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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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Ein solches Ei ist dauerhafter. Es braucht ja einstweilen
keine Nahrung, und den zersetzenden Einflüssen seiner schauder¬
voll verwesenden Umgebung widersteht die harte, chemisch hier
unangreifbare Schale. Aber was soll bei alledem mit ihm
werden? Nun, es wird zunächst, was mit dem wird, worin
es sich befindet.

Da giebt es ja verschiedene Wege des Schicksals. Etliches
wandert aufs freie Feld, in die liebe offene grüne Natur
hinaus. Etliches sinkt hernieder in den allzerstreuenden,
läuternden Arm des Wassers, schwimmt in kristallgrüne Seen,
in blaue Flüsse hinaus. Etliches wird von den Schweinen
gefressen mit der Naivetät des reinlich Hungernden, dem alles
rein ist. Etliches natürlich fällt auch auf den nackten Fels,
wo keinem Lebendigen ein Fortkommen ermöglicht ist. Auf die
drei anderen Eventualitäten aber scheint jene dritte Bandwurm¬
generation gleichsam je nach Art eingefuchst zu sein. Ein Rind
weidet das Gras ab. Auf einmal ist so ein Ei mit seinem
innerlichen Bandwurmembryo risch verschluckt in einem Rinder¬
magen. Ein Hecht schnappt einen herzhaften Schluck, -- und
der Bandwurmembryo, der inzwischen seine Eischale sogar schon
gesprengt und sich im Wasser wirbelnd herumgetummelt hat,
sitzt im Fischmagen. Die brave alte Familiensau mürschelt ihr
Frühstück -- und ein drittes Bandwurmei, das vielleicht noch
nicht aus seinem absterbenden Muttertier heraus ist, sinkt samt
diesem, nachdem es eben die Reise abwärts durch den Schreckens¬
schlund von oben mitgemacht, gleich darauf in eine neue warme
Tiefe: den Schweinemagen.

An allen drei Stellen ist es aber, als wisse der kleine
Embryo ganz genau Bescheid. Steckt er noch in der Eierschale,
so löst sich diese jetzt einfach in der Magensäure und läßt ihn
frei. Mit seinen Haken, die er trägt, spießt er sich an die
Magenwand, bohrt sie durch und wandert in die besten Muskel¬
fleischpartieen. Dort setzt er sich fest, wirft die Haken ab und
treibt sich zu einer dicken Blase auf. Blasenwurm oder Finne

Ein ſolches Ei iſt dauerhafter. Es braucht ja einſtweilen
keine Nahrung, und den zerſetzenden Einflüſſen ſeiner ſchauder¬
voll verweſenden Umgebung widerſteht die harte, chemiſch hier
unangreifbare Schale. Aber was ſoll bei alledem mit ihm
werden? Nun, es wird zunächſt, was mit dem wird, worin
es ſich befindet.

Da giebt es ja verſchiedene Wege des Schickſals. Etliches
wandert aufs freie Feld, in die liebe offene grüne Natur
hinaus. Etliches ſinkt hernieder in den allzerſtreuenden,
läuternden Arm des Waſſers, ſchwimmt in kriſtallgrüne Seen,
in blaue Flüſſe hinaus. Etliches wird von den Schweinen
gefreſſen mit der Naivetät des reinlich Hungernden, dem alles
rein iſt. Etliches natürlich fällt auch auf den nackten Fels,
wo keinem Lebendigen ein Fortkommen ermöglicht iſt. Auf die
drei anderen Eventualitäten aber ſcheint jene dritte Bandwurm¬
generation gleichſam je nach Art eingefuchſt zu ſein. Ein Rind
weidet das Gras ab. Auf einmal iſt ſo ein Ei mit ſeinem
innerlichen Bandwurmembryo riſch verſchluckt in einem Rinder¬
magen. Ein Hecht ſchnappt einen herzhaften Schluck, — und
der Bandwurmembryo, der inzwiſchen ſeine Eiſchale ſogar ſchon
geſprengt und ſich im Waſſer wirbelnd herumgetummelt hat,
ſitzt im Fiſchmagen. Die brave alte Familienſau mürſchelt ihr
Frühſtück — und ein drittes Bandwurmei, das vielleicht noch
nicht aus ſeinem abſterbenden Muttertier heraus iſt, ſinkt ſamt
dieſem, nachdem es eben die Reiſe abwärts durch den Schreckens¬
ſchlund von oben mitgemacht, gleich darauf in eine neue warme
Tiefe: den Schweinemagen.

