nennt ihn jetzt der Laie, wenn er ihm begegnet, ohne zu wissen, daß er einen verkappten Bandwurm vor sich hat.
Die Finne scheint zur Unthätigkeit verdammt. Durch eigene Arbeit aus ihrem Wirte heraus kann sie nicht mehr. Geschlechtsteile besitzt sie nicht, so daß sie nach dieser Richtung sich ebensowenig bethätigen kann. Aber nach einer Weile zeigt sich doch ein geheimes Leben in ihr.
Wie aus dem Menschenbandwurm zu Anfang unseres Liebesromans die erste Generation von Bandwurmkindern durch Knospung pflanzenartig entsprang, so wächst im Innern der Finne, zapfenartig in die Finnenblase hineingespitzt, ein Köpfchen mit zugehörigem Hälschen hervor, das jetzt nichts Geringeres darstellt als einen ursprünglichen Kopfbandwurm, wie du ihm oben in deinem eigenen Menschendarm begegnet bist. Bei manchen Bandwurmarten bleibt es nicht bei dem einen Band¬ wurmkopf in der Finne, -- es wachsen nach und nach mehrere aus ihr durch Knospung heran, entweder unmittelbar als Innenzapfen der einen Finnenblase, oder so, daß die Finne erst aus sich durch Knospung neue Tochterfinnen hervorgehen läßt, deren dann jede ihren Kopfbandwurm wieder in sich knospen läßt. Aber halten wir uns an den einfachsten Fall, mit einem Kopf in der Blase.
Die Situation ist schon so seltsam genug. Die Finne steckt weltabgeschlossen im Muskelfleisch eines Schweines, Rindes oder Hechtes. Und in dieser Finne steckt, als Knospenkind einstweilen noch fest an ihr hängend, der Bandwurm in der Form, die selbständig nur im Darm des Menschen gedeihen und dort erst das Bandwurmgeschlecht abermals fortsetzen kann. Wie soll da Rat werden? Finne und Bandwurmkopf hoffen und harren. Und eine Stunde schlägt, da werden Rind und Schwein geschlachtet und hängen in schönen muskulösen Hinter¬ vierteln samt Finnenblase und Bandwurmkopf in der Metzgerei. Und eine Stunde schlägt, da geht der Hecht ins Netz. Jetzt kommt die Schicksalswende.
nennt ihn jetzt der Laie, wenn er ihm begegnet, ohne zu wiſſen, daß er einen verkappten Bandwurm vor ſich hat.
Die Finne ſcheint zur Unthätigkeit verdammt. Durch eigene Arbeit aus ihrem Wirte heraus kann ſie nicht mehr. Geſchlechtsteile beſitzt ſie nicht, ſo daß ſie nach dieſer Richtung ſich ebenſowenig bethätigen kann. Aber nach einer Weile zeigt ſich doch ein geheimes Leben in ihr.
Wie aus dem Menſchenbandwurm zu Anfang unſeres Liebesromans die erſte Generation von Bandwurmkindern durch Knoſpung pflanzenartig entſprang, ſo wächſt im Innern der Finne, zapfenartig in die Finnenblaſe hineingeſpitzt, ein Köpfchen mit zugehörigem Hälschen hervor, das jetzt nichts Geringeres darſtellt als einen urſprünglichen Kopfbandwurm, wie du ihm oben in deinem eigenen Menſchendarm begegnet biſt. Bei manchen Bandwurmarten bleibt es nicht bei dem einen Band¬ wurmkopf in der Finne, — es wachſen nach und nach mehrere aus ihr durch Knoſpung heran, entweder unmittelbar als Innenzapfen der einen Finnenblaſe, oder ſo, daß die Finne erſt aus ſich durch Knoſpung neue Tochterfinnen hervorgehen läßt, deren dann jede ihren Kopfbandwurm wieder in ſich knoſpen läßt. Aber halten wir uns an den einfachſten Fall, mit einem Kopf in der Blaſe.
Die Situation iſt ſchon ſo ſeltſam genug. Die Finne ſteckt weltabgeſchloſſen im Muskelfleiſch eines Schweines, Rindes oder Hechtes. Und in dieſer Finne ſteckt, als Knoſpenkind einſtweilen noch feſt an ihr hängend, der Bandwurm in der Form, die ſelbſtändig nur im Darm des Menſchen gedeihen und dort erſt das Bandwurmgeſchlecht abermals fortſetzen kann. Wie ſoll da Rat werden? Finne und Bandwurmkopf hoffen und harren. Und eine Stunde ſchlägt, da werden Rind und Schwein geſchlachtet und hängen in ſchönen muskulöſen Hinter¬ vierteln ſamt Finnenblaſe und Bandwurmkopf in der Metzgerei. Und eine Stunde ſchlägt, da geht der Hecht ins Netz. Jetzt kommt die Schickſalswende.
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nennt ihn jetzt der Laie, wenn er ihm begegnet, ohne zu wiſſen,
daß er einen verkappten Bandwurm vor ſich hat.
Die Finne ſcheint zur Unthätigkeit verdammt. Durch
eigene Arbeit aus ihrem Wirte heraus kann ſie nicht mehr.
Geſchlechtsteile beſitzt ſie nicht, ſo daß ſie nach dieſer Richtung
ſich ebenſowenig bethätigen kann. Aber nach einer Weile zeigt
ſich doch ein geheimes Leben in ihr.
Wie aus dem Menſchenbandwurm zu Anfang unſeres
Liebesromans die erſte Generation von Bandwurmkindern durch
Knoſpung pflanzenartig entſprang, ſo wächſt im Innern der
Finne, zapfenartig in die Finnenblaſe hineingeſpitzt, ein Köpfchen
mit zugehörigem Hälschen hervor, das jetzt nichts Geringeres
darſtellt als einen urſprünglichen Kopfbandwurm, wie du ihm
oben in deinem eigenen Menſchendarm begegnet biſt. Bei
manchen Bandwurmarten bleibt es nicht bei dem einen Band¬
wurmkopf in der Finne, — es wachſen nach und nach mehrere
aus ihr durch Knoſpung heran, entweder unmittelbar als
Innenzapfen der einen Finnenblaſe, oder ſo, daß die Finne
erſt aus ſich durch Knoſpung neue Tochterfinnen hervorgehen
läßt, deren dann jede ihren Kopfbandwurm wieder in ſich
knoſpen läßt. Aber halten wir uns an den einfachſten Fall,
mit einem Kopf in der Blaſe.
Die Situation iſt ſchon ſo ſeltſam genug. Die Finne
ſteckt weltabgeſchloſſen im Muskelfleiſch eines Schweines, Rindes
oder Hechtes. Und in dieſer Finne ſteckt, als Knoſpenkind
einſtweilen noch feſt an ihr hängend, der Bandwurm in der
Form, die ſelbſtändig nur im Darm des Menſchen gedeihen
und dort erſt das Bandwurmgeſchlecht abermals fortſetzen kann.
Wie ſoll da Rat werden? Finne und Bandwurmkopf hoffen
und harren. Und eine Stunde ſchlägt, da werden Rind und
Schwein geſchlachtet und hängen in ſchönen muskulöſen Hinter¬
vierteln ſamt Finnenblaſe und Bandwurmkopf in der Metzgerei.
Und eine Stunde ſchlägt, da geht der Hecht ins Netz. Jetzt
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/256>, abgerufen am 24.11.2024.
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