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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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unter den Händen ins Anorganische hinab. Damit geht aber
eben auch die Psyche, das Seelische ins Anorganische noch
jenseits des Bazillus ein.

Wenn du von der Atome Hassen und Lieben redest, so
begehst du da nur das einfach Umgekehrte, wie wenn du bei
Samen und Eizelle von einer "Anziehung", also ursprünglich
einem rein mechanischen Begriff, sprichst. Bei Samen und Eizelle
liegt dir die seelische Auffassung mit Sinnesreiz und Empfin¬
dung an und für sich am nächsten, da du eventuell aus solcher
befruchteten Eizelle einen Menschen hervorgehen siehst, ja dich
selbst aus einer hervorgegangen weißt. Bei den chemischen
Wahlverwandtschaften ist dagegen die mechanische Anschauung,
die das Wort Anziehung nach dem Muster etwa von Schwerkraft
oder Magnetkraft ausdrückt, zunächst sicherlich die vertrautere.

Aber es kann dich thatsächlich auch keine Logik direkt ab¬
halten, die Deutungen einmal umzukehren oder wenigstens für
die Atome auch seelisch zu erweitern. Daß bei der organischen
Zeugung seelische Dinge vorgehen, ist ja auch nicht deine
direkte Beobachtung, sondern ein Schluß. Du schließt von dir
aus, -- wie denn überhaupt die Annahme fremder Seelen
außer deiner eigenen ein solcher Schluß und nicht eine Beob¬
achtung ist: du siehst und merkst mit deinen Sinnen auch von
deinen intimsten Mitmenschen streng genommen nie die Seele
selbst, sondern nur mechanische Wirkungen, die du in dieser
Reihenfolge und Art dann erst auf Grund eines Analogie¬
schlusses nach deinem eigenen Muster "beseelst". Scheinen dir
nun in ihrer Reihenfolge und Art die organischen und chemischen
Wahlverwandtschaften sich hochgradig zu entsprechen und hast
du sonst keine Skrupel, mit "Seele" über das Organische hin¬
auszugehen, so magst du ruhig auch beim Atom deinen Schluß
machen und statt Anziehung und Abstoßung Liebe und Haß sagen.

Deswegen darfst du aber doch nicht den eigentlichen In¬
halt der Vorgänge schon unmittelbar gleich setzen. Oder siehst
du nicht, daß dich, den Menschen mit seinem weltumspannenden

unter den Händen ins Anorganiſche hinab. Damit geht aber
eben auch die Pſyche, das Seeliſche ins Anorganiſche noch
jenſeits des Bazillus ein.

Wenn du von der Atome Haſſen und Lieben redeſt, ſo
begehſt du da nur das einfach Umgekehrte, wie wenn du bei
Samen und Eizelle von einer „Anziehung“, alſo urſprünglich
einem rein mechaniſchen Begriff, ſprichſt. Bei Samen und Eizelle
liegt dir die ſeeliſche Auffaſſung mit Sinnesreiz und Empfin¬
dung an und für ſich am nächſten, da du eventuell aus ſolcher
befruchteten Eizelle einen Menſchen hervorgehen ſiehſt, ja dich
ſelbſt aus einer hervorgegangen weißt. Bei den chemiſchen
Wahlverwandtſchaften iſt dagegen die mechaniſche Anſchauung,
die das Wort Anziehung nach dem Muſter etwa von Schwerkraft
oder Magnetkraft ausdrückt, zunächſt ſicherlich die vertrautere.

