Im allgemeinen stoben ja die jungen Zwerglein aus demselben Nest alsbald völlig auseinander, ohne sich anzusehen. Aber seit das Verschmelzen Mode war, kam es doch ganz naturgemäß oft genug vor, daß gerade zwei Brüder sich noch einmal im kritischen Moment begegneten und wieder miteinander zusammen¬ wuchsen. Ziemlich regelmäßig stellte sich dann aber nach und nach heraus, daß solches Zusammenwachsen mit einem eigenen Bruder weniger günstige Chancen bot, als das Zusammenwachsen mit einem ganz fremden Gesellen, der gerade des Weges kam.
Denke dir das am simpelsten Beispiel. Also etwa: ein alter Zwerg, der zur Selbstteilung schritt, hatte Zahnschmerzen. Alle seine Sprößlinge, als Teile von ihm, kriegten natürlich auch Zahnschmerzen mit. Nun kam die Verschmelzung bei diesen Sprößlingen. Verschmolz Bruder mit Bruder, so kam Zahnschmerz wieder zu Zahnschmerz. Das Prinzip, "in der Familie zu bleiben", hieß zugleich "in allen Erbübeln der Familie bleiben". Niemals kam eine solche Sippe, die immer unter sich blieb, auf diesem Wege aus den Zahnschmerzen heraus, im Gegenteil.
Umgekehrt aber: ein solcher Zahnschmerzsprößling verwuchs mit einem gerade daher kommenden fremden Kerlchen, das keine Zahnschmerzen hatte. Alles Kranke in ihm wurde gleich¬ sam verdünnt durch den Zuwachs neuer Gesundheit. Und wenn das durch immer neue Generationen in derselben Weise weiter ging, so wurde durch die ewige Auffrischung mit ge¬ sundem Blut das Tröpfchen Krankheit immer homöopathischer, wie ein Tropfen Kognak, zu dem du nach und nach ein Welt¬ meer reinen Wassers zugießest, -- bis es endlich in der Wirkung geradezu verschwand. Ein solcher Vorteil ersten Ranges: daß das Verschmelzen mit einem zweiten Zwerge nicht bloß stärker im Sinne einfachen Massenzuwachses, sondern auch noch unter Umständen viel gesunder im Sinne einer Blutauffrischung machte: er konnte auf die Dauer nicht vernachlässigt werden. Zu der einfachen Sitte des Verschmelzens überhaupt trat die andere,
Im allgemeinen ſtoben ja die jungen Zwerglein aus demſelben Neſt alsbald völlig auseinander, ohne ſich anzuſehen. Aber ſeit das Verſchmelzen Mode war, kam es doch ganz naturgemäß oft genug vor, daß gerade zwei Brüder ſich noch einmal im kritiſchen Moment begegneten und wieder miteinander zuſammen¬ wuchſen. Ziemlich regelmäßig ſtellte ſich dann aber nach und nach heraus, daß ſolches Zuſammenwachſen mit einem eigenen Bruder weniger günſtige Chancen bot, als das Zuſammenwachſen mit einem ganz fremden Geſellen, der gerade des Weges kam.
Denke dir das am ſimpelſten Beiſpiel. Alſo etwa: ein alter Zwerg, der zur Selbſtteilung ſchritt, hatte Zahnſchmerzen. Alle ſeine Sprößlinge, als Teile von ihm, kriegten natürlich auch Zahnſchmerzen mit. Nun kam die Verſchmelzung bei dieſen Sprößlingen. Verſchmolz Bruder mit Bruder, ſo kam Zahnſchmerz wieder zu Zahnſchmerz. Das Prinzip, „in der Familie zu bleiben“, hieß zugleich „in allen Erbübeln der Familie bleiben“. Niemals kam eine ſolche Sippe, die immer unter ſich blieb, auf dieſem Wege aus den Zahnſchmerzen heraus, im Gegenteil.
