daß du nicht ein Mensch bist, der im Bandwurmsinne "seinen Beruf verfehlt" hat, sondern du sollst normal sein und ihn haben.
Du hast auch dann noch die Wahl zwischen dem sogenannten bewaffneten Bandwurm, der durchschnittlich nicht über dreiein¬ halb Meter lang wird, dem unbewaffneten, der es auf acht Meter bringt, und dem breiten, der bis an die neune kommt. Alle dreie haben ihr Liebesleben, nur mit gewissen Varianten. Entschlage dich auf einen Moment ganz des Begriffes der Un¬ schönheit, der Widerlichkeit. Schließlich ist doch dein eigener Körper in seinen intimen Lebensprozessen nichts Unappetitliches.
Wie die Wurst, die sich selbst verschlingt, mußt du in diesen Körper dich aber einmal hineindenken. In deinen Darm und in diesen Darm, während er verdaut. Du stellst dir, wie wir es früher mit der Gebärmutter gemacht haben, das Ganze am besten ins Ungeheuerliche vergrößert vor und läßt es vom blauen Schein elektrischen Lichtes durchströmt sein ...
Schlage die Augen auf. Du wandelst in einer riesigen Galerie, in der es von intensiver Arbeit strotzt. Eine chemische Fabrik größten Stiles umgibt dich. Laboratorien, wo Stoffe verwandelt werden, wo es rauscht und dröhnt und sich ergießt, sich formt und verschiebt. Pumpwerke, wo kostbare Flüssig¬ keiten aufgesaugt, fortgeleitet, in den ungeheuren strömenden Kreislauf anderer Maschinenbetriebe übergeleitet werden. Aus einer weiten Halle (dem Magen) kommen die betreffenden Chemikalien, schon zum Betriebe mehr oder minder verarbeitet, stoßweise wie durch einen Etagenaufzug herab. Alsbald faßt sie das große Werk mit seinen Retorten und Pumpen, sondert, wandelt und leitet sie. Ein Rest wird als unbrauchbar ab¬ geschieden und in einen tiefsten Schacht wüst hinabgespült. Das übrige aber wird so lange destilliert und umgeformt, bis es als reinster Extrakt durch zahlreiche, äußerst kunstvolle Saugapparate in eine Art Oberleitung des ganzen Betriebes eingeführt ist, in deren weitverzweigtem Rührensystem eine prachtvolle rote Flüssigkeit nach festem Rhythmus zirkuliert.
daß du nicht ein Menſch biſt, der im Bandwurmſinne „ſeinen Beruf verfehlt“ hat, ſondern du ſollſt normal ſein und ihn haben.
Du haſt auch dann noch die Wahl zwiſchen dem ſogenannten bewaffneten Bandwurm, der durchſchnittlich nicht über dreiein¬ halb Meter lang wird, dem unbewaffneten, der es auf acht Meter bringt, und dem breiten, der bis an die neune kommt. Alle dreie haben ihr Liebesleben, nur mit gewiſſen Varianten. Entſchlage dich auf einen Moment ganz des Begriffes der Un¬ ſchönheit, der Widerlichkeit. Schließlich iſt doch dein eigener Körper in ſeinen intimen Lebensprozeſſen nichts Unappetitliches.
Wie die Wurſt, die ſich ſelbſt verſchlingt, mußt du in dieſen Körper dich aber einmal hineindenken. In deinen Darm und in dieſen Darm, während er verdaut. Du ſtellſt dir, wie wir es früher mit der Gebärmutter gemacht haben, das Ganze am beſten ins Ungeheuerliche vergrößert vor und läßt es vom blauen Schein elektriſchen Lichtes durchſtrömt ſein ...
