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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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eins geworden. Eine große Seligkeit durchdringt sie: die
Seligkeit der großen Sättigung. Sie haben sich ja thatsächlich
"gefressen" wie die zwei Löwen, und nicht einmal die Schwänze
sind übrig geblieben. Aber keiner hat bei diesem Fressen
Todesschmerz gefühlt, Leben ging restlos in Leben auf. Und
zugleich jetzt pulst in dem neu entstandenen Doppelkörper eine
doppelte Kraft gegenüber jedem einzelnen früheren. Jetzt wird
Auswachsen zur Vollgröße ein Spiel. Bald ist's erreicht --
und dann giebt's wieder Selbstzerreißung, Kinderkriegen, Fort¬
pflanzung des Zwergenvolkes ins Unendliche -- Juchhe!

Etwas besondere Zwergenveranlagung gehörte freilich dazu,
daß solcher Salto mortale von Leben in Leben glückte. Aber
verpfropfst du als Mensch nicht auch Pflanzenreiser von einer
Pflanze auf die andere, auf daß sie dort lebendig einwachsen, --
pumpt dir der Arzt nicht bei der sogenannten Transfusion
lebendiges fremdes Blut in die Adern, -- wird dir nicht bei
der medizinischen Praxis der Dermoplastik zur Deckung ent¬
blößter Wundstellen einfach ein Stück Haut "lebendig" ver¬
pflanzt? Denken kannst du dir es also immerhin einmal im
Zwergenland.

Nachdem die Sache sich durch natürliche Gleichheit der
Gelegenheit einmal so und so oft wiederholt, verbreitete sich
allmählich die Tradition bei all den Zwergen, die für Viel¬
teilerei Neigung hatten, und das Verschmelzen mit Genossen im
Falle allzugroßer eigener Winzigkeit wurde hier ein fester
Brauch, ebenso wie es allgemein das Kinderkriegen durch
Teilung selbst war. Nur eins lernte man noch hinzu, und
das war allerdings äußerst wichtig.

Unsere Zwerglein hatten, wie ich dir sagte, von Beginn
an als Einsiedler gelebt. Sie hatten sich so wenig um Brüder
wie um Fremde gekümmert. Jetzt aber, seit die Verschmelzerei
wenigstens für die allzukleinen eine Lebensfrage wurde, wurde
ihnen gleichsam vom Leben selber auch eingebläut, daß ein
Unterschied bestehe zwischen engen Verwandten und Fremden.

eins geworden. Eine große Seligkeit durchdringt ſie: die
Seligkeit der großen Sättigung. Sie haben ſich ja thatſächlich
„gefreſſen“ wie die zwei Löwen, und nicht einmal die Schwänze
ſind übrig geblieben. Aber keiner hat bei dieſem Freſſen
Todesſchmerz gefühlt, Leben ging reſtlos in Leben auf. Und
zugleich jetzt pulſt in dem neu entſtandenen Doppelkörper eine
doppelte Kraft gegenüber jedem einzelnen früheren. Jetzt wird
Auswachſen zur Vollgröße ein Spiel. Bald iſt's erreicht —
und dann giebt's wieder Selbſtzerreißung, Kinderkriegen, Fort¬
pflanzung des Zwergenvolkes ins Unendliche — Juchhe!

Etwas beſondere Zwergenveranlagung gehörte freilich dazu,
daß ſolcher Salto mortale von Leben in Leben glückte. Aber
verpfropfſt du als Menſch nicht auch Pflanzenreiſer von einer
Pflanze auf die andere, auf daß ſie dort lebendig einwachſen, —
pumpt dir der Arzt nicht bei der ſogenannten Transfuſion
lebendiges fremdes Blut in die Adern, — wird dir nicht bei
der mediziniſchen Praxis der Dermoplaſtik zur Deckung ent¬
blößter Wundſtellen einfach ein Stück Haut „lebendig“ ver¬
pflanzt? Denken kannſt du dir es alſo immerhin einmal im
Zwergenland.

Nachdem die Sache ſich durch natürliche Gleichheit der
Gelegenheit einmal ſo und ſo oft wiederholt, verbreitete ſich
allmählich die Tradition bei all den Zwergen, die für Viel¬
teilerei Neigung hatten, und das Verſchmelzen mit Genoſſen im
Falle allzugroßer eigener Winzigkeit wurde hier ein feſter
Brauch, ebenſo wie es allgemein das Kinderkriegen durch
Teilung ſelbſt war. Nur eins lernte man noch hinzu, und
das war allerdings äußerſt wichtig.

Unſere Zwerglein hatten, wie ich dir ſagte, von Beginn
an als Einſiedler gelebt. Sie hatten ſich ſo wenig um Brüder
wie um Fremde gekümmert. Jetzt aber, ſeit die Verſchmelzerei
wenigſtens für die allzukleinen eine Lebensfrage wurde, wurde
ihnen gleichſam vom Leben ſelber auch eingebläut, daß ein
Unterſchied beſtehe zwiſchen engen Verwandten und Fremden.

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[134/0150] eins geworden. Eine große Seligkeit durchdringt ſie: die Seligkeit der großen Sättigung. Sie haben ſich ja thatſächlich „gefreſſen“ wie die zwei Löwen, und nicht einmal die Schwänze ſind übrig geblieben. Aber keiner hat bei dieſem Freſſen Todesſchmerz gefühlt, Leben ging reſtlos in Leben auf. Und zugleich jetzt pulſt in dem neu entſtandenen Doppelkörper eine doppelte Kraft gegenüber jedem einzelnen früheren. Jetzt wird Auswachſen zur Vollgröße ein Spiel. Bald iſt's erreicht — und dann giebt's wieder Selbſtzerreißung, Kinderkriegen, Fort¬ pflanzung des Zwergenvolkes ins Unendliche — Juchhe! Etwas beſondere Zwergenveranlagung gehörte freilich dazu, daß ſolcher Salto mortale von Leben in Leben glückte. Aber verpfropfſt du als Menſch nicht auch Pflanzenreiſer von einer Pflanze auf die andere, auf daß ſie dort lebendig einwachſen, — pumpt dir der Arzt nicht bei der ſogenannten Transfuſion lebendiges fremdes Blut in die Adern, — wird dir nicht bei der mediziniſchen Praxis der Dermoplaſtik zur Deckung ent¬ blößter Wundſtellen einfach ein Stück Haut „lebendig“ ver¬ pflanzt? Denken kannſt du dir es alſo immerhin einmal im Zwergenland. Nachdem die Sache ſich durch natürliche Gleichheit der Gelegenheit einmal ſo und ſo oft wiederholt, verbreitete ſich allmählich die Tradition bei all den Zwergen, die für Viel¬ teilerei Neigung hatten, und das Verſchmelzen mit Genoſſen im Falle allzugroßer eigener Winzigkeit wurde hier ein feſter Brauch, ebenſo wie es allgemein das Kinderkriegen durch Teilung ſelbſt war. Nur eins lernte man noch hinzu, und das war allerdings äußerſt wichtig. Unſere Zwerglein hatten, wie ich dir ſagte, von Beginn an als Einſiedler gelebt. Sie hatten ſich ſo wenig um Brüder wie um Fremde gekümmert. Jetzt aber, ſeit die Verſchmelzerei wenigſtens für die allzukleinen eine Lebensfrage wurde, wurde ihnen gleichſam vom Leben ſelber auch eingebläut, daß ein Unterſchied beſtehe zwiſchen engen Verwandten und Fremden.

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/150>, abgerufen am 21.11.2024.