Diese Flüssigkeit ist dein Blut. Durch die chemische und mechanische Arbeit im Laboratorium des Darmes wird die schon im Mund und Magen wie auf Vorstationen zurecht ge¬ machte und zugeleitete Nahrung in reinen Nährextrakt um¬ destilliert. Dieser Extrakt wird dann in den Blutkreislauf ein¬ geführt, womit seine eigentliche Bestimmung als Heizmittel und Betriebskraft eines noch viel umfassenderen Maschinen¬ systems, als es der Darm selber darstellt, erfüllt ist. Das Wunderbarste ist, wie dieser ganze komplizierte Fabrikbetrieb anscheinend rein automatisch funktioniert: er bedarf nicht einmal des Lichtes, im tiefen Dunkel arbeiten seine Retorten, saugen seine Pumpen, lösen, scheiden, reinigen sich die Stoffe, bis das rohe Chaos geläutert im roten Strom von dannen fließt. Ein Schauer des Erhabenen ohne gleichen müßte den Besucher überkommen, der durch das alles wandelte wie ein Mensch durch ein wirkliches Laboratorium, eine prachtvoll organisierte Fabrik, in der alle Automatenideale der Zukunft erfüllt wären.
Nun aber: in dieses Prachtgetriebe hinein hat sich für unsern Fall jetzt der Bandwurm eingeschmuggelt.
Der große Betrieb in der Halle da, mit seiner kolossalen Umwandlungsarbeit für die Nährzwecke einer großartigen Maschinenanlage, ist ihm vollständig gleichgültig. Er befindet sich in der Lage eines kleinen Fabrikanten, dem es gelungen ist, durch raffinierteste Freibeuterei in unbewachter Stunde seine eigene winzige Maschine mit ihren Privatzwecken an einen großen Motor so anzuschließen, daß ihm einfach Kraft von drüben zufließt, ohne daß er selber zu heizen und durch kost¬ bare Werke Kraft zu erzeugen braucht; ein Recht hat er nicht, aber die Gelegenheit gab sich: so macht er's einfach und lacht sich dazu ins Fäustchen. Ganz so der Bandwurm in deinem Darm.
Als Tier von einer gewissen Höhe der Entwickelung, als "Wurm", hat er seinen eigenen Leibesmechanismus. Auch er braucht zur Lebens-Heizung gewisse Nährstoffe, die von Rechts¬ wegen in ihm selber durch einen Mund aufgenommen und
Dieſe Flüſſigkeit iſt dein Blut. Durch die chemiſche und mechaniſche Arbeit im Laboratorium des Darmes wird die ſchon im Mund und Magen wie auf Vorſtationen zurecht ge¬ machte und zugeleitete Nahrung in reinen Nährextrakt um¬ deſtilliert. Dieſer Extrakt wird dann in den Blutkreislauf ein¬ geführt, womit ſeine eigentliche Beſtimmung als Heizmittel und Betriebskraft eines noch viel umfaſſenderen Maſchinen¬ ſyſtems, als es der Darm ſelber darſtellt, erfüllt iſt. Das Wunderbarſte iſt, wie dieſer ganze komplizierte Fabrikbetrieb anſcheinend rein automatiſch funktioniert: er bedarf nicht einmal des Lichtes, im tiefen Dunkel arbeiten ſeine Retorten, ſaugen ſeine Pumpen, löſen, ſcheiden, reinigen ſich die Stoffe, bis das rohe Chaos geläutert im roten Strom von dannen fließt. Ein Schauer des Erhabenen ohne gleichen müßte den Beſucher überkommen, der durch das alles wandelte wie ein Menſch durch ein wirkliches Laboratorium, eine prachtvoll organiſierte Fabrik, in der alle Automatenideale der Zukunft erfüllt wären.
Nun aber: in dieſes Prachtgetriebe hinein hat ſich für unſern Fall jetzt der Bandwurm eingeſchmuggelt.
