens wieder erſtanden iſt und im Muſeum durch zwei Stockwerke ragt, — ein Reptil, das aufrecht auf den Hinter¬ beinen trabte wie ein Känguruh, bei einer Länge von zehn Metern. Dieſe Iguanodons hatten vielleicht ſchon warmes Blut und ſicher wohl brachten ſie lebendige Junge zur Welt. Ob dieſe wandelnden Türme ſich ſtehend umarmt, gleichſam aufrecht einander in den Armen gewiegt haben, wie unſere Känguruhs das ſo keck zu machen wiſſen? Gerade bei ſolchem weltvergeſſenen Schaukelſpiel mochten ſie unvorſichtig auf weichen Sumpfboden geraten, in dem ſie dann rettungslos verſunken ſind wie lecke Panzerſchiffe, den Gelehrten von heute zur Freude, die ganze Reihen dieſer Rieſen aufrecht wie Säulen im alten, längſt zu Stein verhärteten Moor der Kreidezeit entdecken durften. Dann der größte von allen, das größte aller Landtiere überhaupt, das je die Erde geſtampft hat: der Atlantoſaurus, den uns Othniel Marſh aus dem Jurageſtein der nordamerika¬ niſchen Felſengebirge geſchachtet hat, — bloß hundertundfünf¬ zehn Fuß lang, mit allein zwei Meter langen Oberſchenkeln. Man muß ſich den Raum vergegenwärtigen, den ein verliebtes Paar dieſer Atlantoſaurier zu ſeiner Liebe verbrauchte, — an¬ genommen ſelbſt, daß das Männchen das Weibchen dabei auf den Rücken wälzte, wie es heute unſer Nilkrokodil macht. Faſt möchte man übrigens geneigt ſein, dieſem Atlantoſaurus

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/102>, abgerufen am 22.11.2024.