Aber es kann dich thatſächlich auch keine Logik direkt ab¬
halten, die Deutungen einmal umzukehren oder wenigſtens für
die Atome auch ſeeliſch zu erweitern. Daß bei der organiſchen
Zeugung ſeeliſche Dinge vorgehen, iſt ja auch nicht deine
direkte Beobachtung, ſondern ein Schluß. Du ſchließt von dir
aus, — wie denn überhaupt die Annahme fremder Seelen
außer deiner eigenen ein ſolcher Schluß und nicht eine Beob¬
achtung iſt: du ſiehſt und merkſt mit deinen Sinnen auch von
deinen intimſten Mitmenſchen ſtreng genommen nie die Seele
ſelbſt, ſondern nur mechaniſche Wirkungen, die du in dieſer
Reihenfolge und Art dann erſt auf Grund eines Analogie¬
ſchluſſes nach deinem eigenen Muſter „beſeelſt“. Scheinen dir
nun in ihrer Reihenfolge und Art die organiſchen und chemiſchen
Wahlverwandtſchaften ſich hochgradig zu entſprechen und haſt
du ſonſt keine Skrupel, mit „Seele“ über das Organiſche hin¬
auszugehen, ſo magſt du ruhig auch beim Atom deinen Schluß
machen und ſtatt Anziehung und Abſtoßung Liebe und Haß ſagen.

Deswegen darfſt du aber doch nicht den eigentlichen In¬
halt der Vorgänge ſchon unmittelbar gleich ſetzen. Oder ſiehſt
du nicht, daß dich, den Menſchen mit ſeinem weltumſpannenden

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[124/0140] unter den Händen ins Anorganiſche hinab. Damit geht aber eben auch die Pſyche, das Seeliſche ins Anorganiſche noch jenſeits des Bazillus ein. Wenn du von der Atome Haſſen und Lieben redeſt, ſo begehſt du da nur das einfach Umgekehrte, wie wenn du bei Samen und Eizelle von einer „Anziehung“, alſo urſprünglich einem rein mechaniſchen Begriff, ſprichſt. Bei Samen und Eizelle liegt dir die ſeeliſche Auffaſſung mit Sinnesreiz und Empfin¬ dung an und für ſich am nächſten, da du eventuell aus ſolcher befruchteten Eizelle einen Menſchen hervorgehen ſiehſt, ja dich ſelbſt aus einer hervorgegangen weißt. Bei den chemiſchen Wahlverwandtſchaften iſt dagegen die mechaniſche Anſchauung, die das Wort Anziehung nach dem Muſter etwa von Schwerkraft oder Magnetkraft ausdrückt, zunächſt ſicherlich die vertrautere. Aber es kann dich thatſächlich auch keine Logik direkt ab¬ halten, die Deutungen einmal umzukehren oder wenigſtens für die Atome auch ſeeliſch zu erweitern. Daß bei der organiſchen Zeugung ſeeliſche Dinge vorgehen, iſt ja auch nicht deine direkte Beobachtung, ſondern ein Schluß. Du ſchließt von dir aus, — wie denn überhaupt die Annahme fremder Seelen außer deiner eigenen ein ſolcher Schluß und nicht eine Beob¬ achtung iſt: du ſiehſt und merkſt mit deinen Sinnen auch von deinen intimſten Mitmenſchen ſtreng genommen nie die Seele ſelbſt, ſondern nur mechaniſche Wirkungen, die du in dieſer Reihenfolge und Art dann erſt auf Grund eines Analogie¬ ſchluſſes nach deinem eigenen Muſter „beſeelſt“. Scheinen dir nun in ihrer Reihenfolge und Art die organiſchen und chemiſchen Wahlverwandtſchaften ſich hochgradig zu entſprechen und haſt du ſonſt keine Skrupel, mit „Seele“ über das Organiſche hin¬ auszugehen, ſo magſt du ruhig auch beim Atom deinen Schluß machen und ſtatt Anziehung und Abſtoßung Liebe und Haß ſagen. Deswegen darfſt du aber doch nicht den eigentlichen In¬ halt der Vorgänge ſchon unmittelbar gleich ſetzen. Oder ſiehſt du nicht, daß dich, den Menſchen mit ſeinem weltumſpannenden

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/140>, abgerufen am 23.11.2024.