Der große Betrieb in der Halle da, mit ſeiner koloſſalen Umwandlungsarbeit für die Nährzwecke einer großartigen Maſchinenanlage, iſt ihm vollſtändig gleichgültig. Er befindet ſich in der Lage eines kleinen Fabrikanten, dem es gelungen iſt, durch raffinierteſte Freibeuterei in unbewachter Stunde ſeine eigene winzige Maſchine mit ihren Privatzwecken an einen großen Motor ſo anzuſchließen, daß ihm einfach Kraft von drüben zufließt, ohne daß er ſelber zu heizen und durch koſt¬ bare Werke Kraft zu erzeugen braucht; ein Recht hat er nicht, aber die Gelegenheit gab ſich: ſo macht er's einfach und lacht ſich dazu ins Fäuſtchen. Ganz ſo der Bandwurm in deinem Darm.
Als Tier von einer gewiſſen Höhe der Entwickelung, als „Wurm“, hat er ſeinen eigenen Leibesmechanismus. Auch er braucht zur Lebens-Heizung gewiſſe Nährſtoffe, die von Rechts¬ wegen in ihm ſelber durch einen Mund aufgenommen und
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Dieſe Flüſſigkeit iſt dein Blut. Durch die chemiſche und
mechaniſche Arbeit im Laboratorium des Darmes wird die
ſchon im Mund und Magen wie auf Vorſtationen zurecht ge¬
machte und zugeleitete Nahrung in reinen Nährextrakt um¬
deſtilliert. Dieſer Extrakt wird dann in den Blutkreislauf ein¬
geführt, womit ſeine eigentliche Beſtimmung als Heizmittel
und Betriebskraft eines noch viel umfaſſenderen Maſchinen¬
ſyſtems, als es der Darm ſelber darſtellt, erfüllt iſt. Das
Wunderbarſte iſt, wie dieſer ganze komplizierte Fabrikbetrieb
anſcheinend rein automatiſch funktioniert: er bedarf nicht einmal
des Lichtes, im tiefen Dunkel arbeiten ſeine Retorten, ſaugen
ſeine Pumpen, löſen, ſcheiden, reinigen ſich die Stoffe, bis
das rohe Chaos geläutert im roten Strom von dannen fließt.
Ein Schauer des Erhabenen ohne gleichen müßte den Beſucher
überkommen, der durch das alles wandelte wie ein Menſch durch
ein wirkliches Laboratorium, eine prachtvoll organiſierte Fabrik,
in der alle Automatenideale der Zukunft erfüllt wären.
Nun aber: in dieſes Prachtgetriebe hinein hat ſich für
unſern Fall jetzt der Bandwurm eingeſchmuggelt.
Der große Betrieb in der Halle da, mit ſeiner koloſſalen
Umwandlungsarbeit für die Nährzwecke einer großartigen
Maſchinenanlage, iſt ihm vollſtändig gleichgültig. Er befindet
ſich in der Lage eines kleinen Fabrikanten, dem es gelungen
iſt, durch raffinierteſte Freibeuterei in unbewachter Stunde ſeine
eigene winzige Maſchine mit ihren Privatzwecken an einen
großen Motor ſo anzuſchließen, daß ihm einfach Kraft von
drüben zufließt, ohne daß er ſelber zu heizen und durch koſt¬
bare Werke Kraft zu erzeugen braucht; ein Recht hat er nicht,
aber die Gelegenheit gab ſich: ſo macht er's einfach und lacht ſich
dazu ins Fäuſtchen. Ganz ſo der Bandwurm in deinem Darm.
Als Tier von einer gewiſſen Höhe der Entwickelung, als
„Wurm“, hat er ſeinen eigenen Leibesmechanismus. Auch er
braucht zur Lebens-Heizung gewiſſe Nährſtoffe, die von Rechts¬
wegen in ihm ſelber durch einen Mund aufgenommen und
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/249>, abgerufen am 24.11.2024.
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