An allen drei Stellen iſt es aber, als wiſſe der kleine
Embryo ganz genau Beſcheid. Steckt er noch in der Eierſchale,
ſo löſt ſich dieſe jetzt einfach in der Magenſäure und läßt ihn
frei. Mit ſeinen Haken, die er trägt, ſpießt er ſich an die
Magenwand, bohrt ſie durch und wandert in die beſten Muskel¬
fleiſchpartieen. Dort ſetzt er ſich feſt, wirft die Haken ab und
treibt ſich zu einer dicken Blaſe auf. Blaſenwurm oder Finne

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[239/0255] Ein ſolches Ei iſt dauerhafter. Es braucht ja einſtweilen keine Nahrung, und den zerſetzenden Einflüſſen ſeiner ſchauder¬ voll verweſenden Umgebung widerſteht die harte, chemiſch hier unangreifbare Schale. Aber was ſoll bei alledem mit ihm werden? Nun, es wird zunächſt, was mit dem wird, worin es ſich befindet. Da giebt es ja verſchiedene Wege des Schickſals. Etliches wandert aufs freie Feld, in die liebe offene grüne Natur hinaus. Etliches ſinkt hernieder in den allzerſtreuenden, läuternden Arm des Waſſers, ſchwimmt in kriſtallgrüne Seen, in blaue Flüſſe hinaus. Etliches wird von den Schweinen gefreſſen mit der Naivetät des reinlich Hungernden, dem alles rein iſt. Etliches natürlich fällt auch auf den nackten Fels, wo keinem Lebendigen ein Fortkommen ermöglicht iſt. Auf die drei anderen Eventualitäten aber ſcheint jene dritte Bandwurm¬ generation gleichſam je nach Art eingefuchſt zu ſein. Ein Rind weidet das Gras ab. Auf einmal iſt ſo ein Ei mit ſeinem innerlichen Bandwurmembryo riſch verſchluckt in einem Rinder¬ magen. Ein Hecht ſchnappt einen herzhaften Schluck, — und der Bandwurmembryo, der inzwiſchen ſeine Eiſchale ſogar ſchon geſprengt und ſich im Waſſer wirbelnd herumgetummelt hat, ſitzt im Fiſchmagen. Die brave alte Familienſau mürſchelt ihr Frühſtück — und ein drittes Bandwurmei, das vielleicht noch nicht aus ſeinem abſterbenden Muttertier heraus iſt, ſinkt ſamt dieſem, nachdem es eben die Reiſe abwärts durch den Schreckens¬ ſchlund von oben mitgemacht, gleich darauf in eine neue warme Tiefe: den Schweinemagen. An allen drei Stellen iſt es aber, als wiſſe der kleine Embryo ganz genau Beſcheid. Steckt er noch in der Eierſchale, ſo löſt ſich dieſe jetzt einfach in der Magenſäure und läßt ihn frei. Mit ſeinen Haken, die er trägt, ſpießt er ſich an die Magenwand, bohrt ſie durch und wandert in die beſten Muskel¬ fleiſchpartieen. Dort ſetzt er ſich feſt, wirft die Haken ab und treibt ſich zu einer dicken Blaſe auf. Blaſenwurm oder Finne

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/255>, abgerufen am 24.11.2024.