Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

neuer, dritter Körper, der weder das eine mehr noch das andere
ist. Wasserstoff, für unsere Durchschnittstemperatur ein Gas,
verbindet sich mit Sauerstoff, ebenfalls einem Gase -- und die
beiden Gase ergeben als Verschmelzungsprodukt das flüssige, in
jedem Betracht gänzlich andersartige Wasser.

Es giebt im gleichen Exempel der Analogieen noch mehr.
Wunderbare Regelungen beherrschen die Vereinigung von Samen
und Ei. Du kannst keinen Menschen zeugen bloß mit Samen
allein. Das vom Samen individuell Verschiedene, das Ei, ist
dazu nötig, soweit geschlechtliche Erzeugung im Reiche des Leben¬
digen herrscht. Aber die Verschiedenheit hat selber wieder ihre
scharfe Grenze.

Umsonst, daß du deine eigenen lebendigen Samentierchen
zu der liebesbereiten Eizelle eines Seeigels bringst! Wo die
Samen des Seeigels wie toll auf die Partnerin losstürzen,
bleibt der fremde Samen unthätig, er beißt gleichsam nicht an,
und keine Zeugung kommt mit ihm zu stande. Eine wirkliche
"Wahlverwandtschaft" herrscht hier, die das Liebesspiel im
Banne ganz bestimmter Gesetze ordnet. Ganz so aber die
Elementaratome. Auch hier nicht ein blindes Verbinden von
jedem mit jedem. Eigensinnigste Wahl der geeigneten Partner,
-- unter vielen ganz bestimmte, -- ein großartiges Spiel ge¬
heimer Wahlverwandtschaften.

Abermals, auch hier im Bereich der Wahlverwandtschaft,
ist die Analogie ganz gewiß nicht Identität. Der organische
Liebesprozeß, selbst auf die schlichte Form von Samenzelle und
Eizelle herabgeschraubt, macht wie alles Organische den Ein¬
druck einer unendlichen Verwickelung und Verfeinerung der Dinge,
gegen den das Spiel der Atome in keiner Weise aufkommt. Und
die Sache wird auch noch nicht ohne weiteres gleich gemacht,
wenn du von "der Atome Hassen und Lieben" sprichst.

Es läßt sich von einer gewissen logischen Gedankenfolge
gegen diesen Ausdruck ja nichts Triftiges einwenden. Ich sagte
dir: die Voraussetzungen des Lebens sinken uns allenthalben

neuer, dritter Körper, der weder das eine mehr noch das andere
iſt. Waſſerſtoff, für unſere Durchſchnittstemperatur ein Gas,
verbindet ſich mit Sauerſtoff, ebenfalls einem Gaſe — und die
beiden Gaſe ergeben als Verſchmelzungsprodukt das flüſſige, in
jedem Betracht gänzlich andersartige Waſſer.

Es giebt im gleichen Exempel der Analogieen noch mehr.
Wunderbare Regelungen beherrſchen die Vereinigung von Samen
und Ei. Du kannſt keinen Menſchen zeugen bloß mit Samen
allein. Das vom Samen individuell Verſchiedene, das Ei, iſt
dazu nötig, ſoweit geſchlechtliche Erzeugung im Reiche des Leben¬
digen herrſcht. Aber die Verſchiedenheit hat ſelber wieder ihre
ſcharfe Grenze.

Umſonſt, daß du deine eigenen lebendigen Samentierchen
zu der liebesbereiten Eizelle eines Seeigels bringſt! Wo die
Samen des Seeigels wie toll auf die Partnerin losſtürzen,
bleibt der fremde Samen unthätig, er beißt gleichſam nicht an,
und keine Zeugung kommt mit ihm zu ſtande. Eine wirkliche
„Wahlverwandtſchaft“ herrſcht hier, die das Liebesſpiel im
Banne ganz beſtimmter Geſetze ordnet. Ganz ſo aber die
Elementaratome. Auch hier nicht ein blindes Verbinden von
jedem mit jedem. Eigenſinnigſte Wahl der geeigneten Partner,
— unter vielen ganz beſtimmte, — ein großartiges Spiel ge¬
heimer Wahlverwandtſchaften.

Abermals, auch hier im Bereich der Wahlverwandtſchaft,
iſt die Analogie ganz gewiß nicht Identität. Der organiſche
Liebesprozeß, ſelbſt auf die ſchlichte Form von Samenzelle und
Eizelle herabgeſchraubt, macht wie alles Organiſche den Ein¬
druck einer unendlichen Verwickelung und Verfeinerung der Dinge,
gegen den das Spiel der Atome in keiner Weiſe aufkommt. Und
die Sache wird auch noch nicht ohne weiteres gleich gemacht,
wenn du von „der Atome Haſſen und Lieben“ ſprichſt.

Es läßt ſich von einer gewiſſen logiſchen Gedankenfolge
gegen dieſen Ausdruck ja nichts Triftiges einwenden. Ich ſagte
dir: die Vorausſetzungen des Lebens ſinken uns allenthalben

