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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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Geistesinhalt eine geradezu ungeheure Kluft etwa vom Bazillus
trennt, trotzdem ihr beide wohl sicherlich alle beide echt seelische
Vorgänge zeigt? Welche Riesenkluft (vielleicht noch viel kolos¬
saler, wer weiß es!) kann noch wieder zwischen dem Liebesakt
zweier organischer Zellen, deren jede etwa einem Bazillus ent¬
spricht, und dem "Lieben" von ein paar Sauerstoff- und
Wasserstoffatomen beim chemischen Einigungsakt liegen!

Also zum letzten Mal: wir erwarten nicht und finden
auch nicht Identität. Wir verlangen nicht, daß der Bazillus,
diese scharf geformte Entwickelungsstufe der Natur, oder daß
die Eizelle als solche schon eingekapselt steckten im Atom. Sie
stecken so wenig darin, wie in ihnen selber der Mensch etwa
als ein dermaleinst durch Vergrößerung sichtbarer Homunkulus
steckt. Nur nach einer Basis suchen wir im Anorganischen, die
uns das als Kraft angelegt zeigt, was im Bazillus und so
weiter eine bestimmte, wahrscheinlich nur einmal so entstandene
Anpassungsform angenommen hat.

Und das, denke ich, haben dir eben die Analogieen, alle
cum grano salis angesehen, wirklich gezeigt. Es ist, als segel¬
ten auch alle Einzelstücke des Begriffes der Liebe, der Fort¬
pflanzung schon allenthalben im Anorganischen herum. Der
Bazillus und seine Nachkommen bis zum Menschen herauf haben
sie bloß, um das früher gebrauchte Bild hier noch einmal zu
wiederholen, wie in einem Brennglase gefangen.

Wir können die Urzeugung getrost hier verlassen. Auch
Aphrodite schwebt der Möglichkeit nach ins unendliche Blau
der kosmischen Gesamtentwickelung, sie wird Element, Atom,
Stern, Urstoff, -- letztes Mysterium .....

[Abbildung]

Geiſtesinhalt eine geradezu ungeheure Kluft etwa vom Bazillus
trennt, trotzdem ihr beide wohl ſicherlich alle beide echt ſeeliſche
Vorgänge zeigt? Welche Rieſenkluft (vielleicht noch viel koloſ¬
ſaler, wer weiß es!) kann noch wieder zwiſchen dem Liebesakt
zweier organiſcher Zellen, deren jede etwa einem Bazillus ent¬
ſpricht, und dem „Lieben“ von ein paar Sauerſtoff- und
Waſſerſtoffatomen beim chemiſchen Einigungsakt liegen!

Alſo zum letzten Mal: wir erwarten nicht und finden
auch nicht Identität. Wir verlangen nicht, daß der Bazillus,
dieſe ſcharf geformte Entwickelungsſtufe der Natur, oder daß
die Eizelle als ſolche ſchon eingekapſelt ſteckten im Atom. Sie
ſtecken ſo wenig darin, wie in ihnen ſelber der Menſch etwa
als ein dermaleinſt durch Vergrößerung ſichtbarer Homunkulus
ſteckt. Nur nach einer Baſis ſuchen wir im Anorganiſchen, die
uns das als Kraft angelegt zeigt, was im Bazillus und ſo
weiter eine beſtimmte, wahrſcheinlich nur einmal ſo entſtandene
Anpaſſungsform angenommen hat.

Und das, denke ich, haben dir eben die Analogieen, alle
cum grano salis angeſehen, wirklich gezeigt. Es iſt, als ſegel¬
ten auch alle Einzelſtücke des Begriffes der Liebe, der Fort¬
pflanzung ſchon allenthalben im Anorganiſchen herum. Der
Bazillus und ſeine Nachkommen bis zum Menſchen herauf haben
ſie bloß, um das früher gebrauchte Bild hier noch einmal zu
wiederholen, wie in einem Brennglaſe gefangen.

Wir können die Urzeugung getroſt hier verlaſſen. Auch
Aphrodite ſchwebt der Möglichkeit nach ins unendliche Blau
der kosmiſchen Geſamtentwickelung, ſie wird Element, Atom,
Stern, Urſtoff, — letztes Myſterium .....

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[125/0141] Geiſtesinhalt eine geradezu ungeheure Kluft etwa vom Bazillus trennt, trotzdem ihr beide wohl ſicherlich alle beide echt ſeeliſche Vorgänge zeigt? Welche Rieſenkluft (vielleicht noch viel koloſ¬ ſaler, wer weiß es!) kann noch wieder zwiſchen dem Liebesakt zweier organiſcher Zellen, deren jede etwa einem Bazillus ent¬ ſpricht, und dem „Lieben“ von ein paar Sauerſtoff- und Waſſerſtoffatomen beim chemiſchen Einigungsakt liegen! Alſo zum letzten Mal: wir erwarten nicht und finden auch nicht Identität. Wir verlangen nicht, daß der Bazillus, dieſe ſcharf geformte Entwickelungsſtufe der Natur, oder daß die Eizelle als ſolche ſchon eingekapſelt ſteckten im Atom. Sie ſtecken ſo wenig darin, wie in ihnen ſelber der Menſch etwa als ein dermaleinſt durch Vergrößerung ſichtbarer Homunkulus ſteckt. Nur nach einer Baſis ſuchen wir im Anorganiſchen, die uns das als Kraft angelegt zeigt, was im Bazillus und ſo weiter eine beſtimmte, wahrſcheinlich nur einmal ſo entſtandene Anpaſſungsform angenommen hat. Und das, denke ich, haben dir eben die Analogieen, alle cum grano salis angeſehen, wirklich gezeigt. Es iſt, als ſegel¬ ten auch alle Einzelſtücke des Begriffes der Liebe, der Fort¬ pflanzung ſchon allenthalben im Anorganiſchen herum. Der Bazillus und ſeine Nachkommen bis zum Menſchen herauf haben ſie bloß, um das früher gebrauchte Bild hier noch einmal zu wiederholen, wie in einem Brennglaſe gefangen. Wir können die Urzeugung getroſt hier verlaſſen. Auch Aphrodite ſchwebt der Möglichkeit nach ins unendliche Blau der kosmiſchen Geſamtentwickelung, ſie wird Element, Atom, Stern, Urſtoff, — letztes Myſterium ..... [Abbildung]

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/141>, abgerufen am 23.11.2024.