Umgekehrt aber: ein ſolcher Zahnſchmerzſprößling verwuchs mit einem gerade daher kommenden fremden Kerlchen, das keine Zahnſchmerzen hatte. Alles Kranke in ihm wurde gleich¬ ſam verdünnt durch den Zuwachs neuer Geſundheit. Und wenn das durch immer neue Generationen in derſelben Weiſe weiter ging, ſo wurde durch die ewige Auffriſchung mit ge¬ ſundem Blut das Tröpfchen Krankheit immer homöopathiſcher, wie ein Tropfen Kognak, zu dem du nach und nach ein Welt¬ meer reinen Waſſers zugießeſt, — bis es endlich in der Wirkung geradezu verſchwand. Ein ſolcher Vorteil erſten Ranges: daß das Verſchmelzen mit einem zweiten Zwerge nicht bloß ſtärker im Sinne einfachen Maſſenzuwachſes, ſondern auch noch unter Umſtänden viel geſunder im Sinne einer Blutauffriſchung machte: er konnte auf die Dauer nicht vernachläſſigt werden. Zu der einfachen Sitte des Verſchmelzens überhaupt trat die andere,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0151"n="135"/>
Im allgemeinen ſtoben ja die jungen Zwerglein aus demſelben<lb/>
Neſt alsbald völlig auseinander, ohne ſich anzuſehen. Aber<lb/>ſeit das Verſchmelzen Mode war, kam es doch ganz naturgemäß<lb/>
oft genug vor, daß gerade zwei Brüder ſich noch einmal im<lb/>
kritiſchen Moment begegneten und wieder miteinander zuſammen¬<lb/>
wuchſen. Ziemlich regelmäßig ſtellte ſich dann aber nach und nach<lb/>
heraus, daß ſolches Zuſammenwachſen mit einem eigenen Bruder<lb/>
weniger günſtige Chancen bot, als das Zuſammenwachſen mit<lb/>
einem ganz fremden Geſellen, der gerade des Weges kam.</p><lb/><p>Denke dir das am ſimpelſten Beiſpiel. Alſo etwa: ein<lb/>
alter Zwerg, der zur Selbſtteilung ſchritt, hatte Zahnſchmerzen.<lb/>
Alle ſeine Sprößlinge, als Teile von ihm, kriegten natürlich<lb/>
auch Zahnſchmerzen mit. Nun kam die Verſchmelzung bei<lb/>
dieſen Sprößlingen. Verſchmolz Bruder mit Bruder, ſo kam<lb/>
Zahnſchmerz wieder zu Zahnſchmerz. Das Prinzip, „in der<lb/>
Familie zu bleiben“, hieß zugleich „in allen Erbübeln der<lb/>
Familie bleiben“. Niemals kam eine ſolche Sippe, die immer<lb/>
unter ſich blieb, auf dieſem Wege aus den Zahnſchmerzen<lb/>
heraus, im Gegenteil.</p><lb/><p>Umgekehrt aber: ein ſolcher Zahnſchmerzſprößling verwuchs<lb/>
mit einem gerade daher kommenden fremden Kerlchen, das<lb/>
keine Zahnſchmerzen hatte. Alles Kranke in ihm wurde gleich¬<lb/>ſam verdünnt durch den Zuwachs neuer Geſundheit. Und<lb/>
wenn das durch immer neue Generationen in derſelben Weiſe<lb/>
weiter ging, ſo wurde durch die ewige Auffriſchung mit ge¬<lb/>ſundem Blut das Tröpfchen Krankheit immer homöopathiſcher,<lb/>
wie ein Tropfen Kognak, zu dem du nach und nach ein Welt¬<lb/>
meer reinen Waſſers zugießeſt, — bis es endlich in der Wirkung<lb/>
geradezu verſchwand. Ein ſolcher Vorteil erſten Ranges: daß<lb/>
das Verſchmelzen mit einem zweiten Zwerge nicht bloß ſtärker<lb/>
im Sinne einfachen Maſſenzuwachſes, ſondern auch noch unter<lb/>
Umſtänden viel geſunder im Sinne einer Blutauffriſchung machte:<lb/>
er konnte auf die Dauer nicht vernachläſſigt werden. Zu der<lb/>
einfachen Sitte des Verſchmelzens überhaupt trat die andere,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[135/0151]
Im allgemeinen ſtoben ja die jungen Zwerglein aus demſelben
Neſt alsbald völlig auseinander, ohne ſich anzuſehen. Aber
ſeit das Verſchmelzen Mode war, kam es doch ganz naturgemäß
oft genug vor, daß gerade zwei Brüder ſich noch einmal im
kritiſchen Moment begegneten und wieder miteinander zuſammen¬
wuchſen. Ziemlich regelmäßig ſtellte ſich dann aber nach und nach
heraus, daß ſolches Zuſammenwachſen mit einem eigenen Bruder
weniger günſtige Chancen bot, als das Zuſammenwachſen mit
einem ganz fremden Geſellen, der gerade des Weges kam.
Denke dir das am ſimpelſten Beiſpiel. Alſo etwa: ein
alter Zwerg, der zur Selbſtteilung ſchritt, hatte Zahnſchmerzen.
Alle ſeine Sprößlinge, als Teile von ihm, kriegten natürlich
auch Zahnſchmerzen mit. Nun kam die Verſchmelzung bei
dieſen Sprößlingen. Verſchmolz Bruder mit Bruder, ſo kam
Zahnſchmerz wieder zu Zahnſchmerz. Das Prinzip, „in der
Familie zu bleiben“, hieß zugleich „in allen Erbübeln der
Familie bleiben“. Niemals kam eine ſolche Sippe, die immer
unter ſich blieb, auf dieſem Wege aus den Zahnſchmerzen
heraus, im Gegenteil.
Umgekehrt aber: ein ſolcher Zahnſchmerzſprößling verwuchs
mit einem gerade daher kommenden fremden Kerlchen, das
keine Zahnſchmerzen hatte. Alles Kranke in ihm wurde gleich¬
ſam verdünnt durch den Zuwachs neuer Geſundheit. Und
wenn das durch immer neue Generationen in derſelben Weiſe
weiter ging, ſo wurde durch die ewige Auffriſchung mit ge¬
ſundem Blut das Tröpfchen Krankheit immer homöopathiſcher,
wie ein Tropfen Kognak, zu dem du nach und nach ein Welt¬
meer reinen Waſſers zugießeſt, — bis es endlich in der Wirkung
geradezu verſchwand. Ein ſolcher Vorteil erſten Ranges: daß
das Verſchmelzen mit einem zweiten Zwerge nicht bloß ſtärker
im Sinne einfachen Maſſenzuwachſes, ſondern auch noch unter
Umſtänden viel geſunder im Sinne einer Blutauffriſchung machte:
er konnte auf die Dauer nicht vernachläſſigt werden. Zu der
einfachen Sitte des Verſchmelzens überhaupt trat die andere,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/151>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.