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0139" n="123"/>
neuer, dritter Körper, der weder das eine mehr noch das andere<lb/>
i&#x017F;t. Wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;toff, für un&#x017F;ere Durch&#x017F;chnittstemperatur ein Gas,<lb/>
verbindet &#x017F;ich mit Sauer&#x017F;toff, ebenfalls einem Ga&#x017F;e &#x2014; und die<lb/>
beiden Ga&#x017F;e ergeben als Ver&#x017F;chmelzungsprodukt das flü&#x017F;&#x017F;ige, in<lb/>
jedem Betracht gänzlich andersartige Wa&#x017F;&#x017F;er.</p><lb/>
        <p>Es giebt im gleichen Exempel der Analogieen noch mehr.<lb/>
Wunderbare Regelungen beherr&#x017F;chen die Vereinigung von Samen<lb/>
und Ei. Du kann&#x017F;t keinen Men&#x017F;chen zeugen bloß mit Samen<lb/>
allein. Das vom Samen individuell Ver&#x017F;chiedene, das Ei, i&#x017F;t<lb/>
dazu nötig, &#x017F;oweit ge&#x017F;chlechtliche Erzeugung im Reiche des Leben¬<lb/>
digen herr&#x017F;cht. Aber die Ver&#x017F;chiedenheit hat &#x017F;elber wieder ihre<lb/>
&#x017F;charfe Grenze.</p><lb/>
        <p>Um&#x017F;on&#x017F;t, daß du deine eigenen lebendigen Samentierchen<lb/>
zu der liebesbereiten Eizelle eines Seeigels bring&#x017F;t! Wo die<lb/>
Samen des Seeigels wie toll auf die Partnerin los&#x017F;türzen,<lb/>
bleibt der fremde Samen unthätig, er beißt gleich&#x017F;am nicht an,<lb/>
und keine Zeugung kommt mit ihm zu &#x017F;tande. Eine wirkliche<lb/>
&#x201E;Wahlverwandt&#x017F;chaft&#x201C; herr&#x017F;cht hier, die das Liebes&#x017F;piel im<lb/>
Banne ganz be&#x017F;timmter Ge&#x017F;etze ordnet. Ganz &#x017F;o aber die<lb/>
Elementaratome. Auch hier nicht ein blindes Verbinden von<lb/>
jedem mit jedem. Eigen&#x017F;innig&#x017F;te Wahl der geeigneten Partner,<lb/>
&#x2014; unter vielen ganz be&#x017F;timmte, &#x2014; ein großartiges Spiel ge¬<lb/>
heimer Wahlverwandt&#x017F;chaften.</p><lb/>
        <p>Abermals, auch hier im Bereich der Wahlverwandt&#x017F;chaft,<lb/>
i&#x017F;t die Analogie ganz gewiß nicht Identität. Der organi&#x017F;che<lb/>
Liebesprozeß, &#x017F;elb&#x017F;t auf die &#x017F;chlichte Form von Samenzelle und<lb/>
Eizelle herabge&#x017F;chraubt, macht wie alles Organi&#x017F;che den Ein¬<lb/>
druck einer unendlichen Verwickelung und Verfeinerung der Dinge,<lb/>
gegen den das Spiel der Atome in keiner Wei&#x017F;e aufkommt. Und<lb/>
die Sache wird auch noch nicht ohne weiteres gleich gemacht,<lb/>
wenn du von &#x201E;der Atome Ha&#x017F;&#x017F;en und Lieben&#x201C; &#x017F;prich&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>Es läßt &#x017F;ich von einer gewi&#x017F;&#x017F;en logi&#x017F;chen Gedankenfolge<lb/>
gegen die&#x017F;en Ausdruck ja nichts Triftiges einwenden. Ich &#x017F;agte<lb/>
dir: die Voraus&#x017F;etzungen des Lebens &#x017F;inken uns allenthalben<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[123/0139] neuer, dritter Körper, der weder das eine mehr noch das andere iſt. Waſſerſtoff, für unſere Durchſchnittstemperatur ein Gas, verbindet ſich mit Sauerſtoff, ebenfalls einem Gaſe — und die beiden Gaſe ergeben als Verſchmelzungsprodukt das flüſſige, in jedem Betracht gänzlich andersartige Waſſer. Es giebt im gleichen Exempel der Analogieen noch mehr. Wunderbare Regelungen beherrſchen die Vereinigung von Samen und Ei. Du kannſt keinen Menſchen zeugen bloß mit Samen allein. Das vom Samen individuell Verſchiedene, das Ei, iſt dazu nötig, ſoweit geſchlechtliche Erzeugung im Reiche des Leben¬ digen herrſcht. Aber die Verſchiedenheit hat ſelber wieder ihre ſcharfe Grenze. Umſonſt, daß du deine eigenen lebendigen Samentierchen zu der liebesbereiten Eizelle eines Seeigels bringſt! Wo die Samen des Seeigels wie toll auf die Partnerin losſtürzen, bleibt der fremde Samen unthätig, er beißt gleichſam nicht an, und keine Zeugung kommt mit ihm zu ſtande. Eine wirkliche „Wahlverwandtſchaft“ herrſcht hier, die das Liebesſpiel im Banne ganz beſtimmter Geſetze ordnet. Ganz ſo aber die Elementaratome. Auch hier nicht ein blindes Verbinden von jedem mit jedem. Eigenſinnigſte Wahl der geeigneten Partner, — unter vielen ganz beſtimmte, — ein großartiges Spiel ge¬ heimer Wahlverwandtſchaften. Abermals, auch hier im Bereich der Wahlverwandtſchaft, iſt die Analogie ganz gewiß nicht Identität. Der organiſche Liebesprozeß, ſelbſt auf die ſchlichte Form von Samenzelle und Eizelle herabgeſchraubt, macht wie alles Organiſche den Ein¬ druck einer unendlichen Verwickelung und Verfeinerung der Dinge, gegen den das Spiel der Atome in keiner Weiſe aufkommt. Und die Sache wird auch noch nicht ohne weiteres gleich gemacht, wenn du von „der Atome Haſſen und Lieben“ ſprichſt. Es läßt ſich von einer gewiſſen logiſchen Gedankenfolge gegen dieſen Ausdruck ja nichts Triftiges einwenden. Ich ſagte dir: die Vorausſetzungen des Lebens ſinken uns allenthalben

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/139
Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/139>, abgerufen am 23.11.2024.