Schlage die Augen auf. Du wandelſt in einer rieſigen Galerie, in der es von intenſiver Arbeit ſtrotzt. Eine chemiſche Fabrik größten Stiles umgibt dich. Laboratorien, wo Stoffe verwandelt werden, wo es rauſcht und dröhnt und ſich ergießt, ſich formt und verſchiebt. Pumpwerke, wo koſtbare Flüſſig¬ keiten aufgeſaugt, fortgeleitet, in den ungeheuren ſtrömenden Kreislauf anderer Maſchinenbetriebe übergeleitet werden. Aus einer weiten Halle (dem Magen) kommen die betreffenden Chemikalien, ſchon zum Betriebe mehr oder minder verarbeitet, ſtoßweiſe wie durch einen Etagenaufzug herab. Alsbald faßt ſie das große Werk mit ſeinen Retorten und Pumpen, ſondert, wandelt und leitet ſie. Ein Reſt wird als unbrauchbar ab¬ geſchieden und in einen tiefſten Schacht wüſt hinabgeſpült. Das übrige aber wird ſo lange deſtilliert und umgeformt, bis es als reinſter Extrakt durch zahlreiche, äußerſt kunſtvolle Saugapparate in eine Art Oberleitung des ganzen Betriebes eingeführt iſt, in deren weitverzweigtem Rührenſyſtem eine prachtvolle rote Flüſſigkeit nach feſtem Rhythmus zirkuliert.
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daß du nicht ein Menſch biſt, der im Bandwurmſinne „ſeinen
Beruf verfehlt“ hat, ſondern du ſollſt normal ſein und ihn haben.
Du haſt auch dann noch die Wahl zwiſchen dem ſogenannten
bewaffneten Bandwurm, der durchſchnittlich nicht über dreiein¬
halb Meter lang wird, dem unbewaffneten, der es auf acht
Meter bringt, und dem breiten, der bis an die neune kommt.
Alle dreie haben ihr Liebesleben, nur mit gewiſſen Varianten.
Entſchlage dich auf einen Moment ganz des Begriffes der Un¬
ſchönheit, der Widerlichkeit. Schließlich iſt doch dein eigener
Körper in ſeinen intimen Lebensprozeſſen nichts Unappetitliches.
Wie die Wurſt, die ſich ſelbſt verſchlingt, mußt du in
dieſen Körper dich aber einmal hineindenken. In deinen Darm
und in dieſen Darm, während er verdaut. Du ſtellſt dir, wie
wir es früher mit der Gebärmutter gemacht haben, das Ganze
am beſten ins Ungeheuerliche vergrößert vor und läßt es vom
blauen Schein elektriſchen Lichtes durchſtrömt ſein ...
Schlage die Augen auf. Du wandelſt in einer rieſigen
Galerie, in der es von intenſiver Arbeit ſtrotzt. Eine chemiſche
Fabrik größten Stiles umgibt dich. Laboratorien, wo Stoffe
verwandelt werden, wo es rauſcht und dröhnt und ſich ergießt,
ſich formt und verſchiebt. Pumpwerke, wo koſtbare Flüſſig¬
keiten aufgeſaugt, fortgeleitet, in den ungeheuren ſtrömenden
Kreislauf anderer Maſchinenbetriebe übergeleitet werden. Aus
einer weiten Halle (dem Magen) kommen die betreffenden
Chemikalien, ſchon zum Betriebe mehr oder minder verarbeitet,
ſtoßweiſe wie durch einen Etagenaufzug herab. Alsbald faßt
ſie das große Werk mit ſeinen Retorten und Pumpen, ſondert,
wandelt und leitet ſie. Ein Reſt wird als unbrauchbar ab¬
geſchieden und in einen tiefſten Schacht wüſt hinabgeſpült.
Das übrige aber wird ſo lange deſtilliert und umgeformt, bis
es als reinſter Extrakt durch zahlreiche, äußerſt kunſtvolle
Saugapparate in eine Art Oberleitung des ganzen Betriebes
eingeführt iſt, in deren weitverzweigtem Rührenſyſtem eine
prachtvolle rote Flüſſigkeit nach feſtem Rhythmus zirkuliert.
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/248>, abgerufen am 24.11.2024.
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